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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Brausejahre.

Bilder aus Weimars Blüthezeit.0 Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)


16.

Ist das ein Tag!“ rief Karl August, sich im abendlichen Waldesschatten auf moosigem Gründe dehnend. „Man möchte ihn immer weiter leben und dann nochmals von vorn anfangen! He, reich Mir die Feldflasche, Wedel, laß sie füllen und kreisen, denn Ihr werdet alle durstig sein.“

Und es war in der That ein Tag, wie man ihn nicht schöner denken konnte. Des Herzogs „zappelnde Frühlingsungeduld“ zu, befriedigen, war man mit einer Gesellschaft fröhlicher Jagdkumpane Tages zuvor aus Weimar aufgebrochen. Ueber Berka und Stadt Ilm ging’s zu Pferde nach Ilmenau, wo die Besichtigung der wieder in Angriff zu nehmenden Bergwerke Hauptanlaß des Kommens und der landesherrlichen Sorge war, da die arme Bevölkerung Verdienst brauchte.

Nach einem Abendtanz im Schießhause, wo sich die Mädchen und Burschen der Nachbarschaft versammelten, denen die Cavaliere in ihren Jagdkleidern sich fröhlich gesellten, hatte man die Nacht in Ilmenau zugebracht, um heute in aller Frühe die Hirschjagd zu beginnen. Jetzt lag eine ganze „Strecke“ der edlen Thiere unter den Bäumen. Ein junger Spießer ward eben ausgeweidet, er sollte von einem gewandten Jagdgehülfen am abseits lodernden Feuer für die Abendmahlzeit gebraten werden. Man befand sich zu fern von Menschenwohnungen, um ein Nachtquartier aufzusuchen; hatte es doch auch Reiz, die laue Frühlingsnacht im Freien zuzubringen. Das Bretterhaus auf dem nahen „Gickelhahn“ sollte dem Herzog als Nachtquartier dienen, für die andern Jäger waren Laubhütten unter den Bäumen aufgeschlagen.

Auch Goethe war am Morgen mit von Ilmenau hinausgezogen, ihn reizte das Jagdvergnügen aber nicht; die Anspannung, welche dasselbe erforderte, hinderte ihn, sich der Naturbetrachtung in seiner Weise hinzugeben, und nahm ihm die Sammlung, welche er draußen in Wald und Feld begehrte.

Der Machdi.

Mit der Skizzenmappe und dem Bergstock wanderte er, dem Stande der Sonne folgend, die waldigen Berge hinan. Zuvor war die Abrede getroffen, daß er sich gegen Abend in der Nähe des Gickelhahns, wo Hallali geblasen werden sollte, zum gemeinschaftlichen Abendessen wieder einfinden wolle. So hatte er einen schönen Tag nach seinem Sinn, einen Tag recht am Herzen der Natur, den er schlendernd, beobachtend, zeichnend zubringen wollte, vor sich, und tauchte tief aufathmend in wohligem Freiheitsgefühl in das Meer von Grün ein, das ihn wie mit duftigen Wogen umfing.

Das Zeichnen war ihm eine Herzenssache, eine Beschäftigung, auf die er immer wieder mit Vorliebe zurückgriff.

Hier stieg er auf elastischem Moosteppich, dort durch raschelnd dürres Winterlaub, über Steingeröll oder ausgefahrene Geleise der Holzfuhrleute und Köhler hinan. Der Rain war mit jungen Erdbeerblüthen bedeckt; dort schwankte noch die letzte Weiße Anemone auf zartem Stengel im Luftzuge; auf sonniger Waldwiese mischten sich wilde blaue Salbeidolden mit Klee und weißen Sternblumen. An feucht dämmerigen Stellen schossen die frischgrünen Düten der Maiglöckchen mit ihren duftigen Blüthen auf, und Brombeer- und Himbeerranken kletterten im Unterholz. Lautschallend pickte der Specht, der Kukuk rief, Käfer und Schmetterlinge schwirrten lustig umher.

Endlich hatte er die freie Höhe des Berges erreicht, zu dem er aufstieg. Er stand über den bewegten Wipfeln, die zu ihm heraufstrebten, und schaute tief in saftgrüne Waldweiden, wo scheue Rehe ästen. Andere Bergeshäupter im köstlich grünen Waldmantel standen um ihn her. In blauer, sonnendurchglühter Ferne fand sich ein Durchblick zur feldbebauten Fläche, in der er einen Wasserfaden verfolgen und einen Kirchthurm erkennen konnte. Begeistert flammte sein Blick über das großartige Stück friedvollen Naturlebens, das vor ihm ausgebreitet lag, und er begann umherzuspähen, wo er das Plätzchen finden könne, nach dem er sich für seinen Stift sehnte. Die schlichte Natur schien ihm nicht zu genügen. Ihm kaum bewußt, verlangte sein plastischer Trieb nach Staffage, nach Menschenspüren und menschlichem Wirken.

Da sah er rechts in der Ferne, wie eingetaucht in grüne Wipfel, das ragende Hirschgeweih einer Försterei und beschloß, seine Schritte dorthin zu lenken. Er dachte dabei an ein frisches Glas Milch und stieg abwärts der wohlgemerkten Stelle zu.

Nach viertelstündigem rüstigem Wandern lichtete sich der Wald, und die bräunlichen Holzwände der Försterei wurden zwischen den Stämmen sichtbar.

Die Lage des Hauses übertraf seine Erwartungen; es stand auf einer Bergwiese, von der aus nach der einen Seite hin sich ein freier Blick in’s Land darbot; zur andern Seite des schlichten Holzbaues erhob sich ein schönbewachsener Fels, von dem ein Wässerchen herabsickerte und an welchen sich ein Wald mit niederem Unterholz anschloß.

Er wählte sich im Gebüsch einen Platz, nahm seine Mappe auf die Kniee und begann das friedlich hübsche Bild zu zeichnen.

Da plötzlich vernahm er eine helle Kinderstimme, und aus dem Hause hervor lief ein kleines Ding im Hemdchen mit bloßen Füßen quer über die Wiese dem Walde zu. Gleich hinterher sprang die leichte Gestalt eines schlanken Mädchens; es holte den kleinen Flüchtling ein, neigte sich, redete zum Guten, hob das Kind auf den Arm und wandte sich dem Hause zu.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_512.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)