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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Und wir handelten, Hildebrand, wir handelten, aber seine erste Bedingung breche ich jetzt. Ich mußte ihm schwören, nie unsere Verbindung und meine Erlebnisse zu verrathen, nie das Liebeswerben eines anderen Mannes anzunehmen, stets ihm zu gehorsamen und, als Zeichen meiner Treue für ihn, diese schwarze Sammetschleife zu tragen.

Da hast Du mein Geheimniß! Auch die treue Wilhelmine kennt es nur halb.

Nachdem ich jene mir von ihm vorgeschriebenen Bedingungen mit den heiligsten Eiden beschworen hatte, gab er mich äußerlich frei und gestattete mir, in derselben Nacht mit einem von ihm herbei geschafften Wagen allein nach Leipzig zurück zu reisen.“

„Teufel von einem Mann!“ rief Einsiedel aus. „Was konnte ihm daran liegen, diese Komödie, dieses Bubenstück mit Dir aufzuführen? Denn daß Alles Lug und Betrug war, glaube ich fest. Ich meinte, er habe Dich doch, trotz äußerer Kühle, mit heißer Leidenschaft geliebt. Er habe Dich besitzen wollen. Wenn das aber abgeschlossen ist, wozu die Mühe, Dich zu umgarnen?“

„Dieselbe Frage habe ich mir anfänglich oft vorgelegt. Vielleicht ist in ihm etwas von der Jagdlust des Raubthiers, welches sich an den Qualen der Beute freut; dem das Erhaschen, Zappelnsehen eine Wollust ist. Und dann: er konnte mich in meiner Abhängigkeit gebrauchen! Wie oft habe ich nicht von ihm Befehle empfangen und befolgt, an deren Ausführung ihm vielleicht etwas lag! Ich war stets sein willenloses Werkzeug für geheime Intriguen und bin in Folge meiner Stellung als Künstlerin mit vielen einflußreichen Leutn in Berührung gekommen. Ja, ich gehorchte ihm, denn ich zitterte und zittere noch, ihn zu erzürnen! Ich bin wie ein hülflos flatternder Schmetterling in seiner starken Hand: er gönnt mir Luft zum Athmen so lange es ihm gefällt; drückt er die Hand zu, ist Alles aus.

Sein vor Zeugen ihm angetrautes Weib bin und bleibe ich, in eine Scheidung wird er nie willigen; lehne ich mich gegen ihn auf, so kann er Rechte geltend machen, an die nur zu denken mich mit Entsetzen erfüllt!“

Hildebrand von Einsiedel, der Poet und Idealist, der feine Hofmann und doch so treue kindliche Mensch, war nicht gemacht, die Geliebte aus diesem Netz geheimer Ränke zu befreien. Wäre er aber auch ein Haudegen, ein energischer, welterfahrener Mann gewesen, Corona’s grenzenlose Angst vor ihrem Gebieter, ihre Furcht, nur an die Kette zu rühren, die sie umschlossen hielt, würden seine Thatkraft gelähmt haben.

Sie wollte weiter nichts, als ihm begreiflich machen, daß an eine eheliche Verbindung zwischen ihnen Beiden nicht zu denken sei, und Hildebrand’s weichem, passivem Charakter gegenüber glückte ihr dies Vornehmen bald.

Er gelobte ihr Schweigen und endlich, doch nach manchem Kampf — Entsagung.

Sie versprach, ihn ewig als Freund, als Bruder zu lieben. So schieden sie, auf einer neuen Stufe ihres Verhältnisses zu einander angelangt.


(Fortsetzung folgt.)


Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Vor einiger Zeit kam aus Frankreich die überraschende Kunde, daß jenes schwierige Räthsel, welches seit Jahrhunderten die Menschheit beschäftigte, endlich gelöst sei, daß es dem Genius der Sterblichen gelungen ist, in dem großen Luftocean nach Belieben in jeder Richtung zu segeln. In der That erhob sich am 9. August dieses Jahres aus dem Umkreise der militärischen Luftschifffahrtsanstalt in Meudon ein Ballon, der einer Riesencigarre glich; sicher bewegte sich der Koloß gegen Villacoublay, beschrieb hier majestätisch einen großen Kreis und kehrte an seinen Abfahrtsort zurück, an dem er mit großer Präcision landete. Diese Thatsache läßt sich nicht bestreiten, zum erstell Male ist es einem Luftschiffer gelungen, nicht allein gegen den Wind zu „fliegen“, sondern auch an den Ort, von dem er in die Höhe gestiegen war, zurückzukehren. — Wir haben bereits in unserem Artikel „Hundert Jahre der Luftschifffahrt“ („Gartenlaube“ Jahrg. 1882, S. 215) ausführlich die an positiven Errungenschaften so überaus arme und an phantastischen Projecten so reiche Geschichte der Aeronautik beschrieben. Dort haben wir auch jene Versuche gewürdigt, die angestellt wurden, um gewöhnliche Luftballons durch Luftschrauben, Segel und Ruder lenkbar zu machen. Giffard und Dupuy de Lôme in Frankreich und Haenlein in Deutschland haben zuerst diese Idee zu verwirklichen gesucht, und ihnen folgten bald Andere. In den letzten Jahren hatten namentlich die Versuche von Baumgärtner und Wölffert die Gemüther lange Zeit beschäftigt. Alle diese lenkbaren Luftballons sollten durch Luftschrauben vorwärts bewegt werden, nur in der Construction derselben und in der Anwendung der bewegenden Kräfte gingen die Anschauungen der Erfinder aus einander. Die einen wollten mit Menschenkraft ihr Ziel erreichen, die anderen nahmen zu kleinen Dampfmaschiunen oder Gasmotoren ihre Zuflucht.

Die Frage trat in ein neues Stadium, als vor wenigen Jahren Gaston und Albert Tissandier die Elektricität als treibende Kraft anwandten. Es ist ihnen gelungen, ihrem „elektrischen Luftschiffe“ eine Eigengeschwindigkeit von 3 Metern in der Secunde zu geben, aber sie konnten mit dieser verhältnißmäßig geringen Kraft selbst den Widerstand eines schwachen Windes nicht besiegen. Es war nun den französischen Officieren Ch. Renard und Arthur Krebs vorbehalten, einen besonders leichten und kräftig wirkenden elektrischen Motor zu erfinden, der ihrem Ballon eine größere Eigengeschwindigkeit verlieh. Dabei hatten sie das Glück, daß während ihres ersten Versuches am 9. August dieses Jahres die Luft äußerst ruhig war und die Geschwindigkeit des Windes, gegen den sie ihren Cours nahmen, nur 1 Meter in der Secunde betrug. Ohne den Ruhm der beiden Forscher schmälern zu wollen, muß mall doch erklären, daß ihre gelungene Fahrt für die praktische Anwendung der Luftschifffahrt nicht von entscheidender Bedeutung ist. Was andere Forscher im geschlossenen Raume an Modellen uns gezeigt haben, das führten jetzt die beiden Officiere im Freien aus, und das Resultat ihres Versuches bestätigt das, was wir längst wußten, daß besonders construirte Luftballons unter günstigen Bedingungen sich gegen den Wind fortbewegen und lenkbar sein können. Die beiden Erfinder müssen uns noch den Beweis liefern, daß sie mit ihrem Luftschiffe auch gegen einen mäßig starken Wind aufkommen, dann erst wird Niemand leugnen, daß ihre Erfindung von der größten praktischen Bedeutung sei.

Das lenkbare Luftschiff von Ch. Renard und A. Krebs.

Von dem neuen Ballon der Herren Renard und Krebs wissen wir nur, daß er 50,42 Meter lang, 8,4 Meter breit ist, und daß die in der Gondel aufgestellte elektrodynamische Maschine einen Arbeitseffect von 8 1/2 Pferdekräften hervorbringt. Das Gesammtgewicht des Ballons, die Passagiere mit gerechnet, soll 2000 Kilogramm betragen. Auf unsrer Abbildung sehen wir an der Gondel des Ballons rechts die Luftschraube und links unter dem Wimpel das Steuer befestigt. Alle Details werden von den Erfindern unter dem Vorwande des Geschäftsgeheimnisses verschwiegen, und so ist es auch nicht möglich, sich über den Werth ihrer Erfindung ein genaueres Urtheil zu bilden.

V.



Blätter und Blüthen.

Ein Besuch bei Watteau. (Mit Illustration S. 673.) Man könnte behaupten, viel mehr Leute wüßten, was à la Watteau gemalt ist, als was Watteau gewesen. Ein Park, ein Teich, eine Gesellschaft Damen und Herren im Rococo-Costüm, gondelnd, lagernd, plaudernd — à la Watteau. Ein ungemein einfaches Recept.

Was Watteau, Jean Antoine Watteau selbst betrifft, so war er ein französischer Maler des 18. Jahrhunderts, geboren vor gerade zweihundert Jahren: im October 1684 zu Valenciennes, gestorben 1721 zu Nogent an der Marne, und für eine gewisse Höhe des Lebens und Schaffens gleichsam von Geburt prädestinirt, denn sein Vater war Dachdecker. Er malte in Paris — selbstverständlich, und zwar seit 1702; zuerst bei einem Coulisselnmaler, dann bei einem Dutzendbilder-Händler, dann bei zwei wirklichen Malern, von denen der zweite Decorationsmaler war. Hierauf studirte er Rubens und malte dann für sich, und zwar so glücklich, daß er schon 1717 Akademiker wurde. Er war eines der kurzlebigen Genies, die sich in dreißig bis vierzig Jahren aufzehren, bald verwöhnt, kränklich, hastig, unruhig.

Aber ein Genie! Man kann nicht sowohl von ihm sagen: er malte seine Zeit, als: er malte das Vergnügen seiner Zeit, der Zeit des Reifrocks

und der Perrücke und des galanten Amüsements. Er malte, wie

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