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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

in ledernem Wamms, Weste und Beinkleidern, mit Stiefeln à la Caspar Larifari – dem Knappen aus dem Donauweibchen, muß ich wohl hinzusetzen, denn wer kennt heute noch das Donauweibchen? Man behauptete auch, er habe sich in seinem vollen Leder trauen lassen, was aber gewiß nur ein schlechter Scherz war . . .“

„Aber,“ unterbrach hier Raban das Stiftsfräulein, das sich offenbar mit Befriedigung in diese Jugenderinnerungen vertiefte – „mein Vater in so befremdlichem Costüme? Ich kann meiner Phantasie durchaus nicht abgewinnen, ihn mir so – ledern vorzustellen . . . wirklich nicht!“

„Es ist aber so, wie ich Ihnen sage,“ fiel lebhafter das alte Fräulein ein – „ich sehe ihn ja noch vor mir mit dem großen rothen Flecke unter der linken Schläfe . . .“

„Ach,“ rief Raban aus, „das war mein Großvater – den ich gar nicht mehr gekannt habe . . .“

„Ihr Großvater war es? Nun ja, nun ja, Sie haben Recht, Ihr Großvater wird es gewesen sein – mein Gott, wenn man so alt wird! – man denkt immer nicht daran, daß die Menschen, die Dinge, die Welt in ewiger Strömung bleiben, während man selber stehen geblieben und etwas wie ein Fossil geworden ist. – Also Ihr Großvater war es – ein Original war er aber doch – und sonst ein ganz praktischer Mann. Er war es, der meiner Schwester rieth, die alte Wendelstiege in Arholt ganz abtragen und dafür ein geräumiges helles Stiegenhaus herstellen zu lassen – es war damals, weißt Du, Marie,“ wandte sich das Stiftsfräulein an ihre Nichte, „als man im Mauerwerke bei den Arbeiten die kleine eiserne Kiste mit allerlei alten Münzen fand . . .“

„Ich weiß, liebe Tante,“ sagte Marie, sich tiefer auf ihre Arbeit bückend.

„Man fand alte Münzen,“ fiel Raban, jetzt wieder des Silbermann’schen Kummers gedenkend, ein – „die später hierher in das kaiserliche Cabinet kamen?“

„Hierher?“ sagte das Stiftsfräulein. „Das weiß ich nicht. Aber es ist sehr möglich. Weißt Du es, Marie? besitzest Du nicht selbst solche Münzen; hast Du mir sie nicht gezeigt – vor längerer Zeit?“

„In der That, liebe Tante, habe ich Dir einige davon einmal gezeigt. Ein halbes Dutzend der größten und werthvollsten hat die Mutter schon vor vielen Jahren, wie sie mir erzählte, an einen Herrn verkauft, der auf alte Kunstsachen fahnden ging und der einen großen Werth darauf legte, sie zu bekommen. Einige wenige davon hat die Mutter aber für sich behalten und nachher mir geschenkt. Ob die anderen hierher nach Wien in ein Cabinet gekommen, davon weiß ich nichts zu sagen. Ich hörte nie davon.“

Marie hatte rasch und mit jener Tonlosigkeit gesprochen, womit man Dinge, die uns nicht interessiren oder über die man rasch hinweggleiten möchte, erledigt. Sie hatte dabei sich tiefer über ihre Arbeit gebückt. Und so ließ man das Gespräch über die Münzen, das Raban ja nicht ergänzen durfte, fallen.

Die Stiftsdame fragte Raban, wie ihm das Klima Wiens gefalle, ob er sich wohl darin fühle, ob er von dem kalkigen Staube nicht leide, und dann fuhr sie fort, wie sie es anfangs gefürchtet, wie sie aber finde, daß es besser als sein Ruf sei. Die alte Dame war dabei auf etwas, das eine Lebensfrage für sie schien, gerathen, denn sie sprach viel darüber und klagte am Ende über ihre Nichte, die mit soviel jugendlicher Unbekümmertheit bei jedem Wetter ausgehe und so gar keine Scheu habe, überall hinzugehen in der großen Stadt, während in vielen Häusern doch sicherlich ansteckende Krankheiten herrschten, und ein junges Mädchen doch nie davor sicher sei, auf unangenehme Begegnungen zu stoßen . . .

„Ich gehe doch nie in ein mir noch unbekanntes Haus, ohne die Anna bei mir zu haben, liebe Tante,“ gab Marie zur Antwort.

„Als ob die Anna ein Schutz wäre!“ fiel die Großtante ein.

„Gegen ansteckende Krankheiten freilich nicht,“ entgegnete Marie lächelnd – „da schützt mich am besten meine Furchtlosigkeit; ich denke nicht an mich, nicht daran, daß mir etwas zustoßen könne.“

„Leider,“ seufzte die Tante, „bis es zu spät und Dir etwas angeflogen ist! Aber Du hast einmal Deinen Beruf verfehlt, Du bist einmal eine geborene ‚barmherzige Schwester‘ . . . Es ist schrecklich mit meiner Nichte, Herr von Mureck, sie hat eine wahre Manie, sich mit allerlei armem Volke einzulassen, von dem sie ausgeplündert, ausgebeutet wird – ich bin überzeugt, sie ist unter diesen Menschen schon überall bekannt. Einer weist sie dem Andern zu, und so vermehrt sich diese schreckliche Kundschaft, die sie sich gemacht hat, und die Last mit jedem Tage ... in die höchsten Stockwerke, in die Dachkammern klettert sie empor, um da, weiß Gott, in welche Scenen und Dinge zu blicken, die doch, das werden Sie mir zugeben, Herr von Mureck, nichts für die Augen eines jungen Mädchens sind . . .“

„Ich fürchte,“ fiel Marie von Tholenstein ein, „Herr von Mireck, liebe Tante, wird Dir nichts zugeben. Er begreift es, daß man, von Nothleidenden angegangen, mehr thun möchte, als sich durch einige Kreuzer mit ihnen abfinden. Wenn ein alter, durch die Arbeit oder im Kriege invalid gewordener Mann uns seine Klagen vorbringt, so thut man ihm doch mehr wohl, wenn man geduldig seine Geschichte anhört, mit Theilnahme auf seine Lage eingeht und mit ihm darüber spricht, als durch die geringe Gabe, die man ihm hinterlassen kann. Und armen verlassenen Kranken hilft man gar nicht durch ein Almosen, das im Augenblicken verzehrt ist, man muß zu ihnen gehen, man muß sehen, wo es und was am Nöthigsten fehlt, und ihnen das zu verschaffen suchen . . .“

„Ja – wenn man canonisirt werden will, wie die heilige Elisabeth,“ sagte spöttisch die Tante.

Raban blickte mit leuchtenden Augen auf die neue Heilige – heilig schien sie ihm in der That mit ihren feinen weichen Zügen, die etwas so Hinreißendes und Bezwingendes für ihn hatten. Es waren ihm ja nun auch alle letzten Räthsel, die anfangs um ihre Erscheinung für ihn gelegen, geschwunden – er wußte, wie es zuging, daß er sie in so auffallenden Unterredungen mit Invaliden und alten Frauen erblickt, und wenn man sie damals, wo er ihr nachgegangen, vor ihm verleugnet hatte, so war auch das nicht schwer zu erklären – er hütete sich jedoch, darnach zu fragen und seine Verwegenheit zu gestehen. Nach ihrem Amazonenthume fragte er aber doch, indem er erwähnte, daß er sie einmal als kühne Reiterin zu sehen Gelegenheit gehabt; er hörte. daß sie zuweilen ein Pferd einer entfernten Verwandten benutze und deren Vater und Brüdern sich auf einem Ritte durch den Prater anschließe. Daheim in Arholt war sie ja gewohnt, auf diese Art häufig ihre Ausflüge zu machen.

„Was ja auch wahrhaftig besser ist, als Deine Ausflüge unter die Dächer,“ fiel die Tante dabei ein.

„Die Sie dem gnädigen Fräulein doch auch nicht übel nehmen dürfen,“ meinte Raban. „Jeder folgt dem Antriebe seiner Natur, und wir haben doch dem Himmel zu danken, wenn diese Natur eine so edle und gute, so von dem Drange, wohl zu thun, erfüllte ist. Nur vor der Maßlosigkeit müssen sich, glaube ich, dabei alle Frauennaturen bewahren, da ihnen diese, wie unsere Psychologen behaupten, in allen Dingen so bedenklich nahe liegen soll. Wir gehören doch hauptsächlich und zuerst uns selber an und dann erst denen, die uns mit der Schilderung ihrer Noth gefangen nehmen – wir würden uns selbst krank und elend machen, wenn wir unsere Phantasie zu ausschließlich anfüllen ließen von den Bildern alles Elends, und wenn wir auch den Augenblicken nicht ausweichen können, in denen wir uns sagen müssen: ‚der Erde ganzer Jammer faßt mich an‘, so dürfen wir uns doch nicht dauernd durch diesen Jammer die frohe und frische Lebenslust verkümmern und verderben lassen, nicht das Dankbarkeitsgefühl gegen die guten Götter, die uns so viel Schönes, Großes und Beglückendes gaben, – Ihnen, Fräulein von Tholenstein, zum Beispiel das Talent, die Krone von Allem!“

„Angenommen, ich hätte ein solches,“ versetzte Marie sanft, „kann es nicht auch eine Versuchung sein, uns von höheren Pflichten fortzulocken?“

„Gewiß, sehr möglich – aber diese Pflichten müssen doch erst als vom Sittengesetz fest bestimmte vor uns hintreten und uns rufen. So lange dies nicht der Fall, müssen wir unserem Talente gehorchen. Das Talent kann nicht entwickelt werden, ohne unser Wesen immer mehr zu idealisiren, und giebt es eine schönere Pflicht, als solch einer Erlösung und Veredlung, einer Idealisirung unseres Seins zu leben, sich von der Hand der Kunst eine bleibende Wohnung ‚in den Gefilden hoher Ahnen‘ bereiten zu lassen?“

„Sie betrachten es mit einem sehr jugendlichen Enthusiasmus,“ versetzte Marie. „Wenn Sie so viele unserer Künstler mit sehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_522.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2022)