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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Nachdem die Internationale von den ‚Bürgern‘ als außerhalb des Gesetzes stehend erklärt worden ist, und die Fortschritte der socialen Revolution zur Züchtigung des Bürgerstandes und seiner Verbrechen unmöglich gemacht sind, in Anbetracht dessen, daß die Verbündeten keine Macht haben, ihre Strafen zu vollstrecken, bildet sich zu diesem Zwecke ein Ausschuß (eigentlich Kern, núcleo), der sich Volkstribunal nennt.

Jeder Ausschuß wird aus 10 Individuen bestehen. – Sein Hauptzweck wird sein, die Verbrechen der ‚Bürger‘ durch Feuer, Eisen, Gift und andere Mittel zu bestrafen. – Die Mitglieder werden am ersten jedes Monats Zusammenkünfte abhalten, und in ihnen werden sie Rechenschaft ablegen über die Mittel, die Repressalien auszuführen. – Sie werden Mittel erkunden, um Schaden zuzufügen, und diese dem Präsidenten vorlegen. Sie werden einen wöchentlichen Beitrag von fünf Centimos (vier Pfennig) zahlen. Alle günstigen Gelegenheiten, um Züchtigungen zu vollziehen, werden benutzt werden, aber man wird sich nicht weigern dürfen, im Nothfall das Leben auf das Spiel zu setzen. – Die Rache wird an den Personen oder am Besitzthum genommen werden. Um einen Verräther zu tödten, darf Niemand Rücksicht darauf nehmen, ob dies sein Vater, Sohn oder Bruder ist. – Der Ausschuß wird nicht eher aufgelöst werden, als bis die sociale Revolution vollzogen ist. – Alle werden bei dem Eintritt (in den Bund) ihre Namen ändern. – Die mit ihnen in Verbindung Stehenden müssen sie den Haß gegen die Reichen lehren.“ –

Ein anderes Document lautet:

„Die schwarze Hand. – Gesellschaft der Armen gegen ihre Tyrannen und Henker. – Europa, erstes Jahrhundert. – Die Reichen haben in ihren Klauen den Besitz der Armen. – Falsch sind die Vorstellungen bezüglich des Eigenthums und der Verzeihung von Beleidigungen. – Es empfiehlt sich der Gebrauch des Giftes, des Feuers und selbst der Verleumdung. – Die Gesellschaft ist eine geheime. – Wer etwas enthüllt, wird eine Strafe von zeitweiliger Ausschließung bis zu der des Todes erleiden. – Man erwirbt das Recht zum Eintritt durch irgend einen geleisteten Dienst. Es müssen die Genossen in Betracht ziehen, daß der Verband eine fürchterliche Kriegsmaschine ist, von der jedes Mitglied ein Stück bildet. – Wer gegen seine Verpflichtungen fehlt, wird vor Gericht gestellt und den Tod erleiden.“ –

Diese Documente beweisen zur Genüge, wie weit die Verrohung und Verirrung der Mitglieder einzelner socialistischer und anarchistischer Vereine andalusischer Arbeiter geht, und wie das Verbrechen in denselben sanctionirt ist; die Praxis bezeugt, daß die andalusischen Socialisten ihre Lehren auch wirklich durch die Thaten bekräftigen.

Woher, müssen wir uns nun fragen, kommt diese Erscheinung, daß der Nihilismus – denn dieser ist es, der den Geist vieler andalusischer Arbeiterbündnisse offenbar beherrscht – so viel Boden im Süden Spaniens gefunden hat? Liegt er der Natur und Anschauungsweise der Andalusier so nahe? Nicht näher als den Arbeitern anderer Districte und Länder, denn wenn auch die andalusische Bevölkerung sehr überwiegend von arabischen und berberischen Elementen durchsetzt ist, so ist doch weder diese Blutsmischung noch etwa der Einfluß der ursprünglichen mohammedanischen communistischen Verfassung für obige Erscheinung verantwortlich zu machen.

Wenn man ferner die „Schwarze Hand“ und den andalusischen Anarchismus mit dem leider so hoch entwickelten Bandolerismus, dem Banditenwesen, zusammengeworfen und beide identificirt hat, so ist dies grundfalsch. Sie haben nichts weiter mit einander gemein, als daß sie Kinder einer und derselben Mutter sind, nämlich des grenzenlosen Pauperismus, des unsäglichen Elends, in dem die niederen Stände Andalusiens leben – oder vielmehr auf das Kümmerlichste vegetiren. Und da haben wir denn die traurigen Gründe für den Socialismus, Nihilismus, Anarchismus der andalusischen Arbeiter, für jene furchtbaren Verirrungen des menschlichen Geistes, der in seiner Noth so weit geht, das furchtbarste Verbrechen als eine Gutthat zu sanctioniren, die Grundsätze des Humanismus mit Füßen zu treten und den Menschen zur wilden Bestie umzugestalten, die zur Erlangung der nothwendigsten Existenzmittel nichts mehr für unerlaubt hält.

Es würde zu weit führen, die Ursachen des Elends der andalusischen Arbeiter detaillirt mitzutheilen. Ich kann sie nur flüchtig andeuten, und jeder denkende Mensch wird im Stande sein, die Consequenzen aus den wenigen Mittheilungen zu ziehen.

Man muß in die Höhlen und Hütten der armen Andalusier hineingesehen haben – was ja selbstverständlich kein flüchtiger Tourist thut – um sich eine Vorstellung von der Furchtbarkeit des Elends zu machen, das dort besteht. Aber auch diese Arbeiter sind Menschen und zwar heißblütige, geistig und körperlich kräftig entwickelte, rege Menschen, auch sie haben menschliche Empfindungen, wollen leben, wollen sich verheirathen, wollen ihre Kinder erziehen. Dazu gehört für den unglaublich genügsamen Andalusier wenig, sehr wenig, und er ist der beste Mensch von der Welt, der lustigste, witzigste, wenn er dies Wenige hat. Aber er ist leidenschaftlich, sein Blut erhitzt sich leicht, und wenn er für sich und seine Familie nicht einmal das Nöthigste zur Existenz erhält – so erbittert ihn das und – wehe dem, der den Zorn des Andalusiers auf sich lenkt!

Es liegt in der Natur des verwahrlosten Landes, daß der Feldarbeiter – und andere Arbeiter giebt es in Andalusien kaum – nur während eines Drittels des Jahres oder vielleicht während der Hälfte desselben, etwas verdienen kann, die andere Zeit ist er beschäftigungslos. Und was verdient er überhaupt! In einem Monat etwa so viel wie ein deutscher oder englischer Fabrikarbeiter in einer halben Woche, an einem Tage, und von den wenigen Pfennigen soll er mit seiner Familie leben!

Dazu kommt die Erbärmlichkeit des spanischen Schulwesens. Auf dem Papier ist Alles sehr gut geordnet. Wenn aber die armen Dorfschullehrer Jahre lang auf ihre lächerlich kleinen Gehälter warten und ihr Dasein auf das kümmerlichste fristen müssen, da ist es kein Wunder, wenn Niemand Schullehrer sein mag, wenn die ungebildetsten Ignoranten, die selbst nicht lesen und schreiben können, Lehrer werden – durch Protection der Beamten, der Kaziken!

Gesetzt nun aber endlich den Fall, ein andalusischer Feldarbeiter versucht sich selbstständig zu machen, kauft auf Credit ein Stückchen Landes, so hat er an Zehnten, Abgaben, Auflagen und Steuern fast den ganzen Ertrag seiner mühseligen Arbeit zu zahlen.

So wirken alle Umstände zusammen, um den obendrein verdummten und fanatisirten andalusischen Arbeiter zum Banditen oder zum Anarchisten zu machen. Und wie sehr auch die Regierung sich bemüht, glauben zu machen, daß der Socialismus in Andalusien erstickt ist, muß vielmehr constatirt werden, daß er mit jedem Tage mehr um sich greift und zu einer immer drohenderen Gefahr wird. Nicht durch Processe, Verfolgungen und Hinrichtungen wird die Regierung diese Gefahr beschwören, sondern nur durch Verbreitung tüchtiger Bildung, durch Besserung des Looses der Arbeiter.

Madrid, im Juli 1884. Gustav Diercks. 


Sprüche.

Hoch oder platt,
Drög oder natt,
Beer oder Win,
Grof oder fin –
Awer echt mutt dat sin.




Verleumdung is as’t falsche Geld,
Dat schlank mit umlöppt in de Welt,
Wenn’t noch so leeg[1] un slecht is.

     Dar’s Mennigeen[2] – he mak[3] dat nicht –
He schu’t[4] Geweten un Gericht,
Doch gift he’t wieder, wenn he’t kriggt –
Un weet doch, dat’t ni echt is.  Klaus Groth.


  1. leeg schlecht, niedrig; leeg Water niedriges Wasser; en legen Kerl ein schlechter Mensch.
  2. Mennigeen Mancher.
  3. mak macht.
  4. schu’t scheut.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_516.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2024)