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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Pauline, ganz beglückt, beschenkt das kleine Völkchen – und höher färbt der Freude Glanz ihr Antlitz, als Ladoucette, anscheinend nicht für der Fürstin Ohr berechnet, etwas flüstert, was so klingt wie: „Wirklich brav von den Leuten, guter Sinn im Volk!“

Also von ihrem lieben Landvolke rührt die Ueberraschung her – das setzt der Freude die Krone auf! Die Prinzessin ist aus dem Wagen gestiegen und nähert sich dem Denkmal, um die Inschrift noch genauer lesen zu können – à la vertu –!

Aber was sind das für ungezogene Burschen, die da unweit am Waldrande stehen und kichern, als ob etwas außerordentlich Spaßhaftes hier vorgehe; – und da kommen neue Spaziergänger, ältere Bürger, von Aachen her; mürrisch ziehen sie den Hut und wollen vorbei gehen. Aber kaum haben sie das Denkmal gesehen – da schallt aus ihrem Munde ein Lachen – ein so wenig respectvolles, urwüchsiges deutsches Lachen, wie es Pauline vielleicht noch nicht gehört hat, und es klingt der Ruf des einen alten Herrn: „Ma Göddet, dat es ja der Kaatsch!“

Es muß ein Bild von unbeschreiblicher Komik gewesen sein, dieser nun folgende Uebergang „vom Erhabenen zum Lächerlichen“. Pauline fordert mit der den Napoleoniden eigenen Heftigkeit Aufklärung – der Hof ist consternirt – der Präfect möchte vor Scham und Wuth in die Erde sinken, da er sofort den Zusammenhang erräth. Das eitle Weib muß nun die Schmach erfahren, daß die ihrer „Tugend“ gewidmete Säule der alte Aachener – Pranger ist, der echte, nur aufpolirte und „à la vertu“ frisirte Original-„Kaatsch“, an welchem die Hefe des Volkes – Landstreicher und Diebesgesindel – seit grauer Zeit, an den Halsring geschmiedet und der Verachtung preisgegeben, seine Strafe verbüßt hatte.

So enthüllte sich die ganze „Volksliebe“ als – Präfectenschwindel, und mit Hohnlachen begrüßten die deutschgesinnten Bürger der alten Kaiserstadt diesen Streich der Vergeltung, welchen sich die französischen Eindringlinge selber gespielt.

D.


Die Hamburger Ausstellung der Walfischjägerei.

Mit Illustrationen von Hans Petersen.

Im Laufe dieses Sommers wurde in Hamburg eine Ausstellung eröffnet, die wohl zu den seltensten gehört, welche jemals auf deutschem Boden veranstaltet wurden. Sie war ausschließlich dem Walfichfange gewidmet. Allerlei Geräthe, welche in den weiten Walgründen der Polarmeere gebraucht werden, ausgestopfte Thiere und Vögel jener Gegenden, seltsam geformte Knochen von Walen aller Art sollten dem Beschauer ein getreues Bild jener oft beschriebenen interessanten Jagd bieten. Vor allem aber fielen in dieser Ausstellung drei Riesengerippe nordischer Wale auf, die selbst in unserer an wissenschaftlichen Sammlungen so reichen Zeit als große Seltenheit bezeichnet werden müssen.

Bei der früheren Art des Walfischfanges war es außerordentlich schwierig, vollständige Skelete dieser größten aller Säugethiere zu erhalten. Der Fang wurde ausschließlich auf hoher See betrieben, die Thiere wurden harpunirt und zu Tode gejagt, um dann ziemlich oberflächlich abgespeckt zu werden. Den mächtigen Cadaver mit den kolossalen Fleischmassen ließ man einfach in den Wellen treiben, Raubfischen und Delphinen zum Fraß. Man schnitt höchstens vom frisch erlegten Thiere etwas von dem tief dunkelrothen Fleische aus, das im Geschmack dem Ochsenfleische nicht unähnlich ist, aber bis zum Skelete drang man mit dem Messer niemals durch.

Granat-Kanone für den Walfischfang.

Trieb im hohen Norden dann einmal ein todter Fisch an die Küste, den armen Strandbewohnern ein kostbares Geschenk, so wurde derselbe sofort in Stücke zerlegt und der Thran ausgekocht; um die Knochen kümmerte sich Niemand, höchstens nahmen fremde Schiffe einzelne Theile derselben, der Eigenthümlichkeit und ihres Riesenumfangs wegen, mit in ihre Heimath. Zu einem vollen Skelet brachte es kein Museum. – Wie aber die primitiven Werkzeuge und Geräthe, mit denen man vor Zeiten dem Boden die Producte abrang, durch sinnreich erdachte Maschinen und andere Hülfsmittel ersetzt wurden, so ersann man auch neue Fanggeräthe und Apparate für die Ernte im Meere und vervollkommnete die alten, um den Reichthum zu heben, den die See bietet. Diese Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit wurden auch bald von dem Walfischjäger verwerthet.

An Stelle der Segelschiffe traten schnelle, eigens für den Walfischfang ausgerüstete Dampfer. Die Wurfharpune wurde durch eine Kanone ersetzt. Von fast fünf Fuß Länge, aber von verhältnißmäßig nur kleinem Caliber, wird dieselbe auf dem vorderen Theil des Schiffes aufgestellt. Ihr Geschoß besteht aus einem eisernen Stiel, der genau in den Kanonenlauf hineinpaßt, und an dessen mit Widerhaken versehenem Vordertheile eine Granate befestigt ist. Auf große Distanz wird natürlich niemals, und überhaupt nur dann geschossen, wenn ein Treffen des Walfisches sicher ist. Die Granate bohrt sich tief in das weiche Fleisch des Thieres ein und tödtet letzteres gewöhnlich sehr schnell; man hat den todten Wal sofort in der Gewalt, da das Geschoß vom Schiffe aus ein starkes Tau hinter sich herzieht und der Stiel vermittelst der mächtigen Widerhaken sich im Thierkörper festsetzt. – Anstatt das Thier, wie früher, auf hoher See abzuspecken, bringt man es jetzt an die Küste, wo Einrichtungen getroffen sind, dasselbe zu zerlegen und abzufleischen, sowie auf rationelle Art den Thran zu gewinnen. Der mächtige Cadaver aber, den man früher auf See unbenutzt treiben ließ, giebt jetzt dadurch, daß man ihn zur Düngerfabrikation verwendet, einen bedeutenden Gewinn. Durch diese Art des Fanges und namentlich dadurch, daß man die mächtigen Fische auf dem Lande zerlegt, ist man erst im Stande, vollständige und gute Skelete dieser Meeresriesen zu erhalten.

Altes Wirthshausschild aus einem Walfischknochen und ein Narwalschädel.

Dem Naturhistorischen Museum in Hamburg wurden drei solcher Skelete zum Kaufe angeboten, es waren Skelete der nordischen Wale: des Riesenwales, mehr als 75 Fuß lang, dann des Finnfisches, circa 58 Fuß lang, und endlich des Buckelwales, etwa 43 Fuß lang. Durch den eigenthümlichen Umstand aber, daß die reiche Hansastadt bis jetzt keine Räume für ein Museum hat, das auch nur annähernd der Würde der Stadt entspricht, geschweige denn Räume für solche Kolosse, wie es diese Skelete sind, war es dem Museum unmöglich, dieselben zu erwerben. In Anbetracht aber, daß der Bau des neuen, in großartigem Stile projectirten Museums wohl schon im nächsten Frühjahre beginnen wird, entschloß sich die Zoologische Gesellschaft zum Ankaufe dieser werthvollen Stücke und erwarb dieselben für 8000 Mark, um sie später im neuen Museum aufzustellen.

Diese drei Skelete gaben Anlaß zu der gegenwärtigen Ausstellung im zoologischen Garten zu Hamburg. In der schönen Halle des Gartens wurde eine Landschaft im Charakter des gletscherreichen Südgeorgiens bildlich dargestellt und außer den drei Riesengerippen unter Leitung des Directors des Gartens Alles zusammengebracht und aufgestellt, was sich auf den Fang der Wale und Robben bezieht und denselben illustrirt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_577.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2018)