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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 42.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


„Fanfaro.“
Novelle von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Die Gesellschaft ordnete sich zu einem langen Zuge nach dem Speisesaale. zuerst der Rector Magnificus mit der Gemahlin des Obersten am Arme, und der Oberst, die Hausfrau führend, die Anderen schlossen sich an: die Professoren mit den geneigten Denkerstirnen und dem in sich gekehrten Blicke, die Officiere mit den scharfen, jede Situation sofort erfassenden Augen. Ihnen zur Seite schritten die Damen, dann kamen die jungen Mädchen in blau, rosa und gelb getaucht, als wollten sie Vergißmeinnicht, Röschen und Butterblümchen darstellen, von jungen Officieren geleitet, welche schon leise darüber räsonnirten, daß sie an dem „Trompetertisch“ sitzen würden, und junge Studenten im ersten Semester, die in Folge ihrer Schüchternheit nur Mädchen im letzten Semester der Ballfähigkeit erlangt hatten und sich heimlich etwas von „ledernen Damen“ zuraunten.

Als Ereme an Bartenstein’s Arm sich einreihte, ging abermals ein Aufsehen durch die Gesellschaft.

Miß Smith blickte ihre Gastfreunde an, die vor ihr standen wie Geschäftsleute, die Etwas auf Accord übernommen haben und nicht zu liefern im Stande sind. Da trat Kronheim heran, bot ihr den Arm und began so gewandt und gleichgültig, wie er Alles zu thun pflegte, englisch zu sprechen. Neuere Sprachen hatte er als Specialstudium für die Kriegsakademie gewählt.

Elsa flog auf Melanie zu, drückte ihr krampfhaft die Hand, während ihre Augen dem schönen Paare folgten, und sprach mit schwerer Betonung: „Und mich führt ein junger Ratz.“

„Wer?“ fragte Melanie, schon an Gerhardt’s Arm.

„Heißen denn die ganz jungen Studenten nicht so, die Gegensätze zu den Moosköpfen?“ fragte Elsa.

„Fuchs und bemoostes Haupt,“ belehrte Melanie sie noch eilig und schloß sich dem Zuge an.

Dieser umkreiste die mit Blumen und Fruchtschalen geschmückte Tafel; dann rückten die Stühle auf dem glatten Parkett; die Damen legten ihre langen Schleppen zierlich um die Füße wie Kätzchen ihre Schweife; die Gesellschaft ließ sich nieder.

Melanie hatte ihren Herrn so zu dirigiren gewußt, daß sie Ereme gegenüber saß; sie konnte sich das Vergnügen nicht versagen, das interessante Paar zu beobachten.

Während Ereme die langen Handschuhe abstreifte, breitete Bartenstein ihren Fächer aus und betrachtete das Bild auf demselben, das den Zephyros darstellte, einen Jüngling mit einem blumengefüllten Mantel.

„Selbst der Fächer ist griechisch,“ tadelte er. „Da gefällt mir der von Fräulein von Seebergen besser. Ich sehe, wenn ich nicht irre, einen Kalpak darauf.“

Melanie entfaltete ihn, und es zeigte sich ein bezopfter Ziethenscher Husar, der seinen Arm um die Wespentaille eines sich sträubenden Dämchens schlang, die mit einer Rose und einer Perlenschnur im gepuderten Haar geschmückt war.

„Er macht das Recht des Stärkeren geltend,“ rief der Hausherr heiter herüber.

Die Herren lachten, Melanie schob ihren Fächer zusammen, und Bartenstein, den Ereme’s gehaltenes Wesen stets zu neuer Neckerei antrieb, sagte: „Die alten Griechen würden die Dame dargestellt haben, wie sie den Husaren mit einem Feldstein niederschlägt. Bei uns siegt natürlich immer der Mann.“

„Sind Sie dessen so gewiß?“ fragte Ereme von oben herab. „Im ersten Ansturme mag die rohe Kraft Vortheile erringen, den letzten entscheidenden Sieg trägt stets die höhere Bildung davon.“

Der Professor der Geschichte, ein kleiner Herr mit großem Haupte, um das sich dicke graue Locken bauschten, lachte hinterhaltig und fragte seinerseits: „Sind Sie dessen so gewiß, Fräulein Clusius? Bedenken Sie: Als die Cultur der Griechen so hoch gestiegen war, daß ein Archimedes durch Brennspiegel Krieg führen wollte, wurden die viel plumperen Römer, die aber die ursprüngliche Kraft für sich hatten, Herr über sie, und ein gemeiner Soldat stieß den großen Rechenkünstler nieder.“ Und er verspeiste eine pikante Kaper aus seinem Muschelragout.

„Denken Sie, Herr Professor,“ entgegnete Ereme, „an das hochgebildete äolische Volk, das ein wildkräftiger thessalischer Reiterstamm überfiel, seine der Athene geweihten Altäre umstürzte und es unterjochte –“ Bartenstein’s brauner Bart kräuselte sich unter einem muthwilligen Lächeln. Er schenkte Ereme’s Glas voll und sah ihr dabei in die hoheitsvoll blickenden Augen. Doch ernst wie eine Verkündigerin der ewigen Gerechtigkeit führ sie fort: „Aber allmählich richtete sich das Culturvolk auf. Mit den feinen Waffen der Bildung begann es den Kampf gegen die rohe Gewalt; unmerklich drängte es dieselbe zurück und unterwarf den siegestrunkenen Eroberer.“

Melanie erschrak über die leise bebenden Lippen Ereme’s und den Uebermuth in Bartenstein’s Zügen. „So führte die Vereinigung zum Segen für beide,“ bemerkte sie. „Die Thatkraft brachten die Thessalier, die Aeolier die Bildung. Sie konnten zufrieden sein.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_685.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2022)