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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


er sich und suchte später alle Banden abzuschütteln, die seiner freien Entwickelung hinderlich waren. Die Lobpreisungen auf Fürsten und Höfe verstummten, tadelnde Stimmen wurden laut, ja endlich direct der Fehdehandschuh hingeworfen; die kirchlichen Satzungen galten nicht mehr für unantastbar, es erhoben sich vielmehr Zweifel, Untersuchungen wurden angestellt und in Flugschriften veröffentlicht – die Aufklärung hielt überall ihren Einzug. Gerade in Frankreich aber, von welchem Jahrhunderte hindurch die schädlichsten Einflüsse ausgegangen waren, entbrannte auch mit zuerst der Kampf gegen die bestehenden trostlosen Verhältnisse.

Eine Reihe von Männern machte rückhaltlos Front gegen alle Uebelstände in Staat, Kirche und Gesellschaft und ließ sich durch keine Hindernisse entmuthigen, so viele ihnen derer in den Weg gelegt werden mochten. Montaigne, Descartes, Pascal, de la Rochefoucauld und viele Andere haben sich durch diese ihre Bemühungen einen unsterblichen Namen erworben, und gleich ihnen auch Denis Diderot, an den wir heute durch die hundertste Wiederkehr seines Todestages noch besonders erinnert werden.

Am 5. October 1713 geboren, erreichte Diderot ein Alter von 71 Jahren. Sein Vater, ein wohlhabender Messerschmied zu Langres in der Champagne, ließ ihn von den Jesuiten erziehen und setzte auf seine Zukunft um so größere Hoffnungen, als sich sein Talent schon frühzeitig als ein bedeutendes auswies. Wenig einverstanden aber war er, als die Jesuiten ihren Einfluß geltend machten, den begabten und aufstrebenden jungen Mann dauernd an sich zu fesseln und ihn für den geistliche Stand zu gewinnen. Er bot deshalb seine ganze Autorität auf, ihn zur Ergreifung eines andern Berufes zu drängen, und seine Bemühungen hatten den Erfolg, daß Denis in der That den dringenden Wünschen des Vaters entsprach, seine Gedanken an den geistlichen Beruf aufgab und sich den Rechtsstudien widmete. Damit war er den Einflüssen der Jesuiten entzogen, für den neuen Beruf aber keineswegs innerlich gewonnen, ja, das Rechtsstudium sagte ihm so wenig zu, daß er sich bald mit allem andern, mit Philosophie, Mathematik, Physik beschäftigte, nur mit dem eigentlichen Berufe nicht. Alle Einreden seines Vaters blieben fruchtlos; er wurde mit den schönen Wissenschaften und den hervorragenden Schöngeistern der Zeit bekannt und vernachlässigte seine Rechtssachen vollends, sodaß es mit seinem Vater zum Bruche kam und dieser ihm jede Unterstützung entzog. Dies war für die Zukunft Diderot’s entscheidend; er wandte sich fortan der Schriftstellerei zu und trat damit in den Beruf ein, in welchem er in der Folgezeit so hervorragend zur Geltung gelangen sollte.

Denis Diderot.
† am 31. Juli 1784.

Bezeichnend für den Geist, welcher den jungen Schriftsteller beseelte, war gleich seine erste literarische Thätigkeit: die Uebersetzung von Werken derjenigen Engländer, die in ihrem Vaterlande schon seit Jahrzehnten an der Aufgabe, Aufklärung zu verbreiten und eine bessere Zeit herbeizuführen, thätig waren. Bald aber wandte er sich der eigenen Production zu und entfaltete sowohl als Philosoph wie als Romanschriftsteller und Dramatiker eine reiche Wirksamkeit. Er rang sich frühzeitig zu einer ganz bestimmten, politisch wie kirchlich freisinnigen Anschauung durch und suchte diese dann in seinen Schriften zu verfechten. Schon seine 1746 erschienenen „Philosophischen Gedanken“ erregten um so größeres Aufsehen, als dieselben ihrer nach den Begriffen der leitenden Persönlichkeiten in Kirche und Staat antireligiösen und revolutionären Tendenzen wegen auf das Heftigste angefeindet wurden, sodaß das Buch verboten und schließlich sogar auf Befehl des Parlaments öffentlich vom Scharfrichter verbrannt wurde. Fast nicht mindere Angriffe erlebte er auch bei Herausgabe seiner „Encyclopädie“, jenes großartigen, auf freisinniger Grundlage aufgebauten Conversationslexikons, welches von solcher Bedeutung wurde, daß von nun an der Name „Encyclopädie“ für alle ähnlichen Wörterbücher in Anwendung kam, und daß in Frankreich und besonders auch in England und Deutschland umfangreiche encyclopädische Werke begonnen wurden, die streng wissenschaftlich weiter auszubauen suchten, was Diderot so meisterhaft angebahnt hatte. Die Verbreitung des Werkes im Publicum war eine außerordentliche. Schon die erste Auflage hatte eine Stärke von 30,000 Exemplaren, die sich rasch verkauften. Die Verleger hatten einen Reingewinn von über 2½ Millionen Livres – ein Erfolg, der sicher auf das Conto Diderot’s und der nach Aufklärung dürstenden besseren Elemente des Volkes und selbst auch der höheren Kreise zu schreiben war. Der erste Band erschien im Jahre 1751, während die letzten Bände erst volle fünfzehn Jahre später beendet werden konnten. An diesem Werke arbeiteten die ausgezeichnetsten Männer der Zeit, Allen voran Diderot, die Seele des Unternehmens, dann der berühmte Mathematiker d’Alembert, und neben diesen viele Andere, wie Marmontel, Rousseau, Voltaire etc. Das Erscheinen des vielbändigen Muster-Conversationslexicons, nach dessen Herausgebern ihre Zeit den Namen des Zeitalters der Encyclopädisten erhielt, stieß indeß auf die größten Schwierigkeiten, und ohne das lebhafte Interesse einiger einflußreicher Hofleute für die Fortführung des Werkes wäre dasselbe schwerlich zu Ende gebracht worden.

Das Widerstreben der Priester und ihres Anhangs war ein so heftiges, daß selbst Minister wie Choiseul und Malesherbes zuweilen zu wunderlichen Mitteln greifen mußten, um ein Forterscheinen des Werkes zu ermöglichen. So wurde Ludwig der XV. bei Tafel darauf gebracht, nach der Verfertigungsart des Schießpulvers, und die Marquise Pompadour, nach der Herstellung der Pomade zu fragen, worauf dann die bezüglichen Bände der Encyclopädie herbeigeholt und die betreffenden Artikel verlesen wurden. War dann das Interesse des Hofes erneut angeregt, so war auch das Erscheinen des Werkes bis auf Weiteres wieder gesichert.

Als Romanschriftsteller und Dramatiker war Diderot von den Engländern Richardson, Lillo und Moore nicht ganz unabhängig, doch übte auch er selbst wieder in Frankreich sowohl wie in Deutschland einen nicht geringen Einfluß aus. In Deutschland waren es insbesondere unsere großen Altmeister Goethe und Lessing, die sich eingehend mit Diderot’s Werken beschäftigten und diese selbst zum Theil in’s Deutsche übersetzten, wie Goethe den Roman „Le petit neveu de Rameau“ („Der Neffe Rameau’s“) und Lessing die Dramen „Fils naturel“ („Der natürliche Sohn“) und „Père de famille“ („Der Familienvater“), in welchen Diderot nach dem Vorbilde der oben genannten Engländer dem pedantischen Schäferroman und dem antikisirenden Königs- und Heldentrauerspiel den Familienroman und das bürgerliche Drama entgegen zu stellen suchte.

Die Mittheilungen der zeitgenössischen Schriftsteller über den Charakter Diderot’s weichen in manchen Punkten von einander ab. Im Allgemeinen stimmen aber doch alle darin überein, daß der Dichter sich als Mensch durch natürliche Herzensgüte, Freimuth und Liebenswürdigkeit auszeichnete und mit Ausdauer und Hingebung vielen eine warme und wahre Freundschaft erwies.

Dietrich Theden.     




Blätter und Blüthen.


Eine Miesbacherin. (Illustration S. 501.) Ja, lach’ nur! Du hast’s freilich gut. Du bist als ein glückliches, freies Weib zu preisen, denn Du stehst unabhängig da von der gewaltigsten Tyrannin, welche in allen Städten, von der größten bis zur kleinsten, und leider Gottes auch schon in vielen Flecken und Dörfern der sogenannten civilisirten Länder die gesammte weibliche Welt in Sclavenbande legt, die, wenn man sich ungalant ausdrücken dürfte, mit einem Narrenseile die täuschendste Aehnlichkeit haben. Du weißt schon, was ich meine: die Tyrannin „Mode“, auf welche Du im berechtigten Stolze auf Deine heimische unwandelbare „Tracht“ mit Gleichmuth hinblickst. Was kümmert’s Dich, daß sämmtliche Damen in Petersburg und Rom, Wien und Madrid, London und Berlin ihre Kleider-Ordres von Paris erhalten? Du siehst höchstens neugierig die reisenden vornehmen Frauenspersonen mit dem verschnörkelten Kleiderputz Dein schönes Miesbach durchwandeln. Du wunderst Dich vielleicht; sicher ist aber: Du lachst! Und Du kannst lachen und stolz sein, denn Du hast keine Mode, sondern eine Tracht, an der man Dich erkennt. Wenn Einer von Weitem auf Dich zukommt, so braucht er nicht erst zu fragen: „Woher des Landes?“, sondern ein Blick auf die feste Gestalt in ihrer Tracht sagt’s ihm deutlich. Das ist eine Miesbacherin!

Und wodurch zeichnet sich denn die Miesbacher Frauentracht so besonders aus? Einer, der Land und Volk von Oberbaiern genau kennt, Karl Stieler in München, hat in einem Buche „Wanderungen im Baierischen Gebirg etc., von Herman von Schmid und Karl Stieler.“ sich auch darüber ausgesprochen. Er sagt, bis zum Jahr 1750 könne man der Tracht der „Bergler“ nachspüren, theils durch erhaltene Kleidungsstücke, theils durch Abbildungen, z. B. auf Votivtafeln. Damals habe die Tracht der Frauen hauptsächlich in dem „Miederleibe“ mit „Brustfleck bestanden; jenes war ein Leinwandleibchen mit meist dunkelblauen Aermeln, dieser ein Stück Pappe mit buntem Zeug überzogen und mit Borten besetzt – dazu wurde ein Goller von weißer Leinwand und um den Hals ein schwarzes Flortuch mit einer Silberzier daran getragen. Die Trachten sind natürlich im Hochgebirg und in den Alpenvorlanden verschieden, und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 501. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_503.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)