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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Sitzbänke amphitheatralisch empor, und bei der herrlichen Akustik ist jedes Wort von der Rednertribüne auch an den letzten und höchsten Thüren klar und deutlich zu vernehmen.

Mit Beecher und Talmage zusammen wird stets auch John Hall genannt. Hall ist der Prediger der Plutokratie und seine in New-York an der 5. Avenue und 55. Straße gelegene Kirche der Sammelpunkt der hervorragendsten „Monopolisten“, Eisenbahn- und Bergwerks-„Könige“, der Matadore der Börse, der „Fürsten“ des Handels etc. Als vor mehreren Jahren an einem Ostertage zufällig die verschiedensten Mitglieder der Familien Vanderbilt, Jay Gould und anderer im Hall’schen Gotteshause zusammentrafen, berechnete der gleichfalls anwesende Redacteur eines bekannten Finanzblattes, daß „700 Millionen Dollars der Hall’schen Predigt mit Aufmerksamkeit gelauscht hätten“. John Hall ist Schotte von Geburt (er erblickte das Licht der Welt am 31. Juli 1829) und kam erst vor 17 Jahren (1867) nach New-York, wo er sich schnell die Gunst der besten Kreise der Gesellschaft zu erwerben wußte. Seine Predigten, sorgfältig ausgearbeitet und fleißig memorirt, sind in würdigem, ernstem Tone gehalten.

Was deutsche Kanzelredner anbelangt, so verdienen unter ihnen Dr. Walther und Professor Mann in St. Louis (Missouri) in erster Linie Erwähnung. Auch Boston gilt als ein Platz, welcher durch Richard S. Storrs in dieser Hinsicht eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Unter den Methodisten befinden sich bisweilen selbst Predigerinnen. Eine solche, die sich vor einigen Jahren in Long Island City hören ließ, erfreute sich sogar eines ganz besonderen Zuspruches. Bei der farbigen Bevölkerung mangelt es nicht minder an Verkündigerinnen des Wortes Gottes. Miß Henrietta V. Davis, die indessen augenblicklich nur noch dramatische Recitationen und freie Vorträge veranstaltet, wirkte früher längere Zeit an einer der Negerkirchen im Süden, wo noch heutzutage die schwarzen Herren Pastoren mit Hut und Stock auf der Kanzel zu erscheinen pflegen.

Die zahlreicheren kleinen Secten und Congregationen weisen natürlich eine Anzahl mehr oder minder begabter Sprecher und Sprecherinnen auf. Die Atheisten haben in R. G. Ingersoll ihren Apostel, sogar die Chinesen haben in dem bekannten Hee-Sing eine talentvolle rednerische Kraft. Hee-Sing, der zehn oder elf Sprachen geläufig beherrscht, schuf sogar mit dem gegenwärtigen chinesischen Gesandten in New-York, Ah Yung Ming, die „himmlischen Brüderschaften“, eine Art Logen, bez. Unterstützungsgesellschaften, die in New-York, San Francisco und anderen größeren Städten der Union schon viel Gutes unter den bezopften und schlitzäugigen Gesellen des Reiches der Mitte gestiftet haben.

Alle derartigen und ähnlichen Sprecher, sowie die sonstigen Sectenredner überragt aber der jetzige Mormonenpräsident Johannes Taylor in Salt Lake City. Taylor spricht auffallend ruhig, nahezu monoton, er vermeidet Bilder, Phrasen, überhaupt jedweden rhetorischen Aufputz. Und doch begeistert er die Menge, fanatisirt er die Schaaren, die athemlos mit ihren Blicken an seinen Lippen hängen. Es ist die Logik der Thatsachen, die Kunst, Zahlen reden zu lassen, die ihm die Seelen der Menschen in so weitem Maße unterthan machen.

Uebrigens knüpft Taylor gleich seinem Vorgänger Brigham Young stets an das zunächst Liegende in seinen Predigten an. Vor der Erntezeit ertheilt er den neuangekommenen Colonisten praktische Winke von der Kanzel herab, Handwerker und Gewerbtreibende unterrichtet er oft über technische Neuheiten und Fortschritte, kurz seine Reden sind derartig, daß man ihnen in Deutschland das Prädicat „Predigt“ selten beilegen würde. Allerdings steht er damit unter den amerikanischen Theologen nicht allein da. Man will drüben durch eine Predigt nicht nur erbaut, sondern auch angeregt werden. Man wünscht ein klangvolles Organ, eine reine Aussprache, eine glatte angenehme Redeweise, wie nicht minder Belehrung über die großen Fragen, welche sowohl den Einzelnen als auch die Gesammtheit bewegen. Diesen Aufgaben muß ein amerikanischer Prediger in erster Linie gerecht zu werden versuchen, und darum erklärt es sich auch, warum jenseit des Oceans die Kirchen besser als hier besucht werden und gerade diejenigen, welche in der alten europäischen Heimath selten ein Gotteshaus betraten, in der transatlantischen Republik so fleißige Kirchengänger zu werden pflegen.




Die Perle der Sächsischen Schweiz.

Schandau an der Elbe.

Ein wunderbar lieblicher Flecken Erde ist es, den der deutsche Schriftstellerverband für den diesjährigen Schriftstellertag ausersehen hat, das Städtchen und der Badeort Schandau. Mit vollem Rechte wird die kleine Stadt als die Perle der Sächsischen Schweiz bezeichnet, denn wie eine Perle liegt sie da an dem Ausgange des lieblichen Kirnitzschthales, in ihrem Rücken prächtig bewaldete Berge, zu ihren Füßen den Elbstrom, der so majestätisch ruhig vorüber fließt und doch so viel Leben auf sich trägt. Rings von Bergen umgeben, ist ihre Lage eine ungemein geschützte, und durch den Fluß gemildert und geregelt, gleicht

ihr Klima dem südlicher Gegenden. – Schandau hat als Bade-Ort durch seine Eisenquellen, durch die Eisen-, Sool-, Kiefern-, Moor-, Dampf- und Kaltwasserbäder und durch die vorzügliche Leitung all seiner Bade-Einrichtungen sich einen geachteten Namen erworben. Tausende suchen und finden dort alljährlich Heilung oder Linderung ihrer Leiden, aber unendlich wichtiger ist Schandau als klimatischer Sommercurort, als Zufluchtsstätte für abgearbeitete Geister und abgequälte Nerven, die zu ihrer Heilung nichts weiter bedürfen, als eine milde, reine Luft, eine erquickende Umgebung und ein aufheiterndes und doch nicht aufregendes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_591.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)