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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Auch die Majorität der Gesellschaft war zufrieden, als nun über das äolische Volk zur Tagesordnung übergegangen wurde.

Nur Bartenstein war der Aeolier noch nicht überdrüssig. „Ich Naturkind,“ sagte er, „habe den Sinn Ihrer gelehrten Auseinandersetzung ergründet. Unter den Thessaliern ist ein thatkräftiger Mann zu verstehen, unter dem äolischen Volk eine feine Frau, die ihm gehorchen muß, und der er dafür gestattet, seine rauhen Gewohnheiten zu glätten.“

„Ihre Erklärung würde passen,“ antwortete Ereme, „wenn man sich das Verhältniß zwischen Mann und Weib wie zwischen Tyrann und Sclavin denken wollte. Das vermag freilich nur Derjenige, der keine Ahnung von Frauenwürde hat.“

Bartenstein wurde ernst. „Bitte, gnädiges Fräulein. Frauenwürde weiß ich zu ehren: ich habe eine Mutter. Und ein Tyrann bin ich auch nicht. Aber ich verstehe zu herrschen. Auch mich selbst beherrsche ich, was manche hochgebildete, zartbesaitete Seele nicht kann,“ fuhr er wieder lächelnd fort. „Das haben wir im Cadettencorps geübt, während Sie in griechischer Sprache auswendig lernten, wie der Kriegsgott von einer Dame besiegt wurde.“

„Dicht an der Grenze der Selbstbeherrschung beginnt die Verstellung,“ entgegnete Ereme. „Und ehe ich mich vor mir selbst so weit erniedrigte, daß ich diese Grenze überschritte, will ich es ertragen, daß Sie mich um meines ehrlichen Zornes willen gering schätzen.“

„Ich schätze Sie im Gegentheil sehr hoch,“ antwortete Bartenstein rasch, „nur nicht so hoch , daß Sie unerreichbar für mich würden. Gleiches Niveau, das ist das beste Feld für einen heißen Kampf, wie wir ihn führen, – und der schließlich doch mit einem schönen Frieden enden wird.“

„Sie sind sehr zuversichtlich,“ antwortete sie ernst. „Ich aber bin eine Kassandranatur. Ich sehe den Tag kommen, an dem wir an einander vorübergehen werden, als hätten wir uns nie gekannt.“

Er sah sie betroffen an. „Das klang ja ganz tragisch. Sie zürnen mir, weil ich Ihnen eine kleine Belehrung gegeben habe? Sie lassen es an solchen mir gegenüber auch nicht fehlen, und ich nehme sie immer ganz gern hin. Aber Sie dürfen mich nicht ernstlich beleidigen. Sonst könnte allerdings Ihr Wort wahr werden und Alles aus sein.“ Er sah ihr mit eindringlichem Blicke in die Augen.

Eine dunkle Gluth stieg in ihre Wangen.

Er nahm ihre äußerste Entrüstung als Eingeständniß ihres Unrechts und winkte nun versöhnlich mit den schöngebogenen Augenwimpern, indem er beruhigend sagte: „Nun Waffenstillstand! Es bleibt ja vorderhand beim Alten. Sie erziehen mich und gestatten mir, daß auch ich Ihnen diesen Dienst hin und wieder erweise. Und was die Zukunft betrifft, so bin ich überzeugt, daß nicht die düsteren Prophezeiungen der Kassandra, sondern der frohe Glaube des Ulanen Recht behält.“

Der Hausherr erhob sich mit dem ersten Glase Champagner in der Hand und toastete auf das gute Einvernehmen zwischen Wehrstand und Lehrstand.

Melanie, die das junge Paar nicht aus den Augen ließ, schüttelte leise den Kopf dazu.

Ereme hielt ihr Glas lässig in der Hand, aber Bartenstein stieß muthig an.

Von den Tischen der Jugend tönte lautes Jubeln. „Prosit, Erlaucht, ich komme Ihnen eins,“ rief ein junges Mädchen.

„Meine Gnädigste, ich lege mich zu Füßen,“ lautete die Antwort.

Elsa rief: „Hurrah!“ und hob ihr Spitzglas hoch empor.

Ihre Mutter warf der Hausfrau einen flehenden Blick zu, worauf diese die Tafel aufhob.

Als die Gesellschaft aus dem Speisesaale zurückgekehrt war, zog Ereme ihre Fingerspitzen von Bartenstein’s Arm hinweg und erwiderte seine tiefe Verbeugung mit einer flüchtigen Bewegung des Hauptes, die eher einer stummen Verneinung als einem Gruße glich.

Da hörte sie eine warme Stimme an ihrem Ohr: „Ihnen gönne ich ihn; denn Sie sehen reizend zusammen aus. Wissen Sie, wie er mit dem Vornamen heißt? Witold.“ Es war Elsa, die ihr durch den Schaumwein geöffnetes Herzchen vor Ereme ausschüttete.

Ereme sah sie verwundert und unwillig an; aber Elsa’s Großmuth wurde gelohnt; denn als Bartenstein sie so zärtlich an Ereme geschmiegt sah, engagirte er sie.

Im raschesten Tempo flog er mit ihr durch den Saal. Unwillkürlich folgte ihm Ereme mit dem Blicke nach. Wie schön sah er aus! Wie energisch markirte der schmale Fuß den Beginn jedes neuen Walzertactes! Da fiel ihr plötzlich die Fußspur im Garten ein.

Sollte es möglich sein?

O, ihm war auch diese Keckheit zuzutrauen. Er fürchtete selbst eine Entdeckung nicht.

Sie mußte an den schönen Athener denken, der durch einen wilden Tanz sein Glück, die Hand einer Königstochter, die ein Reich zu vergeben hatte, verscherzte und sich darüber mit dem leichtfertigen Worte tröstete, das in Hellas zu einem geflügelten wurde: Was macht sich Hippokleides daraus? Was macht sich Witold daraus? übersetzte sie.

Im nächsten Augenblicke überwallte sie heiß der Zorn, daß sie den Namen gemerkt hatte. Sollte derselbe sie nun auch verfolgen, wie Alles, was mit diesem selbstbewußten Mann zusammenhing, ihrem Gedächtniß eingebrannt schien?

Elsa tanzte glückselig in Witold’s Arm vorüber. Ein Gefühl von Widerwillen stieg in Ereme gegen das junge Mädchen auf. Sie suchte die Ursache desselben darin, daß Elsa ihr den Namen aufgedrängt hatte. Mit düsterem Ausdrucke sah sie dem Paare nach.

Da zuckte sein Blick plötzlich zu ihr herüber, und er lächelte zufriedengestellt, als er ihren Augen begegnete.

In tiefster Empörung über ihn und über sich selbst wandte Ereme sich ab.

Warum hatte sie ihm nachgesehen? Das mußte ja den eitlen Mann immer wieder von seiner Unwiderstehlichkeit überzeugen.

Die Perlmutterstäbe ihres Fächers rauschten klappend zusammen.

Sie suchte ihre Tante auf und empfahl sich mit dieser der Hausfrau.

Mit vom Champagner gerötheten Wangen kam Gerhard zu Melanie, die dem Tanze zusah.

„Wie der wiegende Rhythmus die Paare beherrscht!“ sagte er, in den Saal hineinschauend. „Selbst ein so ungebundener Naturmensch wie dieser Herr von Bartenstein fügt sich, wenn auch unbewußt, diesem ästhetischen Gesetz.“

Der Oberst, der neben Melanie stand, blinzelte ihn schlau an. „Wollen Sie nicht auch einmal dasselbe mit Bewußtsein über Ihren Gliedmaßen walten lassen?“

Gerhard knöpfte die Händschuhe zu und eilte in den Saal.

Da er Thusnelda, die Tochter des Professors der Geschichte engagirte, leuchteten die Augen ihrer Mutter auf, als steige ein Hoffnungsstern empor. Sorgfältig breitete sie die blonden gekreppten Haare der Tochter auf dem blauen Grenadinekleid aus, bevor diese dem Doctor folgte.

Sobald er seine ersten Pas machte, entfaltete Melanie ihren Husarenfächer und war nicht zu bewegen, über denselben hinweg einen Blick nach ihrem jungen Freund zu werfen.

Der Oberst lachte und murmelte: „Ein sehr verdienstvoller junger Gelehrter, dieser Herr Doctor Gerhard. Aber keine Spur von wiegendem Rhythmus. Er zieht vor, staccato zu tanzen.“

„Nichts ist so schwer in der Jugend, als über sich selbst in’s Klare zu kommen,“ entschuldigte Melanie.

Der Oberst nickte ihr schelmisch zu. „Ich glaube, er tappt noch nach mancher andern Seite hin im Finstern. Aber es werden ihm schon die Augen aufgehen.“

Gerhard kam nach seiner Extratour mit strahlendem Gesicht zu Melanie zurück und setzte sich neben sie.

„Fräulein Thusnelda ist eine sehr hübsche junge Dame,“ bemerkte sie.

„Wer?“ fragte er.

„Sie haben ja eben mit ihr getanzt.“

Gerhard lachte. „Das weiß ich gar nicht. Wer kann diese jungen Mädchen von einander unterscheiden, die sämmtlich geistig nichts sind!“

Melanie drohte ihm mit dem Fächer. „Sagten Sie nicht, daß ein Mann der Reflexion Geist bei den Frauen nicht suche?“

Er erwiderte ihr Lächeln mit einem zärtlichen Blick. „Ja; aber ich sehe ein, daß alle diese Sätze unendlichen Modificationen unterworfen sind.“ Er rückte näher und flüsterte ihr zutraulich zu:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_686.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)