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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Rabot-Thor in Gent.
Originalzeichnung von H. Schlittgen.

an der Universität, einen vortrefflichen Führer. Die Stadt Gent, die Hauptstadt von Ostflandern, erfreut sich einer erneuerten Blüthe. Sie ist jetzt vorzugsweise Fabrikstadt und der Sitz zahlreicher Spinnereien und Webereien, sowie von Spitzen- und von Maschinenfabriken. Ihre Handelsgärtnerei erfreut sich einer großen Berühmtheit. Nicht minder die Spitzenklöppelei. Im Mittelalter war die Tuchweberei das Hauptgeschäft. Die Weber waren sehr streitbare Leute und stets bereit, zu den Waffen zu greifen. Die Stadt hat jetzt über 132,000 Einwohner; und ich glaube, daß sie auch im Mittelalter nicht viel mehr gehabt hat. Die gegentheiligen Angaben beruhen wohl auf Uebertreibung, wie dies Friedrich Oetker in seinen „Belgischen Studien“ nachgewiesen.

Kaiser Karl V., der hier im „Prinzenhof“ geboren ist, einem Gebäude, das schon lange verschwunden und nur in einem Straßennamen einen Niederschlag zurückgelassen, hat einen Aufstand der Stadt benutzt, um ihre Selbstverwaltung zu beschränken und ihr die politische Rechte, die ihr von seinen Vorfahren so reichlich verliehen worden waren, ganz zu entziehen. Dagegen entfaltete die Stadt unter ihm die höchste wirtschaftliche Blüthe. Die Blüthe von Brügge aber ging mit dem Mittelalter zu Grabe, während die von Gent noch lange fortdauerte; und in diesem Gegensatz zwischen beiden Städte liegt auch die Verschiedenheit ihres heutigen Charakters und Aussehens begründet. In Gent ist der Periode der Gothik eine solche der Renaissance gefolgt; die letztere hat versucht, die gothischen Baudenkmale (von welchen vorzugsweise noch einzelne Thore erhalten sind, wie das hier abgebildete alte Rabot-Thor, an welchem Friedrich III. eine Schlappe erlitt, als er 1488 seinem Sohn Max zu Hülfe eilen wollte) zu verdrängen, zu überbieten oder gar zu „verbessern“, das heißt oft: zu verballhornen. Das Rathhaus ist dafür ein sprechendes Beispiel: an den alten Bau, der ein Meisterwerk gotischer Baukunst, hat man einen neuen Flügel angebaut, der sich mit der ganzen anspruchsvollen Pracht des Renaissancestils präsentiert, ohne den Eindruck des alten gotischen Hauses verwischen zu können, während der Gegensatz zwischen beiden Theilen dem Gesammteindruck des Ganzen nur schadet.

In Brügge dagegen hörte mit dem Mittelalter und seiner Kunst auch der Wohlstand der Stadt auf. Damit entging man der Versuchung, den einheitlichen architektonischen Charakter der Stadt durch Renaissance- und später durch Barockstil zu stören. Leider hat man Manches niedergerissen, weil man keine Mittel hatte es zu unterhalten, vielleicht auch keinen Geschmack, um es zu würdigen.

Gent bietet gleichwohl in seiner Kathedrale, in seinem Beffroy, in seinen Bildern, in seinen Beguinenhöfen eine Anzahl von Sehenswürdigkeiten, welche eine eingehende Besprechung verdienen, aber wegen Mangel an Raum hier nicht finden können.




Brausejahre.
Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)
25.

Corona Schröter hatte an dem Abend in Tiefurt, als sie, erschüttert von jener Begegnung im Park, mit Einsiedel zu Tisch saß, ihrem treuen Verehrer das Versprechen völliger Offenheit gegeben. Vertrauensvoll wollte sie ihm endlich die Gründe darlegen, welche sie hinderte, sein Liebeswerben anzunehmen. Es ward ihr sichtlich schwer, seinem Flehen und Drängen um Aussprache zu willfahren, aber sein Zweifeln an ihrer Empfindung für ihn, seine trübe Klage über seinen Unwerth, seine ungenügende Begabung, Stellung, Besitz – für sie, die er so hoch hielt, rührten ihr Herz tief.

Die schöne Sängerin saß wenige Tage später, den Freund erwartend, bang und niedergeschlagen in ihrem Zimmer; das siegreiche Auge gesenkt, die Wange bleich, war sie mit den im Schoß gestalteten Händen kein Bild glücklicher Liebe.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_680.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2022)