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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Brausejahre.
Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)
26.

Bald nach dem Abendfeste in Tiefurt kam am 25. August der Ludwigstag heran, den man als Namenstag der Herzogin Luise feierte.

Die hohe Frau hatte durch ein wenig mehr Entgegenkommen und Freundlichkeit neulich in Tiefurt Goethe so tief bewegt und wieder so sehr für sich eingenommen, daß er sich sofort mit Plänen trug, ihren festlichen Tag zu verherrlichen. Er fand zu seiner Ueberraschung auch diesmal in der feindlichen Partei - das heißt bei Görtz und seinen Anhängern - eine rege Theilnahme.

Neuerlicher Gewitterregen hatte eine Ueberschwemmung des „Sterns“ herbeigeführt, wo anfänglich ein Festspiel beabsichtigt war, daher mußte man jetzt einen andern Plan entwerfen.

Am linken Ufer der Ilm führte, vom Fürstenhause aus gangbar, ein erhöhter Weg her; etwas flußaufwärts stand eine Mauer, um als Kugelfang vom Schießhause aus die Umgegend zu schützen; diese sowie ihre Umgebung lag hoch und trocken. Hinter der Mauer befand sich ein Platz mit herrlichen alten Eschen und Gebüsch, derselbe konnte jede Art von Ueberraschung bergen; davor, den weiteren Ausblick versperrend, ließ man in den bis zum Feste noch übrigen drei Tagen heimlich eine hübsche kleine Einsiedelei aufbauen, mit Strohdach, Borkenbekleidung und Mooswänden, die man vorn und hinten verschiebbar einrichtete.

Goethe und Seckendorf, der talentvolle Poet und Componist, hatten mittlerweile ihr Festspiel fertig und mit den anderen Freunden einstudirt. Sie wollten in Mönchskutten erscheinen, erzählen, ihr Kloster sei durch die Fluthen vernichtet, dies Häuschen habe man gerettet, und hierher lade man die Gesellschaft zur frugalen Kost, dann sollten sich des Borkenhäuschens Thüren aufthun und man einen bescheiden besetzten Tisch sehen, auf dem sich nichts befinde als eine irdene Schüssel mit Bierkalteschale, ein Laib Brod, Zinnteller und Holzlöffel. Wenn die Hofgesellschaft dastehe, nicht wissend, was aus dem Scherze zu machen sei, solle sich die hintere Wand des Häuschens öffnen und unter den alten Eschen wohlbesetzte Holztafeln, geputzte Gäste und symphonische Musik sie einladend begrüßen, worauf dann die Glückwünsche der Anwesenden an die gefeierte Fürstin den Uebergang zum festlichen Schmause bilden sollten.

Diesem Plane gemäß spielte sich das Fest am Mittage des 25. August ab. Der Herzog, seine Gemahlin, Herzogin Amalie und ihre nähere Umgebung hörten die Reden der Mönche, als welche Prinz Constantin, Goethe, Seckendorf, Knebel, Wieland, Einsiedel und einige Andere auftraten, standen erstaunt am Tische mit der Kalteschale und athmeten erfreut und lachend auf, als bei dem Wegziehen der Wand das festlich heitere Bild sie einlud.

Die Mönche machten anfänglich Miene, ihre Gäste zu bedienen, und Goethe, der Pater Decorator, hielt sich hinter dem Stuhle der Herzogin Luise, um ihr wenigstens die Suppe zu reichen. Dann aber mußten die würdigen Herren in ihren weißen Kutten sich zwischen den Gästen an den Tafeln einreihen und an den Freuden des Mahls wie alle Anderen theilnehmen.

In den Pausen des Diners schlossen sich den Instrumentalvorträgen Gesangsstücke der Sängerinnen Corona Schröter und Luise Rudorf an, worauf die gern gesehenen jungen Mädchen an einem der Nebentische ihren Platz aufsuchten.

Goethe hatte sich heute einmal wieder das Couvert neben Corona gewählt. Bei solchen festlichen Gelegenheiten durfte er nicht hoffen, neben der Freundin zu sitzen, die, als Gattin des Oberstallmeisters, in der Nähe der höchsten Herrschaften ihren Platz fand.

Corona, die schöne liebenswürdige Künstlerin, übte eine große Anziehungskraft auf ihn aus, wenn er auch wußte, daß ihr Herz seinem Freunde Einsiedel gehörte, der auf ihrer andern Seite saß.

Aber weder für den einen noch für den andern ihrer Nachbarn fand Corona heute die rechte Aufmerksamkeit; sie antwortete zerstreut, starrte auf einen Punkt, wechselte oft die Farbe und bezeigte besondere Goethe gegenüber eine seltsame Scheu.

Einsiedel fragte sie flüsternd, was ihr fehle. Ob ihre Bekenntnisse gegen ihn sie beängstigten? Auf seine Verschwiegenheit und vollkommene Hingabe an ihren Willen dürfe sie doch bauen.

„Das ist es nicht, Hildebrand,“ entgegnete sie gleichfalls leise und mit Vorsicht, „ich habe einen Aufrag vom Meister, der gewiß Uebles bezweckt und mich furchtbar beunruhigt. O, daß ich ausersehen bin, den dunkelsten Plänen als Werkzeug zu dienen!“

Der Freund bat sie, ihm ganz zu vertrauen, ihm Alles mitzutheilen, was sie bedrücke, was sie thun solle; vielleicht lasse sich doch etwas ändern. Sie lehnte aber in ängstlicher Weise ab, sagte, der Graf müsse hier sein, sie könne doch nicht umhin, zu gehorchen. Das Verhängniß über ihr treibe sie wider ihren Willen! Er möge nicht weiter in sie dringen, sondern ihr Ruhe und Schonung gönnen.

Nach dem Mittagessen wurden von hurtigen Lakaien die Tische fortgeräumt und von den Musikern die Instrumente zu einer Polonaise gestimmt.

Man wollte sich nicht so bald trennen, es versprach ein herrlicher Abend zu werden, die Gesellschaft war lustig und guter Dinge; der Herzog, nach einigen Gläsern Champagner sehr aufgeränmt, erfreut von der Ueberraschung, entzückt von dem neu entdecktem fast unbekanntem Platz, erklärte, die Gesellschaft müsse beisammen bleiben.

So spazierte man unter dem Epheu umher, scherzte, lachte, saß in Gruppen zusammen, versuchte ein Tänzchen und unterhielt sich in der gehobenen Stimmung ganz vortrefflich.

Goethe forderte Corona zur Polonaise auf, sie dankte, da Einsiedel sie früher darum gebeten habe, den nächsten Contretanz aber solle er bekommen. Er erklärte sich einverstanden und trat jetzt mit ihr, strahlend vor Heiterkeit und Jugendlust, in die Reihen.

Die Ungebundenheit der Dinerstimmung fügte es, wie er glaubte, daß er sich plötzlich der Herzogin Luise mit dem Oberhofmeister Graf Görtz gegenüber sah, und heimlich lachend sagte er sich, daß der hochmüthige Graf sammt seiner edlen Partnerin zu anderen Zeiten wohl erlesenere Gegentänzer gesucht haben würde, als ihn mit der Sängerin.

Auch der Herzogin fiel diese Fügung unangenehm auf, und sie deutete ihrem Cavalier an, wie sie erstaunt sei, daß er nicht für ein passenderes vis-à-vis gesorgt habe.

Der Graf entschuldigte sich mit nichtssagenden Redensarten. Luise dachte, der Wein mache ihn confus, und dann begann die Musik, ehe sich etwas ändern ließ.

Hinter Goethe und Corona stand der kleine Baron von Göchhausen, heute in Folge des wohlthätigen Tranks aus den Händen des Wundermanns ganz besonders leicht und heiter gestimmt. Er sah dem Tanze zu, wiegte sich in den Hüften und schien seine ganze Theilnahme dem Treiben der Jugend zu widmen.

Plötzlich, als Goethe und Corona, ihren Platz verlassend, vortanzten, schoß er in den Kreis und raffte ein weißes Etwas vom Boden auf; er sah es nicht näher an, sondern verließ seinen bisherigen Standort und begab sich in die Nähe des Herzogs, der gleichfalls in dieser Quadrille und mit Luise von Göchhausen tanzte.

„Sie müssen zugeben, Tuselchen,“ sagte Karl August fröhlich, „daß dies wieder eine Fête ist, die unserem Zauberer drüben alle Ehre macht! Steckt er auch in der weißen Fahne von einer Kutte, der Goldjunge, die alle die anderen Männer miserabel kleidet, so sieht er doch immer aus wie ein junger Gott, und es ist die pure Unmöglichkeit, wenn man auch Ursache dazu hätte, ihm böse zu sein.“

„Durchlaucht haben Recht, amüsant ist’s heute, und ich bin hexenvergnügt!“ rief das kleine Fräulein und ließ ihre lachenden lebhaften Augen durch den Kreis herum und zu ihrem Partner fahren. „Dero Hätschelhaus scheint nachgerade allen Leuten genehm,“ fügte sie mit einem boshaften Seitenblicke auf Graf Görtz hinzu, der eben mit vieler Grandezza ein pas seul Goethe und Corona tanzte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_698.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2023)