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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

schaffen konnte. Mittelmäßiges mühsam zu ermöglichen, das schreckt mich ab und bringt mich zu der Stimmung, welche mich beim Eintritt in diese Laufbahn beherrschte, bringt mich zu der Frage: Wozu? Dies Wozu war jetzt nur kläglich zu beantworten, und deshalb trat ich zurück. Daß ich das Stadttheater nach Verlauf eines Jahres doch wieder übernahm, spricht nicht dagegen. Ich übernahm es jetzt nur als Hülfsarbeiter, als Helfer in der Noth, und wie man trocken sagt: aus verdammter Schuldigkeit, weil es für mich errichtet worden sei.“ ... Ich citire gern dieses Stück Laube’scher Prosa, weil ein stets arbeitssamer und dabei so scharfverständiger Mensch wie Laube am besten sich selbst erklärt.

Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß die beiden bedeutendsten Dramaturgen, die in Wien gewirkt: Franz Dingelstedt und Heinrich Laube, vorgaben, ihren Beruf nicht als hinreichend zu erachten für ihre Ansprüche. Ihre Gründe waren verschieden. Laube fand, daß er viel mehr arbeiten könnte, als ein Theaterdirector muß. Dingelstedt wäre gern über den Hofrath und den Baron emporgestiegen, und als Theaterdirector konnte er über diese Rangstufen nicht hinauskommen.

Wie Laube auch gedacht haben mag über seinen dramaturgischen Beruf, Wien betrachtete ihn vorzugsweise als Leiter des Burgtheaters. Von seinem Schriftstellerthume war den Wienern nur die dramatische Seite bekannt. Von seinen erzählenden Werken wußte man hier wenig, und als die „Presse“ seinen Roman: „Der deutsche Krieg“ veröffentlichte, war der Erfolg ein geringer. In der „Neuen Freien Presse“ ließ er später seine heftigen Artikel über und gegen das Burgtheater, sowie seine „Erinnerungen“ erscheinen. Jene interessirten durch ihren polemischen Ton, diese durch die Fülle des in ihnen angehäuften thatsächlichen Materials. Je älter er wurde, desto mehr drängte es ihn, sich zu beschäftigen. Eine Novelle folgte der anderen; er redigirte eine Gesammtausgabe seiner Werke, einen illustrirten „Lessing“, in den letzten Lebenstagen den Beginn zu einem illustrirten „Heine“; er ließ im Burgtheater ein Stück aufführen, das entschieden mißfiel, aber wann hätte ihn eine Niederlage entmuthigt! Er schien ewige Jugend und eine unerschöpfliche Energie zu besitzen. Jeder Mißerfolg spornte ihn nur zu neuem Ringen und Kämpfen an.

Heinrich Laube auf dem Todtenbette.
Originalzeichnung von W. Gause.

Er ist gestorben; ermüdet ist er nie ... Vor fünf Jahren noch lag ihm der Gedanke nicht fern, ein Berliner Theater zu übernehmen. Auch das Frankfurter Stadttheater stand für ihn in Frage.

Keines dieser Projecte verwirklichte sich, und Laube verblieb weiter in Wien. Hier war er populär wie Wenige. Ganz Wien kannte den gedrungenen, knochenfesten Mann in dem altmodischen, hinten mit einer Spange versehenen Rock, wie er, mächtigen Schrittes ausgreifend, die Hauptallee des Praters täglich um dieselbe Stunde durchmaß, gefolgt von seinen Jagdhunden, begleitet von einem befreundeten Künstler oder Schriftsteller. Ein ebenso regelmäßiger Prater-Spaziergänger war Erzherzog Franz Karl, der im Jahre 1878 verstorbene Vater Kaiser Franz Joseph’s, ein eifriger Theaterfreund. Der Erzherzog gesellte sich gar oft zu dem Director, und dann unterhielten die Beiden sich über das Burgtheater, und der Erzherzog war untröstlich, als er nicht vermochte, durch seinen Einfluß die Intriguen zu durchkreuzen, welche im Jahre 1867 Laube verdrängten.

Während Laube in Leipzig lebte, entbehrte das Wiener Localbild eine liebgewordene Figur. Aber sie kam wieder, Laube machte wieder seine täglichen Promenaden – nur die leise Aenderung trat nach und nach ein, daß er den Prater zu Wagen besuchte und in dem geräumigen Gefährte sein Nachmittagsschläfchen hielt nicht mehr der stramme, aufrechte Fußgänger von ehedem ...

Als ich ihn das letzte Mal besuchte – es war im Winter von 1883 auf 1884 – war er emsig damit beschäftigt, die Grillparzer-Biographie zu schreiben, seine starke, markige Schrift (immer Antiqua) bedeckte einen stattlichen Stoß von Quartblättern. Das Buch ist seitdem erschienen und hat Laube viele Anfeindungen eingetragen. Er hätte, sagen die Leute, aus Grillparzer’s Aufzeichnungen manche Bemerkung über das Verhältniß zu Katharina Fröhlich, seiner „ewigen Braut“, weglassen sollen. Die Angriffe, die es gegen ihn regnete, brachten ihn so wenig aus der Fassung, daß er sich sofort an einen Roman: „Ruben“ machte, welcher die „Judenfrage“ behandelt.

Laube ist in hohem Alter gestorben. Bis an die Grenze des menschlichen Lebens gelangte er; er hat sein Dasein ausgenützt und ausgekostet, hat gearbeitet und genossen; Ehre, Ruhm und Wohlstand, Familienglück wurden ihm zu theil; sein Hingang hat also keinen tragischen Zug, und doch klang es den Wienern wie ein schreckliches Märchen, als die Kunde durch die Stadt eilte: „Heinrich Laube ist gestorben“ – schrecklich, weil Laube uns als ein Sinnbild kraftstrozender Männlichkeit galt, als eine Eiche, die manchem heftigen Sturme Widerstand leisten könne. Er gehörte zu den Auserlesenen, die Einen vergessen machen, daß allen Sterblichen das gleiche Loos zugetheilt ist, und deren Scheiden uns darum wie ein Elementarereigniß ergreift.

Es muthete uns wie ein koketter Scherz an, wie Laube im September 1874, als er von der Direction des Stadttheaters zurücktrat, sich in einer Abschiedsrede einen „alten Knaben“ nannte, der „vielleicht“ wieder einmal vor das Publicum hintreten dürfe. Ein Jahr später führte der „alte Knabe“ zum zweiten Male die Direction des Stadttheaters, und die Zeit verging und Niemand wollte glauben, daß auch an ihm die Jahre ihre Wirkung üben könnten, er selbst glaubte es am wenigsten ... Er bäumte sich gegen das Greisenthum. Edle Geselligkeit war eines seiner Mittel, sich die Frische der geistigen Regungen zu erhalten.

So lange seine Gattin Iduna lebte, bildete sie den Mittelpunkt eines gewählten Kreises, durch welchen Laube in Verbindung blieb mit allen Aeußerungen der modernen Bewegung. Nach dem Tode der Gattin stand er allein – sein Sohn Hans war schon im Jahre 1863 gestorben – aber nach wie vor versammelte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_562.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)