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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Alfred Meißner’s Lebenswerk.

Von Hans Blum.
(Schluß.)


Es war im September 1846, als Meißner nach Leipzig kam. Der Verleger für „Ziska“ war bald gefunden. Das Heldengedicht erschien und hatte ungeheuren Erfolg. Meißner konnte am Morgen nach der ersten Ausgabe von sich sagen, wie Byron, daß er über Nacht berühmt geworden sei. Die erste Auflage war in der ersten Woche vergriffen. Alle Zeitungen, alle Literaturzeitschriften – von denen es damals eine Fülle gab – waren voll des einmüthigsten Lobes, obwohl Meißner den einflußreichen Freunden jedes Wort über das Werk verboten hatte. Selbstverständlich machte dieser glänzende Wurf den vierundzwanzigjährigen Dichter in allen Schriftsteller- und Künstlerkreisen begehrt und beliebt, ebenso sehr aber auch seine persönliche Bescheidenheit und Liebenswürdigkeit. Leipzig und Dresden konnten damals als die Heimathsitze der namhaftesten deutschen Schriftsteller und Künstler gelten. In Leipzig lernte Meißner Heinrich Laube, Herloßsohn, Ignaz Kuranda, Ernst Willkomm, Johannes Nordmann, Oettinger etc. kennen, in Dresden Gutzkow, Auerbach, Richard Wagner, Robert Schumann, Rietschel, Semper, Julius Hübner, Julius Schnorr, Hähnel, Ferd. Hiller. In treffendster Weise wird jeder dieser Männer von Meißner geschildert. Gutzkow’s „Uriel Acosta“ war für ihn das letzte literarische Ereigniß in Dresden. Er mußte unfreiwillig und plötzlich von der sächsischen Hauptstadt Abschied nehmen.

In Oesterreichs amtlichen Kreisen war nämlich Meißner’s „Ziska“ keineswegs mit der Begeisterung aufgenommen worden, wie im Volke. „Ziska“ ward im Gegentheil von der kaiserlich königlichen Censurhofstelle mit dem damnatur belegt. Die strafrechtliche Verfolgung des österreichischen Verfassers war damit angesagt. Daß diese in Form eines „Kreisschreibens“ an die österreichischen Regierungsämter im Werke sei, erfuhr Meißner durch die anonyme Zusendung dieses lithographirten Actenstückes von Seiten eines vertrauten Freundes in Prag. Trotz der damaligen sprichwörtlichen Bereitwilligkeit des sächsischen Staates, Oesterreich bei Ergreifung politischer Verbrecher starke Hand zu leisten, weilte Meißner noch in Dresden. Eben erst hatte er das lithographirte „Kreisschreiben“ erhalten.

Es war ein feuchtkalter Januarabend des Jahres 1847, als er mit Richard Wagner, Friedrich Pecht und Hähnel aus Helbig’s Restaurant an der Brücke trat und seiner Wohnung in der Neustadt zuschritt. Da redete ihn, dicht am Hause, ein Friseur leise und vorsichtig in breitem Sächsisch an und vertraute ihm, daß Polizei seit einer Stunde auf seinem Zimmer seiner warte und eine Droschke in der Nähe auf sie Alle.

„Sehen Sie dort die Droschke, mein gutes Herrichen,“ schloß der freundliche Warner, „es ist die bewußte.“

„Ich blickte in die angegebene Richtung,“ sagt Meißner, „betrachtete das mir freundlich zugedachte Vehikel, war aber entschlossen, dasselbe nicht zu benutzen.“

Ohne Zeitverlust nahm unser Dichter den nächsten nach Preußen abgehenden Eisenbahnzug.

Seine Wanderzeit begann. Erst in Köln machte er Halt. Dann ging es weiter nach Brüssel. In dem bunten Flüchtlingsgewimmel der belgischen Hauptstadt gewinnt Meißner einen lieben, bedeutenden Freund, den geistvollen, bescheidenen Jacob Kaufmann. Am 8. Februar 1847 betritt Meißner zum ersten Male Paris. Sein unseliges Wiedersehen mit Céleste an diesem Tage ist schon oben erzählt. Am 10. Februar schon sucht er Heinrich Heine auf. Das Verhältniß der beiden Dichter gestaltet sich von Anfang an überaus herzlich. Kein Anderer hat über Heine’s Verhältnisse, Gedanken, schriftstellerische Schöpfungen und Pläne der folgenden Jahre so tiefe und unbefangene Aufschlüsse gegeben, wie Alfred Meißner. Was er selbst darüber geschrieben, Strodtmann und Eduard Engel mitgetheilt hat, darf als beste und untrüglichste Quelle der Nachrichten aus dem letzten Jahrzehnt des unglücklichen Dichters gelten. Diese Mittheilungen über Heine füllen einen großen Theil der beiden Bände des Meißnerschen Memoirenwerks. Darum allein schon lohnt sich dessen Besitz.

Aber auch für die Kenntniß der hervorragendsten Gelehrten, Schriftsteller, Dichter des damaligen Frankreich sind diese Erinnerungen Meißner’s ungemein werthvoll. Jules Michelet, Béranger, Alexander Dumas Vater z. B. sind sämmtlich köstlich geschildert. Der Dialog, der sich mit Vater Béranger bei Meißner’s Besuch entspinnt, ist die beste Lustspielscene, die man sich denken kann. Béranger hält Prag für die Hauptstadt Ungarns, verwechselt es dann mit dem aus der polnischen Erhebung berühmten Praga und hält Meißner trotz aller Belehrung für einen Ungarn. Als ihm auch dieser Irrthum benommen ist, macht er die verworrenen staatsrechtlichen Verhältnisse Deutschlands dafür verantwortlich, daß er, der klare Franzose, sich nie darin zurecht finden könne. Alexander Dumas dagegen versichert ernsthaft, er arbeite an einer Uebersetzung von Schiller’s „Kabale und Liebe“ – „eine Arbeit,“ sagt Meißner, „die um so erstaunlicher erscheint, wenn man bedenkt, daß Dumas kein Wort Deutsch verstand.“ Endlich lernt Meißner damals auf einer Eisenbahnfahrt von Havre nach Paris eine reizende junge Deutsche kennen, die er fortan häufig spricht, und zwar so oft er nach Paris kommt, mit der er stundenlang durch die Umgebungen der Weltstadt wandert, die aber um ihren Namen, ihre Familie, ihre Wohnung undurchdringliches Geheimniß webt. Erst viele Jahre später, nach dem Tode Heine’s, erfährt Meißner von ihr selbst, daß sie Heine’s „Monche“ (Camilla Selden) gewesen, von der unseren Lesern Eduard Engel zu Beginn dieses Jahres eingehend berichtet hat.

Im September 1847 kehrte Meißner nach Deutschland, zunächst nach Heidelberg, zurück. Der kurze Aufenthalt daselbst ward von entscheidender Bedeutung für die Richtung seines poetischen Schaffens. Er traf dort Berthold Auerbach, Adolf Stahr, Jacob Moleschott, Hermann Hettner, Ludwig von Rochau. Den Freunden theilte er mit, daß er weitere zwei Epen aus der böhmischen Geschichte „Georg von Podiebrad“ und die „Weißenberger Schlacht“ fast vollendet habe. Auerbach und Hettner erheben lebhafte Einsprache, erklären den Stoff für undeutsch, der deutschen Sache in Böhmen gefährlich. Inzwischen war nämlich die czechische Nation erfunden worden. Meißner wehrt sich, streckt aber die Waffen vor der verstärkten Gegenrede der Freunde. Die Gedichte wandern in den Ofen, und am Abend kann er den Freunden verkünden, daß es bei ihm „mit den alten Böhmen für immer vorüber sei“.

Diese That erweist sich nach seiner Rückkehr nach Prag, Ausgangs 1847, als eine wirklich gute, deutsche That. In dem wilden Nationalitätenstreite, den das Jahr 1848 in der böhmischen Hauptstadt wachsen sieht, wären Meißner’s czechische Epen wirklich nur den Feinden der Deutschen in Oesterreich Rüstzeug gewesen. Unvergleichlich lebendig ist die Schilderung der Scenen und Persönlichkeiten, welche der Frühling des „tollen Jahres“ in der böhmischen Hauptstadt über die öffentliche Schaubühne führt. Meißner schildert sie aus erster Quelle, denn der Dichter des „Ziska“ ward von den begeisterten Volksmassen in die provisorische Regierung Böhmens, den „Nationalausschuß“ gewählt. Doch immer fremder und unbehaglicher fühlt sich Meißner in der Stadt seiner Jugend bei der wachsenden Unklarheit der Köpfe und Ziele.

Auf das Frankfurter Parlament ist sein Hoffen, seine Zuversicht gerichtet. Er eilt zu Pfingsten nach Frankfurt; von Leipzig an macht er die Fahrt mit Arnold Ruge. Er bleibt in Frankfurt bis gegen Neujahr und sieht hier alle die Hoffnungen in Trümmer gehen, die er auf die Versammlung in der Paulskirche gesetzt. Die Erstürmung Prags und die Wiens durch Windischgrätz liegen dazwischen. Meißner stand ganz auf dem Boden der Frankfurter Linken, und auch sein Werk steht heute nach sechsunddreißig Jahren noch auf diesem Boden. Der Historiker mag es deshalb tadeln; dem Freunde treuer zeit- und culturgeschichtlicher Schilderung bietet es eine Fülle köstlichsten, frischesten Stoffes. An der großen Revolutionsbewegung selbst hatte sich Meißner nur durch ein „Octobergedicht“ aus Anlaß der Wiener Octobertage betheiligt. Dieses sollte nach der Meinung des Prager Staatsanwalts eine wahre Fundgrube politischer Verbrechen enthalten, nämlich: „1) Schmähung des Landesfürsten, mit der Absicht, gegen ihn Abneigung zu erwecken; 2), 3) und 4) Aufforderung zum Aufruhr, zur Unterjochung des Vaterlandes durch einen äußeren

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