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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Was weder ihre bittenden Blicke, noch Ereme’s traurige Augen vermocht hatten, vollbrachte die großartige Ausdrucksweise Melanies. Der natürliche Widerwille Bartenstein’s gegen Lobpreisungen zwang ihn, sich anzuschließen, um sich gegen dieselben zu wehren.

„Todesritt!“ stach er ganz entrüstet das Wort auf, indem er an Melanies linker Seite weiter ging. „So nannten die Franzosen in ihrer Uebertreibung unsere Attake. Wir führten ganz einfach nur den Befehl aus, den wir erhalten hatten.“

Melanie ließ sich nicht einschüchtern. Mit aufrichtiger Bewunderung sagte sie: „Es war die erhabenste Heldenthat des Krieges.“

Witold zog die Augenbrauen unmuthig zusammen. „Solche hochtrabende Worte müßten durch einen Armeebefehl verboten werden. Meiner Meinung nach giebt es keine Heldenthaten. Wenn ein Mensch für seinen König und sein Vaterland,“ betonte er, „seine Kraft und sein Leben einsetzt, dann thut er nichts als seine Pflicht und Schuldigkeit. Und die thaten alle Regimenter, die damals die Aufgabe zu lösen hatten, dem Marschall Bazaine den Rückzug in’s Innere abzuschneiden, um ihn zu verhindern, daß er sich mit Mac Mahon’s Armee vereinige.“

„Aber die Attake Ihres Regimentes war doch das größte Wagestück des Tages von Vionville,“ trieb Melanie ihn in die Enge.

„Ach, sie war gar nichts,“ bemühte er sich, die seiner Meinung nach höchst überspannten Vorstellungen auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen. „Aber das war qualvoll, als wir ruhig in gedeckter Stellung in der Thalmulde halten und zusehen mußten, wie die Bajonnette der Infanteriecolonnen auf den Höhen blitzten, die reitenden Batterien vorüber jagten, die Husaren die Schluchten hinabflogen, Alle dem Feinde entgegen. Und als vollends die Dragoner mit Hurrah abschwenkten und triumphirend auf den Feind losstürmten, dachten wir: Verfluchte Kerle, wer doch mitreiten könnte!“

Er nahm die Mütze ab. Noch jetzt wurde ihm die Stirn heiß, wenn er an jene Stunden dachte.

Aber Melanie hatte Recht gehabt: die große Erinnerung drängte den Schmerz um das eigene Leid zurück.

„Was habe ich ausgestanden,“ fuhr er fort, anfangs wie nur das Gespräch weiterspinnend, dann aber von dem Gegenstande sich hinreißen lassend, „als ich mit einer Patrouille ausritt, um zu recognosciren. Mit dem Fernglas sah ich, wie unsere Truppen auf dem kahlen Plateau, über das die große Straße sich zieht, zusammengeschossen wurden, während auf den Höhen ringsum der Feind immer mehr Batterien auffuhr, die Wälder sich mit seiner Infanterie füllten, Reiterregimenter in den Thalmulden sich sammelten und ferner dumpfer Kanonendonner noch den Zuzug neuer Colonnen ankündigte. Da endlich kam die Erlösung für uns. General von Voigts-Rheetz sprengte heran und brachte den Befehl, daß wir – die altmärkischen Ulanen und halberstädtischen Kürassiere – die Batterien an der Römerstraße zum Schweigen bringen sollten. Unsere Regimenter hatten zusammen nur noch sechs Schwadronen; zwei waren ausgeloost worden, die Trouviller Büsche zu säubern. Uns gegenüber mußten unserer Schätzung nach dreizehn Regimenter stehen.“

Witold’s Züge hatten sich belebt. Er sah nicht, wie Ereme erbebte. Er war jetzt ganz Soldat. Melanie schaute ihn mit Bewunderung an. Begeistert, mit Augen, die in die Höhe und in die Ferne gerichtet waren, erzählte er weiter: „Nun ging es vorwärts durch Schluchten und Thäler, über zertretene Felder, die in Garben gestanden hatten, zerstampfte Wiesen, Ackerstücke, die von den Geschossen zerpflügt waren, und überall bezeichneten die Leichen der Gefallenen den Siegesweg, den unsere Cameraden genommen hatten. Endlich kamen wir an den Linien an, die am weitesten vorgeschoben waren. Gegenüber an der alten Römerstraße stand der Feind.

Wir nahmen in entwickelter Linie Stellung, links die Kürassiere, rechts wir.

Dann schallte das Commando: ,Zur Attake!‘ Es wurde ‚Fanfaro‘ geblasen und nun ging’s los.

Die feindlichen Batterien donnerten uns entgegen – wir flogen durch den Grund und durch das hereinprasselnde Feuer die Höhe hinauf. Das hatte der Feind nicht erwartet. Die Bedienungsmannschaften der Geschütze waren wie betäubt und wurden niedergemacht. Wir hielten uns nicht dabei auf. Immer vorwärts durch die französischen Jäger zu Fuß. Was in den Bereich der langen Schwerter der Kürassiere kam, mußte dran glauben, unsere Lanzen räumten unter den Feinden auf, die vor Verblüffung sich nicht besinnen konnten. Das zweite Treffen versuchte es gar nicht, unserem Ansturme Stand zu halten. Die Batterien protzten ab und wendeten sich zur Flucht. Wir sausten ihnen nach durch die Thalmulde, die von der Römerstraße nach Rezonville sich hinabzieht. Unsere Schwadronen waren weit aus einander gekommen; aber die Wuth riß uns dem Feinde nach.

Da tauchten plötzlich vor uns rothe Casquettes auf: die Chasseurs d’Afrique; in dem Gehölze blitzten die Kupferhelme der französischen Dragoner, und in geschlossenen Reihen fielen uns Kürassiere in die Flanke. Wir waren rings vom Feuer umschlossen. Die Geschütze donnerten, die Mitrailleusen grollten und knatterten, in der Luft platzten die französischen Shrapnels mit singendem Tone, die preußischen Granaten detonirten mit scharfem Knall; die französische Infanterie hatte sich wieder erholt und überschüttete uns mit ihrem Bleiregen. Dazwischen schrieen die Kämpfenden, wimmerten die Verwundeten. Immer lichter wurden unsere Reihen, immer dichter schichteten sich die Leichen. Jeder von uns kämpfte gegen eine fünffache Ueberzahl.

Da wurde plötzlich zum Sammeln geblasen. Das Signal verdoppelte unsere Kräfte.

Ich schlug mich durch und mein braver Rappe ‚Vorwärts‘, der dafür noch heute das Gnadenbrod auf unserem Gute frißt, trug mich der Stelle zu, von der das Signal ertönte.

Keuchend vom athemlosen Ritte kamen die Unsrigen von allen Seiten; Pferde ohne Reiter sprengten auf den gewohnten Klang herbei. Verwundete suchten sich zu erheben um wieder zusammen zu brechen, Sterbende schlugen die Augen zu uns auf“ – er brach kurz ab. Seine Hand ballte sich einen Augenblick zur Faust. Ereme’s Augen hingen in qualvoller Spannung an ihm; es war, als wolle sie ihm in überströmender Theilnahme die Hand reichen. Er sah es gar nicht.

„Auch da heißt’s: Durch!“ fuhr er in gepreßtem Tone fort, als er in Melanies erregtes Gesicht blickte und ihre Augen mit höchster Spannung auf sich gerichtet sah. „Es ging zurück in dichtem Knäuel, feindliche Reiter zwischen den unsrigen, über stehen gebliebene und umgeworfene Geschütze, stechend, hauend, schießend. Man fühlte nichts mehr. Ein paarmal war mir’s, als fahre ein Blitz an meinen Augen vorbei; dann streifte es heiß wie ein Licht an meiner Schläfe hin mit zischendem Laut. Aber weh that’s nicht. Rückwärts ging’s, den Berg hinab, Freund und Feind zu kämpfendem Knäuel geballt. Das Gedränge wurde so arg, daß wir die Arme nicht rühren und uns nur wüthend ansehen konnten.“ Er lachte laut und wild auf.

„Als wir endlich an dem Orte ankamen, von wo wir ausgeritten waren, fand sich kaum die Hälfte von uns zusammen. Unser Major fehlte. Wir schrieen nach der Standarte, die Standarte war fort. Wir zogen dem brennenden Flavigny zu. Meine Wunden fingen an zu schmerzen, vor den Augen wurde es mir dunkel, ich hielt mich mit Anstrengung aufrecht. Da tönte uns lautes Hurrah! entgegen. Aus einer Schlucht kam noch eine Abtheilung Ulanen mit unserer geretteten Standarte. So viel Kraft hatte ich noch, sie mit einem Schrei zu begrüßen. Dann sank ich vom Pferde auf den Rasen. Ich schlug die Augen noch einmal auf. Neben mir stand ein Bildstock. Die Mutter Gottes sah mit einem kummervollen Gesicht auf mich herab. Wie ein Stich, der tiefer ging, als alle meine Wunden, traf mich der Gedanke an meine Mutter. Ich wußte, wie sie sich um mich ängstigte. Sie war immer sehr zärtlich gegen mich,“ sprach er leise, fast verschämt, „und ich hatte mich, wie es ungezogene Bengel machen, immer gegen ihre Liebkosungen gesträubt, weil sie mir so sentimental vorkamen. Wenn ich hier meinen Wunden erlag, konnte ich nie nachholen, was ich versäumt hatte. – Ich habe es aber gut machen können und meine Strafe auf anderem Wege bekommen. Ich mußte selbst empfinden, was es heißt: darben, wenn man mit warmem Herzen um Liebe wirbt.“

Melanie fühlte, wie Ereme plötzlich ihren Arm ergriff und sich schwer darauf stützte, als trügen sie ihre Füße nicht weiter.

Witold aber hatte die weiche Regung schon überwunden. „Das war nur ein Moment,“ sagte er, rasch fortfahrend, „dann verlor ich das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, fand ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_734.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)