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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

aber für die Geschichte der Buchdruckerei, der Wissenschaften, des Verlags und des Buchhandels interessiren.

Christophorus Plantinus, der dies Haus gründete, war einer jener großen Drucker des 16. Jahrhunderts, welche die Erfindung der Buchdruckerei gemeinnützig machten für die ganze Menschheit. Von kleinsten Anfängen ausgehend, gewann sein Geschäft eine Ausdehnung, daß es sich über ganz Europa erstreckte und er mit den mächtigsten und größten Männern seiner Zeit in Correspondenz stand. Unter seinem Schwiegersohn Moretus und dessen Nachkommen wurde das Geschäft in gleichem oder größerem Umfange fortgesetzt und Jahrhunderte lang wurden die Schätze der Druckerei, des Buchhandels, der Bibliothek, der Bildergallerie und des Archives aufbewahrt und vermehrt in dem nämlichen Hause, worin sie sich noch heute befinden, – in diesem großen und alten Hause, dessen innerer Hof mit Säulengängen umgeben und von einem uralten mannsdicken Weinstock überwachsen ist, der mit seinem frischen, von Sonnenstrahlen durchzitterten Grün die alten röthlich strahlenden Wände ausschmückt. Seit 1873 ist das Ganze im Besitze der Stadt, welche es seit 1877 dem Publicum zugänglich gemacht hat, während der Director des Museums, Max Rooses, und Max Buelens, der verdienstvolle Verfasser der „Annales Plantiniennes“, die in der Domus Plantiniana angehäuften Schätze für die Wissenschaft verwerthen.

Flandrische Mädchen am Massys-Brunnen in Antwerpen.

Das alte Haus der Osterlinge, die maison hanséatique, steht hier in Antwerpen noch, während sie in Brügge gänzlich verschwunden ist.

Wir finden das zwar stattliche, aber sehr verwahrloste Haus am nördlichen Ende der Stadt zwischen dem großen und dem kleinen Bassin. Die drei Quais, welche dasselbe auf der West-, Nord- und Ostseite umgeben, sind nach Hamburg, Bremen und Lübeck benannt. Das Gebäude wurde zwischen 1564 und 1568 aufgeführt, und damalige Schriftsteller behaupten, es sei einem königlichen Palaste vergleichbar. Allein kurz darnach erfolgte der Sturz Antwerpens (1583) und bald darauf begann auch der Verfall der Hansa. Die Mittel zur Unterhaltung des Hauses waren schwer aufzubringen. Das Eigenthum ging ausschließlich auf Hamburg, Bremen und Lübeck über, welche allein sich noch der Sache annahmen. Endlich im Jahre 1863 wurde dasselbe an Belgien übertragen, für eine Million Franken, welche Summe bei Ablösung des Scheldezolles verrechnet wurde. Wenn man sich ein lebendiges Bild machen will von diesem Haus in Antwerpen, so muß man die genaue Beschreibung des „Hauses der Orientalen“ oder Osterlinge von Brügge nachsehen, welche sich in dem Archive der Stadt Köln befindet und die August Reichensperger, unter Beigabe der betreffenden Zeichnung, in seiner Sammlung „Allerlei aus dem Kunstgebiete“ (Brixen, 1867), mit interessanten Randglossen publicirt hat. Der Mangel an Raum zwingt mich, auf die weitere Ausführung dieses höchst interessanten Stoffes zu verzichten. Ich erwähne nur noch den „Quintin Massys Brunnen“, ein Werk aus Schmiede-Eisen, angeblich von dem berühmten Massys, der seiner Zeit Grobschmied und dann ein berühmter Maler („in sijnen tyd grofsmidt en darnaer famus schilder“) war, und den Gottfried Kinkel in seinem „Grobschmied von Antwerpen“ besungen. Unsere nebenstehende Abbildung zeigt den alten Brunnen und einige junge Dirnen, welche ebenso, wie das Milchmädchen auf dem andern Bilde, S. 677, an Kinkel’s Verse erinnern:

„Und seht Ihr Euch das Mädchen an –
Ich weiß nicht, ob’s Euch ganz gefiele –
Es ist kein Weib für jeden Mann,
Etwas im kräftigen Pallas Stile“ etc.

Auch muß ich schließlich noch des schönen Festes gedenken, das uns an dem letzten Abend die deutsche Colonie in Antwerpen in den zu diesem Zwecke gemietheten Räumen des „Cercle artistique, littéraire et scientifique“ gab, einer Gesellschaft, in welcher sich das ganze Culturleben der Stadt concentrirt hat und deren prachtvolle Räume die besten Maler des Landes durch schenkungsweise hierher gestiftete Bilder ausgeschmückt haben in einer Weise, wie sie kein anderes Gesellschaftslocal aufweist. Die Gesellschaft war indeß keineswegs ausschließlich hanseatisch. Man hörte auch viel Blamisch und Französisch. Auch Süddeutschland und die deutsche Schweiz waren vertreten; und wenn ich an den Hader der Parteien und den Krieg der Interessen in Deutschland dachte, so sagte ich mir: „Was vertragen sich doch die Deutschen so herrlich – im Auslande!“

Den Kopf noch voll herrlicher Erinnerungen an den schönen Abend, machten wir am andern Morgen einen sehr langen Gänsemarsch von unserem „Schwan“ (den wir seinem Schicksal überließen, um ihn in Ostende oder Brügge wiederzufinden), die neuen Quais entlang, und an dem alten „Steen“ (siehe die Abbild. S. 677) vorüber – ursprünglich ein Theil der alten Burg, dann Sitz der spanischen Inquisition, die hier noch allerlei Einrichtungen raffinirtester Bosheit und Grausamkeit zurückgelassen, und jetzt ein ganz sehenswerthes Museum von Alterthümern – an die Waesbahn, station du Pays de Waes, wo wir auf das linke Ufer der Schelde übersetzten und, immer noch den Blick auf die thurmreiche Stadt gerichtet, uns auf der Eisenbahn nach Gent einschifften. Wir kamen gegen elf Uhr dort an und unersättliche oder sagen wir lieber wißbegierige und fleißige Touristen, wie wir nun einmal sind, nahmen wir uns kaum Zeit zum Frühstücken und stürzten uns gleich wieder auf die Sehenswürdigkeiten. Wir hatten dabei an Herrn Dr. Frederick, Professor der Geschichte und der Literatur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_679.jpg&oldid=- (Version vom 16.10.2022)