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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 33.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Herrin von Arholt.
Novelle von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Eine quälende, eine bittere Frage stieg bei der Betrachtung des Verhältnisses von Maria Tholenstein zu Wolfgang Melber in Raban auf – eine Frage, welche all sein Blut in Wallung versetzte. Glaubte dieser Bildhauer nun auch, wenn nach der Großmutter Tode er in seine ursprünglichen Rechte eingesetzt würde, Marie Tholenstein bei ihrem Namen und in ihrem Besitzstande erhalten, ihr zum Danke für ihren Verzicht auf Alles, den sie ja bereitwillig aussprechen würde, die Hand reichen zu müssen? Raban’s eifersüchtigem Herzen lag diese Frage ja so nahe, und Allem zum Trotz, was er sich zur Beruhigung darüber sagte, ward sie bei der Beobachtung von Melber’s und Mariens Art des Verkehrs mit einander so quälend, daß er beschloß, um jeden Preis zur Klarheit über diese Lage zu gelangen.

Er konnte diesen Entschluß nicht fassen, ohne mit schwerem Herzen seines Vaters zu gedenken; des Kampfes, der mit ihm bevorstand, wenn er um Mariens Hand geworben und deren Zusage erlangt hatte. Aber er tröstete sich mit dem Gedanken, daß sein Vater ja Marie Tholenstein nicht kenne, daß er versöhnt mit ihr werden würde, wenn er sie ihm auch als das Kind einer kleinbürgerlichen Familie zuführe. Mein Vater, sagte er sich, kennt die Tiefe und Innigkeit meines Gefühls für sie nicht; er kann nicht ermessen, wie zerstört und für ewig vernichtet und verloren mir ohne sie das Leben sein würde – er kennt das Alles nicht, und wer kann Richter sein wollen über eine Sache, die er nicht kennt?

Aber konnte Raban denn reden und werben um Marie, so lange nicht vollständige Klarheit war zwischen ihm und – Leni Eibenheim? Auch das legte sich ihm schwer auf die Seele. Aber die Klarheit war ja eigentlich schon da. Und Leni, schien es, empfand keinen großen Kummer darüber. Sie hatte nichts in ihrem um kleine Dinge sich bewegenden Leben geändert, nichts gethan, was ihn hätte wieder anziehen und fesseln sollen – sie that, was sie immer that, was alle im Eibenheim’schen Hause thaten: sie amüsirte sich.

Und doch empfand es Raban wie eine moralische Verpflichtung, hier ein Schlußwort zu sprechen. Vielleicht war es eine Pedanterie, so zu empfinden. Er hatte Augenblicke, wo er sich völlig klar darüber war, und in einem dieser Augenblicke sagte er sich auch: Marie Tholenstein besitzt dein Vertrauen in Allem und Jedem – es ist nichts in dir, was du nicht ihr sagen, bekennen, worüber du sie nicht entscheiden lassen möchtest! Sag ihr auch das, laß sie es dir künden, ob in einer solchen Lage der Dinge ein schwer auszusprechendes, peinliches, letztes Wort gesagt werden muß oder ob es verschwiegen bleiben kann!

Es hatte nur einige Schwierigkeit, diesen Entschluß auszuführen, da Raban Marie nie allein sah. Bis jetzt war bei ihren Unterredungen stets entweder Wolfgang selber oder die Tante Stiftsdame zugegen gewesen. Marie hatte es abgelehnt, von ihm aus dem Atelier Wolfgang’s nach Hause begleitet zu werden – sie schien immer noch, nachdem Raban sich von dem Bildhauer verabschiedet hatte, mit diesem einige Worte auszutauschen zu haben. „Gehen Sie jetzt,“ sagte sie dann scherzend und die Spritze herbeiholend, um den Thon ihres Bildwerks zu befeuchten; „ein Laie, wie Sie, braucht nicht hinter die Coulissengeheimnisse der Kunstarbeiter zu schauen. Und Raban ging dann und überließ sie dem Schutze ihrer Anna.

Raban war jedoch zu erregt und zu ruhelos geworden durch Alles, was ihn bewegte, um geduldig abwarten zu können, bis ein günstiger Zufall ihm die Gelegenheit bringe, Marie allein zu sprechen. Als er das nächste Mal zu ihrer Wohnung ging, nahm er sich vor, sie um die Gunst zu bitten, auf dem nächsten ihrer Mildthätigkeitsgänge sie begleiten zu dürfen.

Als er die Bitte dann aussprach, sah sie ihn betroffen an. Es war, als ob sie darüber erschrecke und unschlüssig sei, welche Antwort sie geben solle.

Auch die Stiftsdame sah Raban an, aber mit einem eigenthümlichen Blicke des Verständnisses – sie mochte aus seiner gespannten Miene etwas herauslesen, was sie vielleicht nicht zum ersten Male an diesem Abende in derselben las und was ihr durchaus nicht unangenehm sein oder bedenklich erscheinen mochte.

„Ich meine, Du magst immerhin Herrn von Mureck einmal mit Dir wandern lassen,“ sagte sie; „es wird mich beruhigen, Euch unter männlichem Schutze zu wissen, Dich und Deine Anna!“

Marie schien doch ein inneres Widerstreben zu empfinden, erst nach einer Pause sagte sie halblaut:

„Nun wohl, dann seien Sie morgen um halb elf Uhr im Stadtparke. Ich will Sie dort erwarten, da ich eine kranke Wöchnerin hinten in der Landstraße besuchen möchte.“

„Ich werde pünktlich sein,“ antwortete Raban erfreut.

Als er dann später heimging und durch die gaserhellten Straßen dem Gasthof zuschritt, in welchem er sein Quartier aufgeschlagen, fühlte er sich doch nicht wenig beklommen über die Energie, mit der er sich zur Entscheidung drängte. Es kam ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_537.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)