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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 39.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


„Fanfaro.“

Novelle von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Ereme schritt in fluchtähnlicher Eile nach ihrem Schlafgemach. Sie hatte im Gartensaal vor der Statue der Athene plötzlich das Gefühl gehabt, als sei sie nicht mehr allein, als trete ein Fremdes an sie heran und ziehe sie gewaltsam von ihrer Betrachtung ab.

Unheimlich berührte sie der Zwang. War es die Entrüstung über die dreiste Verfolgung des verwegenen Ulanen, die in ihren Nerven nachzitterte? War es ein drohendes Unheil, das ihre Seele ahnte? Doch was hatte sie noch zu fürchten? Was konnte ihr noch genommen werden? Sie war die Einsame, die keinen Lebenden mehr liebte und von keinem geliebt wurde.

Sie begab sich zur Ruhe.

Aber bis in den Traum verfolgten sie trübe Vorstellungen. Sie hörte klagende Stimmen. Athenerinnen waren es, die mit gramvoll gefurchten Stirnen gleich Niobiden durch die Straßen flohen. Auch ihr Herz war wie zusammengeschnürt. Lanzenstarrende Schaaren jagten unter wilden Klängen heran und schlossen die Stadt ein, und nun tönte der Jammerruf, Poseidon habe die heilige Salzquelle versiegen lassen. Laut schmetterte es in ihr Ohr: „Wehe, verlechzet und trocken sind Meerpferd’ sowohl als Delphine.“

Entsetzt fuhr sie aus dem Schlafe auf.

Es war heller Tag.

Gezeter und Getöse schallte vom Universitätsplatz herauf. Sie warf das Morgenkleid über und trat an das Fenster.

Vor ihr im rosigen Frühlicht lag das Steinbassin des Universitätsbrunnens mit seiner Gruppe von Meerungeheuern. Aber kein Wasserstrahl entsprang mehr ihren emporgestreckten Rachen. Und ringsum standen zankend die Mägde mit Eimern und Wasserbütten, und in den Fenstern lagen die Studenten, qualmten ihre langen Morgenpfeifen und lachten der Noth der Philister. Sie hatten nächtlicher Weile den uralten ewig neuen Witz gemacht, die Brunnenröhren zu verstopfen.

Ereme’s unholder Traum verflog. Sie ging an ihre Toilette.

Kaum hatte sie jedoch die schweren blauschwarzen Flechten mit goldnem Pfeil befestigt, da schallte lebhaftes Gespräch aus dem weiten Hausflur herauf. Eilig knüpfte sie die Gürtelschnur des Hauskleides und stieg die breite Treppe hinab.

In der Thür, die in den Garten führte, stand der grauhaarige Diener, die grüne Gießkanne in der Hand, vor der Tante und Dorchen, der Köchin, welche eben das Kaffeeservice nach dem Plätzchen unter den Orangenbäumen tragen wollte.

Als Ereme zwischen den geschnitzten Karyatiden, welche die Treppenpfeiler trugen, erschien, rief der Diener sehr aufgeregt ihr zu: „Gnädiges Fräulein, diese Nacht hat gewiß Einer Citronen mausen wollen im Garten. Wahrscheinlich ist der Spitzbube verjagt worden; denn es fehlt nichts. Aber an der Mauer sind Fußspuren im Kies.“

Die Krause am Morgenhäubchen der Tante richtete sich drohend gegen Dorchen: „Hoffentlich hast Du Dir nicht einen Schatz angeschafft? Du weißt, ein solcher wird hier im Hause ein für allemal nicht statuirt. Bedenke: wenn Dich die bösen Buben locken, so folge ihnen nicht.“

„Wenn es nun aber gute Buben sind?“ murmelte Dorchen im Abgehen.

Dann nahmen die Damen Platz am Frühstückstische, der unter einem nach griechischem Brauch ausgespannten Schattentuch hergerichtet war, und die Tante vertiefte sich behaglich in das Körbchen mit frisch gebackenen Waffeln.

Ereme schlürfte zerstreut aus einer kleinen Schale ihren Kaffee, der so stark, schwarz und süß für sie bereitet wurde, wie sie ihn im Café „Zum schönen Griechenland“ in Athen gewohnt worden war. Sie fühlte sich unangenehm berührt durch die Entdeckung, die wunderbar mit dem unheimlichen Gefühl übereinstimmte, das sie gestern Abend aus dem Gartensaal vertrieben hatte. Ihr Blick kehrte immer wieder zu der Fußspur zurück, die der sorgsame Diener nicht verwischt hatte. Sie war sehr energisch eingeprägt von einem schmalen Fuß mit feinem Absatz. Konnte sie von dem Geliebten eines Dienstmädchens, einem derben Sohn aus dem Volk, oder einem gewöhnlichen Dieb herrühren?

Da blitzte Etwas im Kies. Sie hob es auf.

Es war ein zierliches eisernes Rädchen mit stark gezähntem Rand und in der Mitte durchbohrt.

„Sollte dies ein altes Geldstück aus Deiner Münzsammlung sein, das mit dem Staubtuch herausgeschüttelt worden ist?“ fragte die Tante.

Ereme verneinte. „Nur die Spartaner bezahlten mit Eisen; aber es war nicht gemünzt, es lag in Barren.“

Die Tante betrachtete den Fund. „Es sieht aus wie das Rädchen zu den Fastnachtskuchen. Bewahre es auf. Wer weiß, wozu es gut ist. Vielleicht findet sich einmal, wenn wir gar nicht mehr daran denken, der Gegenstand, zu dem es gehört.“

Das Kaffeestündchen war vorüber.

Die Frau Doctor begab sich in ihr weites Parterrezimmer hinter das Wirthschaftsbuch, und Ereme beschloß, sich der Ordnung ihrer aus Griechenland mitgebrachten Kunstschätze und Alterthümer zu widmen. Sie stieg in die obere Etage hinauf. Eine Hälfte derselben nahmen die hohen kühlen Säle der Bibliothek ein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_637.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2023)