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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

von Studenten, auf Stühle stiegen, und andere, denen die jungen Officiere eingefangene Glühwürmchen in die Locken setzten. Die besorgten mütterlichen Rufe: „Bella!“ „Stella!“ „Hedi!“ „Betty!“ wurden übertönt von dem Fauchen eines sich aufschwingenden Tourbillons, der den Lieutenant Kronheim zeigte, wie er mit kühnem Blicke Miß Smith beobachtete, welche ihrerseits die Augen unverwandt nach dem Eingange des Gartens gerichtet hatte.

Jetzt flammte bengalisches Feuer auf. Da trat plötzlich Bartenstein in den Lichtkreis und kam mit raschen elastischen Schritten heran. Einen Augenblick wandten sich Aller Augen ihm zu, als er zuerst mit unerschütterlichem Diensternste den Commandeur begrüßte und dann mit einem Augenblitze die Gesellschaft überflog und sich verneigte.

Selbst die gelassene Melanie ließ sich zu den Worten hinreißen: „Ein Wunderwerk von einem Manne! Unbändig schön und trotz der großen Schönheit interessant.“

Gerhard verbarg ein leichtes Gähnen.

Melanie bemerkte es nicht. Sie saß still wie ein Naturforscher, der das Spiel der Falter um die gefährliche Flamme beobachten will. Im Schein einer Schaar Leuchtkugeln, die, von Fallschirmchen getragen, in der Luft hängen blieben, sah sie, wie die Brillanten in den Ohren und am Chemisette von Miß Smith zu funkeln und Strahlen zu schießen begannen, wie Elsa keine Ruhe auf dem Stuhle hatte, aber von dem lachenden Vater am dicken blonden Zopfe festgehalten wurde, und wie Bartenstein, der allein stand, seine Augen gespannt, forschend von einer Gruppe zur andern gehen ließ.

„Wen er nur sucht?“ sagte sie.

„Die wahre Liebe,“ lachte ironisch der junge Gelehrte.

„Spotten Sie nur,“ antwortete Melanie. „Ich bin überzeugt, daß das Thema seiner Neigung nicht Hunderte variiren, sondern daß er die Sehnsucht nach einem großen Herzensschicksale, nach einer wahren Liebe in sich trägt.“

Gerhard wurde gereizt. „Sie sehen ihn in viel zu poetischem Lichte. Wir modernen Männer erwarten die Liebe nicht wie ein Wunder. Ein Lebemann wie Bartenstein nimmt dieselbe als eine Zerstreuung hin, über die er nicht weiter reflectirt. Ein Philosoph,“ fuhr er hochmüthig fort, „findet sein Vergnügen darin, die Kunstgriffe zu durchschauen, zu belächeln, mit denen der große Zauberkünstler Weltwille ihn zu täuschen sucht. Ueber den Kopf wächst sie Beiden nicht.“

Melanie sah ihn mit sanftem Vorwurfe an. „Wenn die Menschen wirklich dächten und fühlten, wie sie sprechen, dann hätte Ereme Clusius Recht, daß sie sich von ihnen zurückzieht.“

Mit einer stürmischen Bewegung wandte Bartenstein sich zu ihnen. „Pardon,“ sagte er, „darf ich Sie bitten, noch einmal den Vornamen zu sagen? Ich habe sie nur die Clusia nennen hören.“

Die Ueberraschung ließ Melanie einen Augenblick verstummen; dann erwiderte sie: „Ereme, die Einsame. Ihr Vater nannte sie so, weil seine junge Frau, die er sehr geliebt hat, kurz nach der Geburt des einzigen Kindes, meiner lieben Freundin, starb.“

Bartenstein horchte auf. „Sie sind befreundet mit ihr?“

Melanie sah mit Staunen die lebhafte Spannung, welche sich in seinen Zügen spiegelte.

Eine Schaar junger Mädchen fluthete an Doctor Gerhard heran. „Herr Doctor, was versteht die Philosophie unter unglücklicher Liebe?“

„Wenn sie einseitig ist?“ fragte ein blasses Blondinchen, das den ganzen Abend nach dem Senior der Westfalen mit dem großen Schmiß im Gesichte gelugt hatte.

„Wenn es am Commißvermögen fehlt?“ forschten die mit den Glühwürmchen im Haare.

„Wenn Er Pech hat und durch das Examen fällt?“ seufzte eine langjährige Studentenbraut.

Ganz entsetzt sprang Gerhard auf, um Licht in diese Geistesnacht zu bringen.

„Erlauben Sie, Herr Doctor?“ fragte Bartenstein, den frei gewordenen Stuhl ergreifend. „Sie gestatten, gnädiges Fräulein?“

Der Doctor gab mit langem Gesichte seinen „abonnirten Platz“ preis, und Melanie gestattete dem Rittmeister, denselben einzunehmen.

An der andern Seite des Tisches avancirte Miß Smith, bis sie Bartenstein gegenüber saß. Dieser grüßte stumm und schob ganz unbefangen die Lampe, die in der Mitte des Tisches stand, so, daß ihr großer Schirm ihm wieder Deckung vor ihren Blicken bot.

Was mag er wollen? fragte sich Melanie.

Ziethen kam schneller aus dem Busche heraus, als sie dachte. „Warum sieht man Fräulein Clusius nie in der Gesellschaft?“ fragte er. „Die junge Dame verkriecht sich ja wie eine Eule im Winkel.“

„Diese Bezeichnung dürfte nur deshalb gestattet sein,“ suchte Melanie seine ungebundene Redeweise einzudämmen, „weil die Eule der Vogel der Pallas Athene ist, für welche Ereme eine große Vorliebe hegt.“

„Also hat die junge Dame gelehrte Schrullen?“ lachte Bartenstein erregt. „Nun, die wollen wir schon austreiben.“

Melanie sah ihn betroffen an. „Das klang ja ganz drohend.“

„Sie hat mich beleidigt,“ erwiderte er.

„Wie wäre das möglich?“ fragte Melanie. „Haben Sie Ereme kennen gelernt?“

„Nein; aber ihr Benehmen hat mir gezeigt, daß ihr die nöthige Achtung vor dem deutschen Soldaten fehlt,“ antwortete er mit sichtlicher Gereiztheit.

„Ereme lebt im Geiste ganz in der antiken Welt,“ entschuldigte sie die Freundin. „Ihr Vater wurde ‚der letzte Hellene‘ genannt.“

„So muß man ihren Geist nach Deutschland zurückführen, wohin er gehört,“ versetzte er mit Nachdruck.

„Sie wollen also einen kleinen Eroberungskrieg anfangen,“ versuchte Melanie die Sache scherzhaft zu wenden.

Aber er ging nicht auf den heiteren Ton ein. „Es ist kein Eroberungskrieg, wenn man dem Vaterlande wiedergewinnt, was ihm gehört, mag es eine alte Provinz sein oder ein junges Mädchen,“ entgegnete er starrköpfig.

„Es wird Ihnen nicht an Zeit fehlen, Ihren Feldzugsplan zu entwerfen,“ sagte Melanie heiter; „denn Sie werden so bald keine Gelegenheit finden, meine Freundin kennen zu lernen, wenn Ihnen nicht der Zufall zu Hülfe kommt.“

„Oder ich ihm,“ antwortete er zuversichtlich lachend und klopfte mit dem einen Sporn, dessen Rädchen durch verdächtiges Klirren anzeigte, daß es im Stifte gelockert sei, an das eiserne Stuhlbein.

Eine Rakete fuhr empor: die deutsche Kaiserkrone stand in Brillantfeuer strahlend gleich einem leuchtenden Sternbild in der Luft. Mit feierlichen Klängen stimmte die Musik das „Heil dir im Siegerkranz“ an.

Ein lang anhaltender Applaus folgte. Am begeistertsten schwenkte seinen Hut ein weißhaariger Professor im altdeutschen Rock mit kleinem Stehkragen und einer Knopfreihe. Es war ein ehemaliger Burschenschafter, der in der Jugend für das einige Deutschland geschwärmt, zur Zeit der Demagogenverfolgung im Gefängniß dafür gelitten hatte, nun aber als Greis der Erfüllung seines Jünglingstraumes zujubelte.

Dann packte das Musikcorps seine Instrumente ein und marschirte ab. Die Zuhörer brachen auf.

Die jungen Officiere schlugen eiligst den Weg nach dem Sommertheater ein, die Studenten zogen in ihre Kneipen. Langsam wandelnd verließ Gruppe auf Gruppe den Garten.

Als Melanie, in ihrer grauen Hülle wie eine Silbermotte schimmernd, gefolgt vom Diener des Stiftes, den Heimweg antrat, eilte der junge Philosoph ihr mit langen Schritten nach.

„Ob Doctor Gerhard wirklich diese reife Schönheit heimzuführen gedenkt?“ sagte die Frau des Rectors der Universität zu ihrem Gatten.

„O nein,“ entgegnete dieser hoheitsvoll. „Sie ist für ihn nur das Ohr, das seine noch nicht gehaltenen Vorlesungen aufnimmt.“

„Wer weiß, meine Herrschaften!“ flüsterte eine boshafte Stimme. „Wir leben im Zeitalter der Renaissance; da stehen alle Antiquitäten hoch im Preise.“ Das scharfe Profil des Physiologen verschwand in der Dunkelheit.

„Aber Papa!“ klagte Elsa und steckte ihre Hand zutraulich in den Arm des Obersten. „Herr von Bartenstein hat den ganzen Abend nur mit der Alten gesprochen.“

Der Oberst führte sein Töchterchen hinweg. „Liebes Kind, ich kann Bartenstein nicht befehlen, mit wem er sich unterhalten soll. Die Seebergen ist allerdings hoch in die neunundzwanzig; aber erstens sieht sie noch gut genug aus, und dann wissen solche Damen die Männer viel besser zu behandeln, viel mehr auf ihre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_623.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2023)