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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Das siebenhundertjährige Jubiläum einer deutschen Niederlassung.

Vor mehr als 700 Jahren erschienen ungarische Boten in Deutschland, welche auf den Märkten und Straßen laut verkündeten, daß ihr König Geisa tüchtige Leute brauche, die im Stande wären, die Grenzen seines Reiches zu schützen und große fruchtbare, aber bis dahin unbewohnte Striche Landes zu besiedeln. Was sie den Auswanderungslustigen versprachen, klang gar verlockend, denn Freiheit des Eigenthums, des Bodens und der Manneskraft, Leben nach deutschem Rechte und Gleichheit unter einander sollten den Ansiedlern gesichert bleiben. Vertrauend auf das königliche Wort zogen bald zahlreiche Auswandererschaaren vom Rheine und der Mosel sowie von der friesischen Küste nach jener fernen Ostmark, die man damals „Transsylvania“, „das Land jenseit des Waldes“ nannte, die, vom Pfluge noch unberührt, steten Einfällen wilder Barbarenvölker ausgesetzt war. Jahrhunderte sind seit jenen Tagen verflossen, und was deutscher Fleiß und deutsche Thatkraft aus jener Wildniß geschaffen, davon belehrt uns schon ein flüchtiger Blick auf das heutige Siebenbürgen, das im Schmucke seiner Städte, Dörfer und Felder einem blühenden Garten gleicht. Ein hartes Stück Arbeit war es, das die wetterharten Sachsen hier vollbracht haben, denn nicht im Frieden durften sie die Früchte ihres Fleißes genießen, gar zu oft mußten sie gegen die eindringenden Feinde, gegen die Kumanen, Mongolen und Türken zu den Waffen greifen. In dem ehrwürdigen Rathhause von Hermannstadt, dessen alterthümlicher Thurm seit vier Jahrhunderten in die weite Ebene am Zibiu hinausschaut, ruhen die Acten aufbewahrt, in denen die Geschichte jener Kämpfe, das tausendfache Leid der Einwohner getreu erzählt ist. Und die Zeit der Prüfung ist für das tapfere Volk bis heute nicht abgeschlossen; wie die Väter einst um die materiellen Güter mit dem Schwerte in der Hand kämpfen mußten, so ringen jetzt die Söhne um die heiligsten geistigen Güter, um ihre nationalen Rechte, die ihnen eine undankbare und kurzsichtige Politik verkümmern und entreißen will. Der Kampf, den sie jetzt führen, ist zwar ungleich, aber Verzagen und Furcht sind den Siebenbürger Sachsen fremd, und so dringt mitten aus der schweren Bedrängniß ein Jubelruf aus der fernen Ostmark zu uns herüber. dessen Klang überall freudig nachzittert, wo die deutsche Zunge klingt.

In den letzten Augusttagen dieses Jahres tagten die deutschen Vereine Siebenbürgens, welche die Erhaltung der deutschen Sprache und Sitte auf ihre Fahne geschrieben hatten, in Hermannstadt, der ältesten Siedelung und zugleich der geistigen Capitale des Sachsenlandes. Feierlicher als sonst verlief diese Zusammenkunft, denn man beschloß, bei dieser Gelegenheit das siebenhundertjährige Jubiläum der Einwanderung der Sachsen und der Gründung Hermannstadts festlich zu begehen. Ein historischer Zug wurde veranstaltet, der den erstaunten Zuschauern die rühmliche Geschichte des Landes vor Augen führte. Ein glänzendes, ergreifendes Bild! Sie waren noch einmal auferstanden, jene muthigen Bauern und Bürger, die zu dem Wohlstande und der Blüthe des Landes den Grundstein gelegt und die fruchtbaren Gefilde mit ihrem Blute gedüngt hatten.

Da ritt dem Zuge eine Bauerngruppe voran, 130 Reiter, welche die unweit Hermannstadt gelegenen Dörfer Stolzenburg, Neudorf und Burgberg gestellt hatten. Die Tracht dieser Reiter war eine verschiedene, aber am meisten fielen die Stolzenburger auf, die weiße Röcke und mit bunter Stickerei verzierte hübsche Mäntel und als Kopfbedeckung Mardermützen trugen; ihnen folgten die Herolde, die königlichen Bevollmächtigten und Hermann von Nürnberg, der Gründer von Hermannstadt, dann schlossen sich Züge der Einwanderer und der einzelnen Gewerbe an.

Da erschienen die Bauernfrauen und Mädchen in derselben Tracht, wie sie historisch nachweisbar noch vor 400 und mehr Jahren geherrscht und sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat. An einer Seitenwand des Chors der evangelischen Pfarrkirche in Hermannstadt befindet sich ein großes Wandgemälde von dem siebenbürgischen Maler Johannes von Rosenau (1445), welches die Uebereinstimmung der alten weiblichen

Bauerntracht mit der heutigen merkwürdig constatiren läßt. Ein heute

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_596.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2019)