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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Von der hansischen Flanderfahrt.

Von Karl Braun-Wiesbaden. Mit Illustrationen von H. Schlittgen.
I. Hamburg. Helgoland. Emden. Amsterdam.

Als wir uns zur Abreise anschickten, sagte mein sechsjähriger Enkel Hellmuth: „Der Papa geht zur Flunderfahrt, und der Großpapa geht auch zur Flunderfahrt.“

Wie Flundern aussehen und schmecken, wußte der Junge. Von Flandern wußte er nichts. Es ist immer besser: das Kind sagt etwas unrichtiges, aber es denkt sich etwas dabei, als es sagt etwas Richtiges und denkt gar nichts.

Die gedachte Aeußerung ruft mir indeß die Verpflichtung in das Gedächtniß, zu sagen, was die „hansische Flanderfahrt“ ist, und wie sie entstanden. Geplant ist ursprünglich die Sache von Mitgliedern des hansischen Geschichts-Vereins, der sich zur Aufgabe gesetzt hat, die Geschichte der deutschen Hansa und der zu ihr gehörigen Städte zu erforschen, eine Aufgabe, die ganz Deutschland angeht und von jedem guten Reichsbürger, der dazu im Stande ist, mit Geld oder mit Arbeit unterstützt zu werden verdient.

Aus diesem Kreise also ging 1881 der Plan hervor, auf einem zu diesem Zwecke gemietheten Dampfer eine gemeinsame Fahrt nach den alten hanseatischen Städten der Ostsee zu machen. Ihr Ziel war Wisby[1] auf der Insel Gothland, das im 13. Jahrhundert die Führung hatte, und wir kehrten dann zurück nach Lübeck, das die Nachfolgerin von Wisby wurde. Als wir uns trennten, wurde der Wunsch laut, daß dies nicht die letzte Hansefahrt und daß man darauf bedacht sein möge, auch einmal den Kiel nach Westen zu lenken, um dort in die Fußstapfen der alten hanseatischen Vorfahren zu treten. Der Wunsch wurde zur That, und als unser auf der Wisbyfahrt so rühmlich bewährter Führer, Herr J. D. Hinsch von Hamburg, im Namen des aus Mitgliedern von Hamburg, Bremen und Lübeck zusammengesetzten Comités, an dessen Spitze er steht, die Einladung erließ zur „hansischen Flanderfahrt von 1884“, welche am 19. Juli in der Frühe angetreten werden und uns über Helgoland nach dem ostfriesischen Emden, dann nach der holländischen Handelsmetropole Amsterdam und endlich nach den an hanseatischen Erinnerungen so reichen belgischen Städten Antwerpen, Gent und Brügge führen sollte, erfolgten noch zahlreichere Anmeldungen als zur Wisbyfahrt von 1881. Damals fuhren wir unter dänischer Flagge auf dem Dampfer „Heimdal“. Diesmal aber hatten wir einen deutschen Dampfer, ein ganz neues Schiff, Eigenthum des „Norddeutschen Lloyd“ in Bremen, genannt „Der Schwan“. Er führte die deutsche Flagge und daneben noch die von Bremen und die des Lloyd; bei festlichen Gelegenheiten aber, wozu stets Ankunft und Abfahrt gehörten, entfaltete er daneben noch einen besonderen Flaggenschmuck von allen möglichen Farben. Er machte eine stattliche Figur und erregte namentlich in Brügge, wohin sonst so große Schiffe nicht kommen, Aufsehen. Unsere Zeichnungen geben ein getreues Bild von demselben in seinen verschiedenen Situationen.

Ein großer Theil der Gesellschaft fand sich schon am Vorabende in Hamburg auf dem Schiff ein, um dort zu übernachten. Ich freute mich, eine große Anzahl alter Freunde und Bekannter begrüßen zu können, namentlich auch Wisbyfahrtgefährten und Gefährtinnen. Da waren Senator Versmann von Hamburg und Bürgermeister Burchard von Rostock, beide mit Damen. Desgleichen Justizrath Haeusler von Braunschweig, ferner Senator Dr. Klügmann von Lübeck, Senator Rapp von Hamburg, Senator Brandenburg von Stralsund, Oberbürgermeister von Ibell von Wiesbaden, Dr. Gaederz von Lübeck, Schierenberg von Frankfurt, Dr. Schiemann und andere deutsche Männer aus Reval sowie aus Riga. Auch die Reichshauptstadt war, wenn auch nicht zahlreich, denn doch würdig vertreten durch den Abgeordneten Stadtsyndikus Zelle und seinen Bruder, den Dr. Zelle, den Liebling der Gesellschaft. Natürlich durfte auch Dr. Koppmann von Hamburg, jetzt Archivdirector in Rostock, nicht fehlen, der auch diesmal für die Flanderfahrt, so wie er 1881 für die Wisbyfahrt gethan hatte, uns einen gedruckten Führer verfaßt hat, der neben sonstigem verdienstvollen Inhalt überall die Beziehungen der zu besuchenden Orte zur Hansa und zu den deutschen Hansestädten und die in jenen noch vorhandenen, der gedachten Beziehung ihren Ursprung verdankenden Denkmale in lehrreichster Weise und zweckdienlicher Kürze hervorhebt. Um es kurz zu sagen: Dr. Koppmann war der geistige, und Herr Hinsch der leibliche oder wirthschaftliche Führer der Gesellschaft, ein Führer, der Alles wußte, Alles ordnete und Jedermann half mit einer Bereitwilligkeit, die niemals auch nur von einem Schatten übeler Laune getrübt war. Er hatte auch an allen Orten, die wir besuchten, vorher schon die nöthigen Verbindungen hergestellt, sodaß wir überall willkommene Gäste waren und für jede Stätte die besten einheimischen Führer und Rathgeber fanden.

Am Tage der Abfahrt hatten wir Gelegenheit, den stolzen Mastenwald Hamburgs zu bewundern. Der großartige Stromverkehr

  1. Vergl. Nr. 41, Jahrgang 1881.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_660.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2022)