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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

17. Jahrhunderts verlachen, so werden unsere Nachkommen über die Lottomanie des 18. spotten.“

Nun, des Lotto sind wir in Deutschland ledig, die Spielsucht, d. h. die Begier nach außergewöhnlichem Gewinn ist geblieben, und wir können ebenfalls nur die Frage aufwerfen: wie werden unsere Nachkommen über die von uns erlebte Gründer-Aera, über die Dachauer Banken, über den „schwarzen Freitag“ 1869 in New-York, über den Börsenkrach 1873 in Oesterreich und Deutschland denken?

„Die Welt,“ läßt Francisci seinen Ehrenhold sagen, „ist mit all ihrem Wesen selbst eine Blume, bei der man billig Zweifel hegt, ob sie nit allzu theuer im Preise stehe!“




Brausejahre.

Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)

Der Winter kam, und das Treiben der Gesellschaft lenkte in die alten Bahnen. Nach Görtz’ Entfernung – gleichbedeutend mit dem Sprengen seiner Partei – nahte sich der Kammerherr Siegmund von Seckendorf Goethen in einer nicht mißzuverstehenden Weise. War dieser auch nicht frei von Argwohn gegen den eleganten Cavalier, so schätzte er doch die Begabung des gewandten Mannes.

Eines Tages besuchte Seckendorf Goethe ohne äußeren Anlaß und sagte ihm offen, daß er ein Verlangen trage, sich mit ihm über die frühere und gegenwärtige Stellung zu einander auszusprechen, und daß er wünsche, Goethen freundschaftlich näher zu treten.

Mit dem Ton der Wahrheit fuhr er fort:

„Sie haben mich bezwungen, lieber Legationsrath; die kräftige Sprache des Herzens, welche mir aus Ihren Worten und Werken entgegentönt, hat meine Unzufriedenheit, selbst meinen Vorsatz zu kritisiren, zum Schweigen gebracht. Ehe ich’s wußte und wollte, war ich Ihnen gegenüber mitten im Taumel der Empfindung, welche von nun an, da kein Görtz seinen störenden Einfluß geltend macht, die herrschende bleiben soll!“

„Schonen wir des Abwesenden!“ entgegnete Goethe mit edler Abwehr jenes schiefen Rechtfertigungsversuchs. Milder fuhr er fort:

„Ich bin Ihnen dankbar für Ihr Entgegenkommen und glaube, daß die Spreu der Eitelkeit ein zu mageres Futter ist, um sich darum zu raufen und die gute Natur zu hemmen.“

In der Wintersaison ging ganz unerwartet ein neuer Stern auf. Es war dies Christel von Laßberg, die sich endlich so weit gekräftigt hatte, um den längst beabsichtigten Tanz- und Anstandsunterricht des tonangebenden Meisters Adam Aulhorn zu genießen. Nachdem sie sich allmählich und in aller Stille zu einer zarten Schönheitsblüthe entfaltet hatte, war ihre linkische Schüchternheit in bescheidene Anmuth, ihre stumme Scheu in anziehende Zurückhaltung verwandelt.

Die Männer ihres Kreises nahten sich ihr nach und nach sämmtlich. Vom Herzog an ward Jeder mehr oder weniger angezogen, um sich doch bald wieder mit der Versicherung abzuwenden, man komme nicht weiter mit ihr!

Daß der Blick ihres blauen Auges einen herzbewegenden Schimmer habe, daß sie im Tanzen und Schlittschuhlaufen, in jeder Bewegung ihres schlanken Körpers von der „Biegsamkeit des Schilfrohrs und der Leichtigkeit einer Libelle“ sei, wie Meister Aulhorn gern wiederholte, gaben alle Männer zu, und doch waren sie an den Ton gefälligen Entgegenkommens, an den prickelnden Reiz des Neckens und Herausforderns so gewöhnt, daß sie sich mit dieser so in sich geschlossenen Erscheinung nicht dauernd verständigen konnten.

Der Grundton in Christel’s Wesen war jene „süß leidende Sentimentalität“ ihrer Zeit, welche, vom Sturm und Drang des brausenden Jugendmuthes, der jetzigen lustfunkelnden Gesellschaft verscheucht, keine Geltung mehr fand und nur noch Achtungserfolge errang. Man war noch überschwänglich in Wort und That, wenn es eben paßte, aber lachte doch schon über die Empfindsamkeit schöner Seelen. Christel glich einer verspäteten Frühlingsblume, einem Veilchen, das, von greller Sommergluth getroffen, schmerzlich unter derselben leidet.

Sie hatte ihr Tagebuch fortgesetzt, und ein weiteres Stück desselben lautete:

Im Winter 1777.

Ich glaube, die Menschen haben mich alle bisher für geistesschwach gehalten. Noch jetzt spüre ich etwas wie Erstaunen bei den Leuten, wenn ich mich so ziemlich benehme wie die Andern. Gehe ich aber ernstlich mit mir zu Rath, so verdiene ich diese überraschten Mienen, nicht deshalb, daß ich ihre Komödie zu spielen weiß, sondern, daß ich mich herbeilasse mitzuthun wie sie. Denn recht wahr und schlicht und ganz er selbst kann Niemand in der eleganten Welt, der sogenannten guten Gesellschaft sein! Wie oft muß ich Jemand freundlich begrüßen, der mir zuwider ist; wie oft lächeln, wenn ich tief betrübt bin; wie oft darf ich nicht jauchzen, wenn ich’s möchte, und mein heißes Empfinden, meine Anbetung für ihn zeigen darf ich nun und nie! Jedes Wort von seinem Munde, das an mein Ohr tönt, läßt alle meine Nerven erbeben, wie der Lufthauch die Aeolsharfe. Ach, und wenn er mich berührt, durchzuckt mich Wonne, und ich möchte vergehen, wie der Thautropfen vor dem Sonnenstrahl!

Wer würde mich darin verstehen? Sie würden mich „sentimental“ nennen, eine „Wertherin“, wie neulich Auguste sagte. Wie leer aber ist das Leben, welch ein Kreislauf alltäglicher, selbstsüchtiger Unerträglichkeit, wenn man die großen, tiefen Gefühle ausstreicht!

Mein Vater ist mit mir zufrieden; aber darf ich mich freuen über seinen Stolz auf meine äußerlich angelernten Vorzüge? Er schenkt mir mehr neue Kleider, als ich mag, und sagte gestern, als wir von Kanzler von Koppenfels’ Soirée kamen:

„Endlich herrscht nur eine Stimme darüber, daß Du schöner bist als die Kalb! Ja, die feinste Rasse entwickelt sich langsam. Jetzt gilt’s, Christinchen, eine bessere Partie zu machen, als die dicke Auguste, dann haben wir endlich die Kalb’s glänzend geschlagen!“

Das also soll mein Glück, der Inhalt meines Lebens sein: Gustchen zu demüthigen? O Eitelkeit und Thorheit! Armer Vater, daß ich Dir gerade diesen größten Wunsch nicht erfüllen kann! Welche Lüge, welch ein Betrug würde es sein, mit meinem Herzen voll grenzenloser Liebe für ihn einem andern Manne vermählt zu werden! Nie, nie wird das geschehen, und wenn Auguste Kalb mir noch so weit an Eheglück und Ehre voran kommt; mag sie’s, ich gönne ihr alles Beste nach ihrem Sinn.

Nur selten überfällt mich noch die ohnmächtige Starrheit, wie in meiner Jugend; ich irre auch nicht mehr in Zerstreutheit ab, wie früher, und ich bin froh, daß ich endlich sein kann wie andere Menschen. Bin ich allein, so gebe ich mich getrost meinen süßen Träumereien hin, deren alleiniger Inhalt er ist.

Ich glaube nicht, ich kann es nicht glauben, daß er die Stein liebt; sie sind so verschieden an Jahren und Wesen. Er so feurig, sie so sanft. Er so lebhaft, stürmend, thatkräftig, sie so ruhig, so nachdenklich und schwermüthig. Er soll viel bei ihr sein; in der Gesellschaft merkt man nicht, daß sie sich nahestehen. Fort mit Argwohn und Sorge, ich will das Glück genießen, das endlich mir zu Theil wird!“




28.

Hei, wie die rothe Abendsonne auf dem blanken, bläulich flimmernden Eise des Schwansees glühte, welche Farben und Lichter das gab! Wie die Bäume ringsum sich unter den glitzernden Reifsträußen bauschten wie unter jungem Laube, und wie jeder Halm am Uferrande sein Krönlein trug, jedes geknickte Schilfrohr, jeder dürre Zweig malerisch schimmerte in seiner weiße Zier!

Ein herrlicher Wintertag ging zur Rüste, aber um für die Lustigen von Weimar erst recht zu beginnen.

Die vornehme Welt war vom Herzoge zu einem Punsch auf dem Eise bei Beleuchtung und Musik um vier Uhr eingeladen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_724.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2023)