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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Brausejahre.
Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)
21.

Es war eine windstille, frühlingsduftige Nacht, der Himmel wolkenlos und hoch gewölbt, die Sterne hell und von sanftem Licht, als die Jagdtheilnehmer sich Punkt ein Uhr auf dem Schloßhofe der Wartburg an den bereit gehaltenen Pferden zusammenfanden. Zwischen dem Zimmerberge und Drachenstein schieden die Herren mit einem fröhlichen: Waidmannsheil! und der Herzog ritt allein, nur von einem ortskundigen Reitknechte begleitet, in die Nacht hinaus.

Die scharfen Umrisse der Hörselberge traten am nördlichen Horizonte immer klarer hervor, da gerade über denselben die zarte Sichel des ersten Mondviertels aus dunkelblauem Gründe schwamm. Ein Reh, das aufgeschreckt die Menschennähe witterte, schmählte in bellenden Tönen durch die Stille.

„Gut, daß wir die Musik nicht später haben,“ sagte der Herzog zu seinem Begleiter; „davor würde der flotteste Balzer verstummem und ich müßte angeführt wieder umkehren.“

Endlich langte man am Fuße der Hirschwand an, da wo es zum Kohlberg hinaufging. Der Reitknecht übernahm des Herzogs Pferd, und dieser stieg allein, vorsichtig lauschend, im Waldesdunkel bergan. Es war ein mühsames Stück Arbeit; nur so viel Licht, um die Richtung nicht zu verlieren und dabei ein pfadloses Klettern über Geröll und Baumwurzelm

Eine Stunde lang mochte er sich so gemüht haben, als er, etwa noch zweihundert Schritte über sich, den wohlbekannten Hohlschlag des Auerhahns hörte, der die Hennen anlockte. Das Schleifen, jener Ton, während dessen der Hahn nicht hört und sieht - einige Secunden, die zum Näherkommen des Jägers benutzt werden müssen - folgte, und der Herzog beeilte sich, seine Büchse zu untersuchen und möglichst genau die Richtung, in der sich das edle Wild aufhielt, auszumachen.

Dann pirschte er sich vorsichtig näher; er that, als nach dem Hohlschlag wieder das Schleifen folgte, zwei große Schritte und stand dann lauernd, mit erwartungsvoll klopfendem Herzen, still.

Endlich auf etwa fünfzig Schritte herangekommen, mußte er den Angriffsplan entwerfen, denn jetzt erst übersah er den Charakter des Bestandes, in welchem der Hahn balzte. Er mußte darauf denken, nach dem Vorschreiten gedeckt zu stehen, denn nahe dem Bergesgipfel lichteten sich die Stämme und es war kaum möglich die schußgerechte Stellung zu gewinnen.

Ein paarmal mußte er noch in äußerster Geschwindigkeit während des Schleifens größere Strecken überspringen, stand nun aber endlich, wohlgedeckt die Büchse im Arm, und wartete so viel Büchsenlicht ab, um den Hahn zu erkennen und mit Sicherheit zielen zu können.

Röthlich färbte sich gegen halb fünf Uhr der östliche Himmel, und bei dem Schimmer gewahrte der Herzog den großen, schwarzen Vogel auf dem kahlen Aste einer Fichte. Er riß bei dem nächsten Schleifer die Büchse an den Kopf, gab Feuer - und flatternd klatschte der Auerhahn vom Baume herab.

Als der prächtige Vogel nach den letzten Zuckungen todt da lag, hob der Herzog mit vor Jagdlust leuchtenden Blicken seine Beute an den Ständern auf und betrachtete das schöne Thier. Dann wandte er sich, um den Platz genauer anzusehen, wo er den Auerhahn an einen Zweig hängen und später abholen lassen wollte.

Indem sein suchender Blick im Kreise schweifte und er ein immer wärmeres Erglühen am östlichen Himmel, drüben neben dem Poppenberge wahrnahm, sah er, nur wenige Schritte von sich entfernt, eine hohe Gestalt von den dämmernden Büschen sich ablösen und jetzt frei dastehen.

Es war ein schlanker Mann in tadelloser Hofkleidung; er trug einen Anzug von schwarzem Sammet, ein feines Spitzenjabot und ebensolche Manschetten, schwarzseidene Strümpfe und Hackenschuhe mit blitzenden Schnallen. Der Fremde lüftete seinen Federhut, und Karl August konnte sein Antlitz, warm überflogen von den ersten Sonnenstrahlen, deutlich erkennen; es war ein pergamentartig glattes Gesicht, nicht alt, nicht jung, mit dunklen Augen voll unheimlichen Blitzen und mit scharfen Zügen. Der Herzog erinnerte sich nicht, den Mann jemals gesehen zu haben. Die Sauberkeit seines Anzugs fiel ihm besonders auf, und vergleichend ließ er den Blick über seine eigenen lehmigen, vom Thau durchfleuchteten hohen Stiefel gleiten.

„Wie kommen Sie in solch famosem Wichs daher?“ rief er auflachend. „Sie sehen ja aus, als wären Sie heraufgeflogen!“

„Durchlaucht haben Recht, das bin ich auch!“ entgegnete der Andere mit einer scharfen, von fremdem Accente gefärbten Sprechweise und dem vollkommensten Ernste.

Der Herzog starrte ihn an: hatte er einen Tollen vor sich? Wie sollte er diese Behauptung aufnehmen? Die gute Laune siegte, er lachte wieder und sagte sarkastisch:

„Muß äußerst bequem sein, Bergeshöhen fliegend zu gewinnen, während wir anderen Sterblichen keuchend und schwitzend über Steine und Baumwurzeln heraufstolpern. Aber was verschafft mir denn die Ehre, dem eleganten Herrn auf seinem Morgenfluge zu begegnen?“

„Ich bin Durchlaucht angemeldet und erlaube mir, nach unumstößlichen Gesetzen, an denen wir Beide nichts ändern können, Dero Bahn zu kreuzen.“

Dem Herzoge ging plötzlich ein Licht auf.

„Den Kukuk auch!“ rief er höchlich interessirt, „sind Sie vielleicht der vielbesprochene Graf Saint Germain, der Meister des wunderlichen Kaufmann?“

„Eines Anfängers!“ schaltete der Fremde mit dem Tone der Geringschätzung ein und fügte dann höflich sich verbengend hinzu: „Eure Durchlaucht haben richtig gerathen; ich bin der Graf Saint Germain!“

„Na, also wirklich! Ich war allerdings vorbereitet, Sie zu treffen, und bin nun doch überrascht.“ Er schwieg ein paar Secunden und trat dann dem Grafen einen Schritt näher, ihn ernst und scharf ansehend, fuhr er fort:

„Machen Sie’s kurz, mein Bester, was wollen Sie von mir? Ich bin ein Fürst ohne große Mittel, ohne Vorliebe für alchemistische Spielereien; vielleicht sogar ohne rechte Schätzung des Goldes. Durch dies offene Bekenntniß wird das Interesse des Herrn Grafen gewaltig sinken; he, ist es so? Freut mich, Sie ’mal gesehen zu haben, und nun geben Sie sich weiter keine Mühe mit mir - fliegen Sie ab!“

„Durchlaucht irren,“ erwiderte der Graf fast traurig, sonst aber unberührt von dem abweisenden Spotte des Herzogs. „Mich leitet kein eigennütziges Motiv; ich folge lediglich einem höheren Drange und bin zu jeglichem Beweise meiner besonderen Ausrüstung, meiner wundergetragenen Sendung in dies irdische Dasein bereit. Hunderte von Jahren suche ich schon nach einem Menschen, wie Eure Durchlaucht mir einer zu sein scheinen; nach einem Horte und Schirmherrn erhabener Geheimnisse, einem Fürsten der fähig ist, sich den höchsten Bestrebnugen zu weihen, Licht in sich aufnehmend, um eine Leuchte zu werden für die Menschheit.“

„Viel Ehre, zu solchem Laternenmanne ausersehen zu sein!“ spöttelte Karl August wieder.

Der Andere ließ sich nicht irre machen.

„Ich bitte, die Dinge aus ernstem Gesichtspunkte aufzufassen“ sagte er kühl, „wenn ich auch anfängliche Skepsis begreife, ja solche Vorsicht billigen muß; Eure Durchlaucht werden sich bald überzeugen, daß ich sammt meiner Mission über allen selbstsüchtigen Bestrebungen stehe. Möglich allerdings, daß ich mich auch in Ihnen täusche, wie so oft schon!“ Er seufzte tief, und ein Ausdruck düsteren Schmerzes legte sich über sein gesenktes Antlitz.

Der Herzog schaute ihn fragend an und sprach, als der Andere schwieg:

„Nun, so reden Sie, was soll ich denn nach Ihrem Sinne thun?“

„Das ist nicht mit wenigen Worten gesagt.“ Sein Blick hob sich zum strahlenden Morgenhimmel, die Gestalt stand schlank und wie schwebend da, und mit würdigem Pathos hub er an:

„Ich bin ausgesandt, einen Menschen zu suchen der, rein und in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_618.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2023)