Seite:Die Gartenlaube (1884) 559.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Garten herein führende Thür; unten hauste der praktische Famulus; eine schmale Treppe führte in den oberen Stock, hier schlossen sich zwei Stuben mit einem Altane und zwei kleine Seitencabinete dem engen Flure an.

In dem größeren Zimmer mit schlichtester Einrichtung saßen Mitte December der Herzog und Goethe in traulichem Gespräche beim knisternden Holzfeuer des großen Kachelofens.

Karl August klagte endlich dem Freunde die fortdauernde Trennung von seiner Frau, über die er bislang geschwiegen, weil er Goethe auf Seiten der Herzogin gesehen und sich dadurch verletzt gefühlt hatte.

„Solche Maulerei und thörichte Pikirtheit, die kein Ende finden kann, ist mir unausstehlich,“ sagte er jetzt rückhaltlos. „Du weißt, wir hatten im Sommer etwas wie einen Zank, ich mag wohl zu derb geworden sein, ein paar unbedachte Worte hingeworfen haben! Ich schwöre Dir aber, daß ich von der ganzen Geschichte nichts Genaues mehr weiß; und sie spinnt sich daraus einen Trauermantel, den sie sammt ihrer Duldermiene gar nicht wieder los wird. Diese Sentimentalität ist mir zu arg!“

Goethe vertheidigte die Herzogin mit warmen Worten.

„Wußt’ ich’s doch im Voraus, daß Du ihr Advocat sein würdest!“ rief Karl August unzufrieden. „Deshalb habe ich Dir auch nichts wieder von unserem Zwist gesagt; nun aber kommt im Januar ihr Geburtstag heran; der Besuch des Cousin Ferdinand von Braunschweig ist in Sicht, da muß Luise doch ihre Trauerflöre abthun, repräsentiren und aufhören mir ein grämliches Gesicht zu schneiden, sonst heißt es in der Verwandtschaft, wir leben wie Katze und Hund zusammen.“

„Besinne Dich, womit Du sie beleidigt hast; bei Milli’s Tode fand Eure Entzweiung statt? Wenn ich Arzt sein soll, muß ich genau den Sitz des Uebels kennen.“

Der Herzog beichtete; so gut er sich jener Unterredung noch entsann, suchte er sie wieder zusammen zu stellen.

„So glaubt sie also Deine Liebe verloren zu haben?“ rief Goethe bewegt, „so trauert sie um ihr verlorenes Eheglück? Und Du bist nicht davon ergriffen, bist nicht in tiefster Seele gerührt?“

„Rührung hin, Rührung her!“ knurrte der Herzog unwirsch.

„Setze sie mir zurecht, weine meinetwegen mit ihr, aber mach’ sie wieder entgegenkommend und vernünftig.“

„Sie verhält sich stolz und ablehnend gegen mich, sie hält mich für feindlich gegen sie gesinnt, und ich verehre sie doch so innig. Aber laß mich überlegen, ich will versuchen ein Festspiel zu erdenken, das, auf sie gemünzt, ihr vielleicht zu Herzen geht.“

Einige Wochen später ward die lustige Welt von Weimar durch die Nachricht lebhaft in Bewegung gesetzt, Goethe habe zum Geburtstage der Herzogin Luise ein neues Drama gedichtet, Seckendorf die darin vorkommenden Lieder in Musik gesetzt, Aulhorn werde Ballets arrangiren, und nun solle es an ein Vertheilen der Rollen, an unterhaltende Proben und an alle jene Vorbereitungen gehen, die oft ergötzlicher sind als der Festabend selbst. Die Jugend zeigte sich, wie immer, voller Bereitwilligkeit, und das Unternehmen ward mit allen Kräften in Angriff genommen. So kam der festliche Tag, der 30. Januar heran.

Der Herzog hatte seiner Gemahlin durch die Oberhofmeisterin Gräfin Gianini sagen lassen, er hoffe sie an ihrem Geburtstage in farbiger Gesellschaftstoilette zu sehen.

Am Morgen des Tages ließ er bei ihr anfragen, wann sie ihn empfangen wolle.

Sie ließ erwidern, daß sie immer für ihn bereit sei.

Er ging also mit einem Schmuckkästchen, das ein Halsband von Türkisen enthielt, etwas unbehaglich gestimmt – denn seit jenem unliebsamen tête-à-tête hatte er nie versucht sie allein zu sehen – zu ihr in den grünen Salon.

Luise war heute weiß gekleidet, sie sah aber ebenso bleich und niedergeschlagen aus wie immer, und sowohl ihre beiden Hofdamen, wie auch die Oberhofmeisterin waren zugegen. Damit war jede Möglichkeit einer intimeren Erörterung abgeschnitten.

So sehr nun Karl August auch Versöhnung wünschte, athmete er doch erleichtert auf, als es jetzt noch nicht zu der halb gefürchteten Aussprache zwischen ihnen kommen konnte. Diese Frau hatte ein Etwas in ihrem Wesen, das ihn beklemmte, und stets fühlte er sich ihr gegenüber in einer fremden Atmosphäre. Er übergab mit einem kurzen Glückwunsch sein Geschenk, küßte seine Gemahlin auf die Wange, nahm zu einer kurzen, gleichgültigen Besuchsunterhaltung mit den Damen Platz und war froh, als die Geburtstagscour der Gratulanten das Zimmer derart anfüllte, daß von einer persönlichen Berührung nicht mehr die Rede sein konnte.

Nach einem Hofdiner in den üblichen Formen sollte zum Abend die Aufführung des lange vorbereiteten Festspiels folgen.

Der Saal, in welchem an der einen kürzeren Seite die Bühne aufgeschlagen worden, prangte heute in besonderem Schmuck. Tannengewinde und Treibhauspflanzen, reichlichere Beleuchtung als sonst, Fahnen, Inschriften und Festons bildeten ein heiter einladendes Ganze.

Die Mitglieder des Hofes, welche nicht als Darsteller im Stück beschäftigt waren, umgaben die in weiße Seide gekleidete junge Herzogin, an deren Halse der ihr vom Herzoge verehrte Schmuck glänzte, und eine befohlene große Gesellschaft füllte alle übrigen Zuschauerplätze.

Eine Festouvertüre, unter Leitung des Capellmeisters Wolf, von den sechsunddreißig Mitgliedern der Capelle vortrefflich ausgeführt, eröffnete das Spiel.

Dann trat Karoline von Ilten, anmuthig als Amor gekleidet, hinter dem Vorhang heraus, ging auf die Herzogin zu, überreichte ihr einen Theaterzettel – während die Gesellschaft durch Lakaien mit Zetteln versorgt wurde – und trug, zaghaft stockend, neben gereimten Glückwünschen, die Bitte vor, das folgende Spiel, von Amor selbst ersonnen, sich wohl gefallen und zu Herzen gehen zu lassen.

Der Komödienzettel lautete:

Festspiel

zu Ehren des Geburtstags Ihrer Durchlaucht, der Herzogin Luise von
Sachsen-Weimar-Eisenach,

am 30. Januar 1777.

Lila, ein Drama mit Gesang und Tanz.

Personen:
Baron Sternthal Sr. Durchl. Herzog Karl August.
Lila, seine Gemahlin Demoiselle Corona Schröter.
Marianne, seine Schwester Frl. Heimelte von Wöllwarth.
Schwestern der Lila Auguste von Kalb
Frl. Adelaide von Waldner.
Graf Altenstein Oberstallmeister von Stein.
Graf Friedrich, sein Sohn Oberforstmeister von Wedel.
Doctor Verazio Legationsrath Goethe.
Der Oger,[1] der Dämon, Feen, Spinnerinnen, Gefangene.

Das Stück handelte von einem durch Mißverständnisse getrennten Ehepaare und ging mit phantastischen Erscheinungen, Tänzen und Chören ergötzlich vorüber. Lila, die aus Irrthum und Wahn den Verstand verloren hat und stets Trauerkleider trägt, wird durch Doctor Verazio-Goethe hergestellt und mit ihrem Gemahl wieder vereinigt. Zuletzt singt sie:

„Ich habe Dich, Geliebter, wieder,
Umarme Dich, o bester Mann!
Es beben alle mir die Glieder
Vom Glück, das ich nicht fassen kann!“

Lebhafter Beifall folgte. Die Idee, der trübsinnigen jungen Herzogin ein Spiegelbild vorzuhalten, wurde auch recht wohl verstanden, doch hütete man sich, laut davon zu sprechen.

Welchen Eindruck die Herzogin selbst empfangen haben mochte, war schwer zu beurtheilen. Sie behielt stets in voller Selbstbeherrschung die Haltung ruhiger Würde. Wie üblich erhob sie sich nach dem Spiel und sprach mit den vornehmsten Personen ihres Kreises. Auf ein warmes Lob des Stückes und der hübschen Vorstellung von Seiten ihrer lebhaften Schwiegermutter antwortete sie mit edler Ruhe, daß es eine geschickt arrangirte Darstellung gewesen sei, die recht unterhaltend gewirkt habe. Dann fragte sie ablenkend, als eine Schaar Lakaien die Stuhlreihen forträumte und die Capelle sich anschickte auf der Bühne Platz zu nehmen, ob man noch zu tanzen beabsichtige. Die Herzogin Anna Amalie verneinte und sagte, so viel sie wisse, solle nur ein Souper an kleinen Tischen folgen.

Eine der andächtigsten Zuschauerinnen war Christel von Laßberg an der Seite ihrer Tante Barbara gewesen. Ihre großen blauen Augen weiteten sich immer mehr, und immer lebhafter zuckte die innere Erregung in ihren zarten Gesichtszügen, je

phantastischer sich die Handlung entwickelte. Es schien ihr, als

  1. Oger, ein dem Rübezahl vergleichbarer böser Dämon, der namentlich Gemüthskranke in seine Gewalt zu bekommen sucht.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_559.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2022)