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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Als sie in den hell im Glanze des Vollmondes daliegenden Garten traten, schlug es vom Thurme die neunte Stunde.

„Gut,“ murmelte Saint Germain, „nun vorwärts!“

Quer den Park durchschreitend und denselben durch ein Seitenthürchen verlassend, gelangten sie auf eine Wiese, wo hinter dichtem Gebüsche ein Mann zwei Pferde hielt. Das eine trug statt des glatten englischen Sattels einen ungarischen Bock. Saint Germain bezeichnete dem Herzoge dies als für ihn bestimmt; da er mit verhüllten Augen reiten werde, könne er die Zügel nicht selbst führen und habe sich also am Sattelknopf zu halten.

Er warf dem Herzoge dann eine Kapuze über den Kopf, die nur Luftlöcher zum Athmen hatte, aber die Augen fest verhüllte, und half ihm beim Aufsitzen. Gehorsam setzte der blinde Reiter sich fest in dem geschweiften Sattel und ließ sich willenlos entführen. Er fühlte, daß auf seiner Seite der Graf ritt und sein Pferd am Zügel leitete. Bald setzten sie sich in Galopp; eine eigenthümlich schwindelnde Empfindung bemächtigte sich des Herzogs, als er so, ohne zu sehen, ohne Zügel zu fassen, in die Nacht hinaus jagte.

„Sitzen Sie fest!“ raunte ihm jetzt der Graf zu, „wir erheben uns zu einer Luftvolte, die uns um Meilen weiter führt.“

Es geschah, sie sausten im scharfen Kreise rundum. Schlugen wirklich die Pferde nicht mit den Hufen auf? Die Kapuze verhüllte das Ohr; es war dem jungen Fürsten in der That, als ob er fliege. So dauerte der Ritt nicht länger als eine halbe Stunde, und schier erschreckend vernahm er die Worte des Magus: „Wir sind am Ziele, dort liegt der Hörselberg!“

Man half ihm vom Pferde, er fühlte steinigen Boden unter sich, man führte ihn bergan. Er spürte, daß Gebüsch seine Hand streifte, und stützte sich, als man Halt machte, mit der Hand auf einen Felsblock; deutlich sah er im Geiste die bekannte Stelle, wo unter einer Felskante, die längs des sich steil in’s Thal absenkenden Berges hinläuft, des engen Hörselloches Spalte klafft. Man führte ihn noch ein paar Schritte weiter.

Der Hahnentanz.0 Nach dem Oelgemälde von H. Schaumann.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_632.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)