Seite:Die Gartenlaube (1884) 609.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Deutschlands Colonialbestrebungen.
Deutsche an der Westküste von Afrika.

Die lange Westküste von Afrika, an welcher gewaltige Ströme, aus dem tiefen Innern des Landes kommend, sich in den Atlantischen Ocean ergießen, ist in den letzten Jahrzenten von den civilisirten Völkern zum Ausgangspunkte neuer Colonial-Unternehmungen gewählt worden, deren Tragweite heute kaum zu übersehen ist. Am Senegal, am Niger, am Kamerunflusse, am Ogowe und am Congo, an den natürlichen Handelsstraßen des „dunklen Welttheils“ haben sich Kaufleute aller Nationen niedergelassen, um hier Producte europäischer Industrie gegen Erzeugnisse jener Länder umzutauschen, um für Europa neue Absatzgebiete zu erschließen und für die Cultur neue Länder zu erobern.

Woermann’sche Hulk auf dem Kamerunflusse.

In diesem friedlichen Wettstreite der Nationen stand Deutschland keineswegs in allerletzter Linie. Der aufopfernden Thätigkeit einer glänzenden Reihe deutscher Gelehrter verdankt die Welt die wichtigsten Aufschlüsse über die Natur jenes Landes, und die deutschen Kaufleute, in denen der alte hanseatische Unternehmungsgeist niemals erloschen war, erschienen hier an vielen Orten als die ersten und muthigsten Pioniere des Handels. Ruhmreich ist der deutsche Name in die noch spärlichen Blätter eingetragen, welche die junge Geschichte von Westafrika aufweist. In den Schlachten, welche hier im Namen der Civilisation geschlagen wurden, sind überall deutsche Helden vertreten, und Spuren ihrer Arbeit, Werke ihres Fleißes sind dicht über den unermeßlichen Küstenstrich verbreitet. Deutscher Einfluß war bis auf die letzten Tage überall in Westafrika bemerkbar, aber vergebens spähte das Auge nach einem sichtbaren Zeichen der deutschen Macht.

Schauen wir nur auf die Karte dieser Küste (S. 617). Wie drängen sich hier die deutschen Factoreien zusammen! In jedem wichtigeren Hafen, an jeder bedeutenderen Flußmündung weht von Schiffen und Speichern die deutsche Handelsflagge, und unsere rührigen Landsleute, die dort arbeiten, leisten an vielen Plätzen mehr, als die Vertreter aller übrigen Völker. Aber die deutsche Handelsflagge stand vereinsamt, auf sich selbst angewiesen an diesem fernen Strande. Wenn Gefahren drohten, mußte sie unter dem englischen Kriegsbanner, unter der französischen Tricolore oder unter der portugiesischen Fahne den nöthigen Schutz suchen, den ihr das eigene Vaterland nicht bieten konnte.

Inneres der Hulk.

Das war schädlich für die Entwickelung unseres Handels, das war beschämend für ein großes Volk, dem an der Erschließung Westafrikas ein großer moralischer Antheil gebührt.

Nur von einem kühnen, aber mißlungenen Anlaufe zur Gründung deutscher Colonialmacht konnte die Geschichte erzählen. An dieser Küste, in dem Fort Groß-Friedrichsburg, stand einst die Wiege eines großen Gedankens, der jedoch mit der Zeit verkümmerte und dort, wo er geboren wurde, auch seine vorschnelle Grabstätte fand. Wie ein Traum zog die Colonialgründung des Großen Kurfürsten an den Augen der Völker vorüber. Aber Deutschland feierte inzwischen seine Wiedergeburt, die Träume wurden zur Wirklichkeit. Der alte Barbarossa war auferstanden in dem Heldenkaiser Weißbart, der deutsche Kriegsmann und der deutsche Schulmann festigten das Reich nach innen und außen, und die Zeit kam heran, in welcher der deutsche Kaufmann seine Macht ausbreiten sollte über Länder und Meere.

Mit Recht sagt man, daß die Einigung Deutschlands schon vorbereitet und erzielt war durch die deutsche Bildung, ehe sie äußere Gestalt annahm; man muß auch anerkennen, daß zu der colonialen Ausbreitung Deutschlands der deutsche Handel den Grund gelegt hat, bevor das Reich sie förderte und unser Reichskanzler

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_609.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)