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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

auch eine edle Blume hohen Preis erzielen? Wenn reiche Leute ihr Geld mit Schmausen und Zechen verprassen, finde man es begreiflich, aber man schelte sie Narren, wenn sie für eine Lieblingsblume ein kleines Vermögen ausgeben.“ –

Es handelte sich aber in Wirklichkeit nicht mehr um Befriedigung einer Laune reicher Liebhaber, es war vielmehr, wie ein Zeitgenosse, der holländische Geschichtschreiber van Meteren, es kurz und bündig ausspricht, „ein blinde Kauffmannschaft, daß manche Blum an den zwantzigsten verkaufft wurde, deren keiner die Blum jemahls gesehen.“ „Sie kaufen und verkaufen, was sie nicht besitzen,“ damit bezeichnet auch Schrevelius das neue Geschäft als „Fixen“. Bei der Steigerung des Handels und der Häufung der Preisschwankungen wurde die Differenz der Course selbst zum Gegenstand des Handels gemacht, und diesem nur der Schein von Waarenverkaufsgeschäften gegeben.

Dieser Gesichtspunkt ist festzuhalten. Es ist deshalb im Ganzen und Großen unrichtig, von einer Tulpenmanie – der französische Dichter Menage, ein Zeitgenosse Racine’s soll zuerst das Wort Tulipomanie gebraucht haben, – zu sprechen, denn nicht um den Besitz der Tulpe handelte es sich, – in diesem Falle hätte der Preis nicht steigen, sondern fallen müssen. „Macht die Producte der Landwirthschaft theurer, wenn ihr sie wohlfeiler haben wollt,“ sagt Young, und mit Recht, denn stärkerer Consum bewirkt stärkere Production, und die Tulpe ist so gut wie der Spargel ein Product der Landwirthschaft im weiteren Sinn des Worts. Wo es viel Personen giebt, die Spargel essen wollen und bezahlen können, werden viele Spargelbeete angelegt, und der Preis fällt. Auf gleiche Weise würden binnen Kurzem in Holland ganze Tulpenplantagen entstanden sein, und nach wenigen Jahren würden alle Liebhaber für weit niedrigere Preise Blumen haben kaufen können. Allein dies traf nicht ein, weil eben der Schornsteinfeger, der seinen Besen wegwarf, nicht Gärtner, sondern Händler wurde. Aus weiter Ferne würde man Zwiebeln verschrieben, nach Cappadocien und Thracien würde der hohe Preis die Leute gejagt haben, um Zwiebeln zu holen, dagegen zechte der Tulpenhändler gelassen in der heimathlichen Schenke, ohne an so mühevolle Beutezüge zu denken. Ehe nur überhaupt der Tulpenflor aufblühte, waren mehr Zwiebeln erhandelt und [v]erhandelt, als alle Gärten Hollands aufzuweisen hatten, und obwohl der Semper Augustus nur in zwei Exemplaren zu Amsterdam und Haarlem vorhanden gewesen sein soll, so wurde doch keine Art öfter gekauft und verkauft als diese.

Ein unglaublicher Spieltaumel ergriff Alt und Jung. Bettler fingen an, auf Tulpen zu bieten, die viele Tausende kosten sollten, Edelleute und Bauern, Matrosen und Holzträger, Weber und Waffenschmiede verließen ihre gewohnte Beschäftigung, um Tulpenhandel zu treiben. Es lief dabei nicht viel Geld um, Alles ging auf Borg und auf „Lieferung in der Tulpenzeit, welche irgend ein vier Wochen wehret“. Alle schlimmen Folgen einer Erschütterung der gewohnten Ordnung des Handelsverkehrs stellten sich ein. „Was für Praktiken, Betriegerey und Vervortheilung unter dieser Kauffmannschaft ist fürgelauffen,“ sagt van Meteren, „kann ein Jeder leichtlich gedenken.“ Manch Einer entzweite sich mit seiner Hausfrau ob der Verwendung des erhofften Gewinns, weil der Mann Rappen und die Frau Schimmel vor die Kutsche zu spannen wünschte. Nicht blos Banken zu gemeinsamem Betrieb mit größerem Capital bildeten sich, sondern die Blumisten insgesammt vereinigten sich zu einer förmlichen Gilde mit eigenen Herbergen, Beamten, Schiedsgerichten. In den Herbergen pflegte es hoch herzugehen. Schrevelius plündert die ganze poetische Literatur Roms, um die Ausschreitungen jener Schwindelperiode nach Verdienst zu brandmarken. „Den Himmel selbst gedachten sie in ihrer Thorheit zu stürmen!“

Auch in England und Frankreich, Deutschland und Dänemark begann man Zwiebelgeschäfte abzuschließen. Ein Engländer soll für eine Zwiebel, welcher ein regelrecht ausgearbeiteter Stammbaum beigelegt war, 13,000 holländische Gulden geboten haben. Die Agiotage hatte ihren Höhepunkt erreicht – da brach das Kartenhaus zusammen. „Als nun die Sache auf’s Höchste kommen und die Blumisten in ihrem großen Gewinn gleichsam ersoffen waren, ist dieser Handel unversehens sogar übern Hauffen geworffen worden.“

Ein unbedeutender Zufall führte die Krisis herbei, die ohne ihn freilich nur verzögert, niemals aufgehalten worden wäre.

In Haarlem war zu Anfang des Jahres 1637 große Tulpenbörse. Da fiel plötzlich der Cours einer beliebten Gattung um mehrere hundert Gulden. Das Gerücht verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt und erregte in allen betheiligten Kreisen Bestürzung und Furcht. Die kleinen Leute wollten nun ihr Capital retten, indem sie rasch Baarzahlungen verlangten, dies hatte unvermeidlich ein Sinken aller Course und eine Panik auch in allen anderen Städten Hollands zur Folge. Die wirklichen Tulpenzüchter wollten die vor Kurzem so kostbaren Zwiebeln in natura abliefern, aber Niemand wollte sie annehmen. Sobald einmal der windige Handel in seinem wahren Charakter erkannt war, mußte er ein Ende nehmen, ein Ende mit Schrecken. Alle Symptome des Bankerotts zeigten sich im ganzen Lande, wie sie ein Jahrhundert später bei dem Actienschwindel der Law’schen Compagnie in Frankreich sich wiederholten. Die Träume von fabelhaften Reichthümern zerrannen, Angst und Trauer bemächtigten sich der Gemüther, der Anruf der Gerichte war erfolglos, die Resignation eine Nothwendigkeit, kein Trost.

Zwar wurde ein Versuch gemacht, die Krisis abzuwenden oder doch in engeren Schranken zu halten. Eine Anzahl der angesehensten Blumisten trat am 24. Februar 1637 in Amsterdam zusammen; es wurde verabredet, daß alle Contracte, die vor dem 30. November 1636 geschlossen waren, unverbrüchlich gehalten werden, neuere aber gegen eine Entschädigung von zehn Procent für die Händler außer Rechtskraft gesetzt werden sollten.

Allein es war nicht mehr möglich, die Katastrophe aufzuhalten, der Credit der neuen Gesellschaft selbst war allzusehr erschüttert, als daß ihr Ausspruch Beachtung gefunden hätte. Nun riefen die in ihrer Existenz Bedrohten Staatshülfe an, aber die Generalstaaten weigerten sich, das Schwindelgeschäft durch obrigkeitlichen Schutz gleichsam zu sanctioniren. Zwar erklärte ein Edict vom 27. April 1637 vorläufig, d. h. bis zum Ausgang amtlicher Untersuchung, alle Contracte für gültig; die Verkäufer sollten ihre Tulpen den Contrahenten anbieten und, falls diese die Annahme verweigerten, ihre Waare entweder aufbewahren oder anderweitig verkaufen und sich des Schadens wegen an die ersten Contrahenten halten. Da aber kaum zu erwarten stand, daß sich die Obrigkeit definitiv für Gültigkeit der Contracte aussprechen werde, so gereichte die provisorische Erklärung keineswegs zur Beruhigung. Die Käufer weigerten sich, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen, der Proceß führte nur um so sicherer zum Bankerott, man schätzte sich schließlich glücklich, wenn man durch Vergleiche 5 oder 6 Procent rettete.

So nahm jenes Hazardspiel ein jähes, immerhin zu spätes Ende. Es wurden zwar später wiederholt Versuche gemacht, ähnliche Geschäfte in’s Leben zu rufen. Rist erzählt, daß in den sechsziger Jahren des 17. Jahrhunderts in Holland plötzlich die Anemone, das Windröschen, so hoch im Preise stand, wie einige Jahrzehnte früher die Tulpe, aber bei massenhaft gesteigerter Production verlor das Ziergewächs rasch diesen Modewerth. Eine gefüllte Lilie kostete 50 Reichsthaler. Ricard, der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts nach Haarlem kam, sah dort ein paar Tulpenzwiebeln, die ungefähr 600 holländische Gulden gekostet hatten. In Weston’s „Botanicus universalis“ und in der „Physikalisch-ökonomischen Bibliothek“ finden sich Listen, in welchen für einige Tulpenarten, Don Quivedo, Valentinier etc. mehr als zwei Pfund Sterling angesetzt sind. Auch Sophie La Roche, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Holland bereiste, sah in Haarlem eine Tulpe von schönem Blau, Imperialis, welche 100, eine weiß-rothe, Maria Schurmann, welche 50 Gulden kostete. Sie erwähnt auch eine Sitte, wonach sich reiche Kaufherren, welche „von der artigen Krankheit, kostbare Blumen besitzen zu wollen“, angesteckt waren, von ihren Lieblingen getreue Portraits malen ließen und diese wie Familienbilder an ihre Freunde versendeten. Der Göttinger Professor Beckmann meinte deshalb, man könne immerhin noch von einer „kleinen Tulpomanie“ sprechen.

Zum Hazardspiel freilich war die Zwiebel nicht mehr nöthig, dazu hatte man bereits fast in allen Staaten das italienische Lotto, Dank dem, wie Beckmann klagt, „einige Gewinne Vornehme und Geringe, Reiche und Arme zum öffentlichen Spiel ziehen, daß alle Gewerbe schläfriger betrieben und von manchen gänzlich verlassen werden, weil man den Arbeitern ein bequemeres Mittel, reich zu werden, gewiesen hat; sowie wir die Tulpomanie des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_723.jpg&oldid=- (Version vom 10.6.2022)