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verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

bereits 12 Dampfer auf dem Kaspischen Meere und 11 Dampfer auf der Wolga, 8 Eisenbarken und 7 Holzbarken mit Eisenbassins, endlich 32 Holzbarken zum Transport der Rückstände. Außer dieser Flotte besitzt die Gesellschaft 1500 Eisenbahnwagen mit Zehntonnenbehältern und Depôts mit Reservoirs zu Zaryzin, Orel, Moskau, St. Petersburg, Warschau und vielen andern Plätzen. Nun ist vor Kurzem auch der Schienengürtel vollendet, welcher Transkaukasien von Baku nach Batum durchquert. Schon gehen die mit Petroleum belasteten Eisenbahnwagen nach Tiflis und den Häfen des Schwarzen Meeres, und bald werden Petroleumschiffe zu den Häfen des Mittelländischen Meeres und die Donau hinauf bis nach Wien gelangen.

Man muß in der That die grandiosen Anlagen und Verkehrsmittel der Gebrüder Nobel bewundern. Diese genialen Schweden haben den tausendjährigen Naphthaquellen die Wege zu den Hauptstädten Europas geebnet, und ihre Schöpfungen beweisen, wie gut menschlicher Erfindungsgeist und menschliche Energie ungeheure Entfernungen und andere Hemmnisse zu überwinden vermögen. Vielleicht liegt in dem Namen Nobel ein günstiges Omen für die Zukunft; vielleicht setzen die Oelkönige des Ostens ihren Stolz darauf, der Welt das denkbar billigste Licht zu liefern. Gelingt es den Petroleumproducenten des Kaukasus, durch billigeres und besseres Oel erfolgreich mit den Amerikanern zu concurriren, so können wir uns darüber nur herzlich freuen, denn Petroleum ist das Licht des armen Mannes. Werden uns aber die uralten Lichtquellen des Kaukasus erschlossen, dann hat für die Culturstaaten Europas der Spruch wieder Geltung:

„Vom Osten her kommt das Licht!“
R. Elcho.




Brausejahre.

Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)
15.

Die alte Frau von Werthern war in der letzten Zeit mit dem Betragen ihrer Schwiegertochter außerordentlich zufrieden gewesen.

Emilie hatte es sogar neuerdings abgelehnt, in dem Goethe’schen Singspiel „Erwin und Elmire“ – von der Herzogin Amalie in Musik gesetzt – die Hauptrolle zu übernehmen, zu der man sie, neben Mademoiselle Rudorf, auf den besonderen Wunsch des Herzogs bestimmt hatte. Sie zog sich erst zurück, nachdem schon ein Paar Proben abgehalten waren, und brachte die Gesellschaft in einige Verlegenheit. Sic schützte aber Unwohlsein vor, und in der That konnte man ihr glauben, so seltsam bewegt, wechselnd in Farbe und Ausdruck wie jetzt, war sie früher nie gewesen. Auguste von Kalb trat nach einigen koketten Winkelzügen für sie ein und machte nun mit dem Kammerherrn von Seckendorf das zweite Paar.

Ließ auch Emiliens Verfahren an Rücksichtnahme einiges zu wünschen übrig, so verzieh ihr die Schwiegermutter in dem tröstlichen Gefühl, daß sie den bösen Zungen, die ihre Beziehungen zu dem jungen Fürsten bespöttelten, diesmal keine Ursache zu schlimmen Bemerkungen gebe. Auch daß Emilie viel zu Hause blieb, still für sich in der Gartenlaube saß, sich höchstens von dem ungefährlichen Bergrath von Einsiedel vorlesen ließ, diente zur Beruhigung der alten Dame. Sie empfand es als ein um so größeres Glück, daß Milli plötzlich so verständig geworden war, als ihr Gatte sie ärger denn je vernachlässigte.

Der Rittmeister hatte mit der Fuchsstute ein gutes Geschäft gemacht und schwamm im Ueberfluß; die Zeit der contractlichen Rücksichtsnahme für seine Frau war überstanden, er lebte jetzt also um so wilder, war oft Tage und Wochen lang auf Nachbargütern, zu dienstlichen Ritten oder Jagdpartien entfernt und bekümmerte sich wenig um beide Damen.

Emilie schien die Empfindlichkeit über ihres Mannes Benehmen abgelegt zu haben. Wenn er früher Tage lang nicht nach Hause kam, oder Abend für Abend in’s Wirthshaus ging, hatte sie sich schweigsam mit Thränen in den Augen abgewandt. Jetzt fand er sie immer gleichmüthig gestimmt. Raffte er sich zu einer Art Entschuldigung über sein Ausbleiben, seinen Lebenswandel zusammen, so pflegte sie zu entgegnen: er solle doch ja nach seinem Gefallen leben und ihretwegen sich nicht beunruhigen. Kurz, sie machte es jetzt beiden Theilen recht und war ihm eine so bequeme Frau, daß er anfing, sie auf seine Weise gern zu haben.

Es war an einem warmen Junitage, als Emilie mit ihrer Filetarbeit in der verschnittenen Lindenlaube saß, welche ihr den kleinen Stadtgarten so angenehm machte. Dies Fleckchen hinter dem von Häusern eingeschlossenen Hofplatz, eingehegt von einer Nachbarmauer, an zwei Seiten von andern Gärten umfaßt, war trotz seiner Enge, seiner Ein- und Abgeschlossenheit ein Paradies für die junge Frau geworden. Ein Paar schmale, von Buchsbaum und Lavendel begrenzte Wege, ein alter hoher Apfelbaum voll Staar- und Sperlingsgezwitscher, einige Taxusfiguren, ein Beet mit starkduftenden Narcissen und etwas Gebüsch gab die ganze Herrlichkeit ab. Die Lindenlaube war auch mehr einem Vogelbauer ähnlich, als einem Aufenthalt im Freien, sie hatte eine ringsum laufende Bank und einen runden, den mittleren Lindenstamm umfassenden Tisch, an dem Emilie jetzt ihr Nadelkissen zu einer endlosen Filetarbeit festgeschraubt hatte. Sie ließ aber oft die Hände sinken und schaute ungeduldig nach der kleinen Lattenthür, die auf den Hof führte; es war ersichtlich, daß sie Jemand erwartete.

Endlich öffnete sich das Pförtchen, und Moritz von Einsiedel trat in den Garten; das hübsche Gesicht der jungen Frau wurde bei seinem Erscheinen von einem hellen Roth der Freude übergossen. Er kam zu ihr in die Laube, küßte ihr die Hand und setzte sich neben sie; ein Buch, das er mitgebracht hatte, auf den Tisch legend.

„Sie sehen ernster aus als sonst, Herr von Einsiedel,“ sagte Emilie, ihn ängstlich beobachtend. „Habe ich irgend etwas gethan, das Sie verdrießt? Als Sie gingen, waren Sie mit mir zufrieden, weil ich die Rolle der Elmire auf Ihren Rath abgegeben hatte.“

„Es war verständig von Ihnen, daß Sie mir folgten; seien Sie ferner vorsichtig, auch wenn ich nicht da bin, Sie zu warnen.“

„Müssen Sie schon wieder verreisen?“ rief sie erschrocken.

Er seufzte, sah sie an und murmelte gepreßt: „Ja, auf lange Zeit.“

Sie schrie fast auf: „Gehen wollen Sie? Um Gottes willen, was haben Sie vor?“

„Ich komme, dem Rittmeister die Wohnung zu kündigen, da ich ganz fort will,“ sagte er hart und trocken.

Emilie war sichtlich keines Wortes mächtig, endlich brach sie in Schluchzen aus. Sie legte ihren Kopf in beide Hände und weinte laut, während ihr Körper krampfhaft bebte.

Diesen rückhaltlosen Ausbruch der reizbaren Frau hatte er nicht erwartet. Auch seine Farbe wechselte; er flehte sie an, sich zu beruhigen, er wolle ganz, ganz rückhaltlos offen gegen sie sein, dann müsse und werde sie ihm Recht geben. Er zog ihr die Hände von den Augen, küßte ihre thränenfeuchten Finger, sprang dann plötzlich auf, machte einen raschen Gang durch den kleinen Garten und kehrte beruhigter zu ihr zurück.

Sie erwartete ihn bleich mit weitgeöffneten, fragenden Augen.

„Was treibt Sie fort,“ stammelte sie, „warum wollen Sie mir das anthun? Sie wissen ja, wie glücklich ich war, wenn Sie mir vorlasen, mit mir plauderten! Ich war nicht mehr vergnügungssüchtig, nicht mehr anspruchsvoll. Diese Laube war meine Welt. Ich konnte jetzt meine Schwiegermutter und Werthern zufrieden stellen, aber nur, weil ich glücklich war durch den Verkehr mit Ihnen.“

Es lag etwas Schlichtes, Rührendes in ihren Worten und in der demüthigen Weise, in der sie sprach.

Er setzte sich ihr gegenüber; ernst und doch voll Milde und Liebe sah er das bebende junge Weib an, dann sagte er mit tiefem Athemzuge:

„Ich fühlte lange, daß ein rettender Entschluß für uns Beide gefaßt werden müsse. Täglich konnte ich Sie weniger entbehren, Emilie. Seit dem Winter fingen plötzlich meine Gedanken an, sich nur auf Sie zu richten. Ich war nicht mehr derselbe, ich konnte nicht bei meinen Büchern aushalten. Immer dachte ich daran, wie ich Ihnen begegnen könnte. Seit einigen Wochen trafen wir uns täglich. Anfänglich ergab auch ich mich dem Reiz dieses Verkehrs ohne Gegenwehr, dann ward mein Zustand, wenn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1884, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_498.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2023)