Seite:Die Gartenlaube (1884) 492.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

ängstigen und zu erschrecken, um sich zu rächen an Denen, welche ihn resultatlos heimschickten, und um einen Stachel in ihrer Seele zurückzulassen? Es war das möglich, immerhin möglich! Aber sich so verwegen und leichtfertig zu einem Verbrechen zu bekennen, welches man nicht begangen hat – wer thut das? Und war es nicht auch nur zu erklärbar, daß dieser Mensch sich jetzt so still verhielt? Ich selbst war ja sicherlich schuld daran – ich hatte ihn erschreckt mit meinen Reden von der Gefahr, welche ihm drohe, den Criminalgerichten zu verfallen; er mochte klug genug gewesen sein, sich bei rechtskundigen Leuten über die Folgen, denen ein Mann in seiner Lage ausgesetzt sein könne, wenn er noch weiter mit der Sprache herausgehe, Raths zu erholen, und nun war nichts natürlicher, als daß er schwieg und sich still hielt.

Still bis zu dem Tage, wo einmal die alte Dame auf Arholt die Augen schließen würde, und wo er dann freilich auftreten und reden mußte für die Rechte jenes hübschen Jungen mit dem Kopfe voll dunklen Kraushaars. –

Damit, lieber Raban, weißt Du nun Alles, was die Verhältnisse bei unsern Nachbarn betrifft. Deine eigentliche Frage – ich glaube, ich habe sie Dir mit dieser Enthüllung schon beantwortet. Marie Tholenstein entwickelte sich zu einem sehr hübschen, auffallend anziehenden jungen Geschöpfe. Und sie war das einzige hübsche junge Mädchen in den Familien unserer Standesgenossen, mit denen wir Umgang pflogen. Ich durfte Dich der Gefahr nicht aussetzen, die Dir von dieser Seite drohen konnte. Ich mußte, so lange es Zeit war, gründlich Dem vorbeugen, daß sich Dein Herz nicht mit seiner ersten schönsten Jugendliebe an Marie Tholenstein verlor. In Deiner Natur liegt die Fähigkeit tiefen und dauernden Empfindens; und von der zähen Starrsinnigkeit, welche man ein allgemeines Eigenthum unseres Stammes nennt, hast auch Du ein gutes Theil bekommen. Es hätte einen heillosen Conflict zwischen uns gegeben, hättest Du Dich in Marie Tholenstein verliebt. Es war nichts Anderes zu thun; es mußten die Beziehungen zu Arholt allmählich gelöst und endlich völlig abgebrochen werden.

Und nun, nachdem ich Dir Alles gesagt habe, was bisher nie und gegen keine Menschenseele über meine Lippen gekommen ist – es war mir eine Wohlthat, einmal so rückhaltslos über etwas reden zu können, was einst lange Zeit mir wie eine eigene Sorge auf der Brust lag – nun zum Schlusse nur die Bitte, diesen ganzen langen Brief sofort zu verbrennen! Man weiß nicht, welches Spiel der böse Dämon Zufall mit solchen schriftlichen Mittheilungen, die eigentlich nie schwarz auf weiß gemacht werden sollten, treiben kann!

Dein treuer Vater.“ 

Raban legte aufathmend von der Spannung, womit er gelesen, und hochgerötheten Gesichts den Brief aus der Hand. Er verbrannte ihn nicht, er verschloß nur sorgfältig dies inhaltreiche Aktenstück, das ihm ein Räthsel gelöst – so viele andere dafür aber nur dunkler gemacht hatte. Den Grund, aus welchem sein Vater ihn aufgefordert, sich nach dem Bildhauer WolfgaNg Melber umzuschauen, konnte er sich ergänzen – aus dem Knaben des Schauspielers war ein Künstler geworden; Raban’s Vater hatte ihn bis soweit im Auge und ein Interesse für ihn behalten. Aber was war weiter aus Marie Tholenstein geworden? war sie dort, in Arholt, oder war sie hier, wo Raban sie wiedererkannt zu haben glaubte? Sicherlich war sie hier, wo Raban sie ja zu Melbers hatte gehen sehen, ihren Verwandten also! Und weshalb denn war sie hier – und weshalb erschien sie wie ein weiblicher Proteus in so mancherlei und in so fragwürdigen Gestalten? Hatte sie, sie selber das Geheimniß ihrer Herkunft entdeckt – kannte es dieser Wolfgang schon, und war das junge Mädchen dadurch, wie sich selbst entfremdet, zu etwas wie einem haltlosen Blatt geworden, in eine Existenz hinabgesunken, die – – doch nein, das war unmöglich, das zu denken war ein Frevel an dem Wesen, dessen Haupt zum Modell der Charitasgruppe hatte dienen können – und all diese Räthsel mußten sich ja lösen, nach und nach, mit Geduld und Ruhe, von denen freilich in dieser Stunde und der schlummerlosen Nacht, die ihr folgte, wenig in Raban’s Seele zu finden war.

(Fortsetzung folgt.)

Spruchverse.
Von Friedrich Bodenstedt.
1.

Sein eigner Leitstern ist des Menschen Geist,
Und wenn ihn dieser führt zu hohem Ziele,
So wird er mächtig mit sich reißen Viele,
Gleichviel, ob man ihn tadelt oder preist.


2.

Jedweder von uns lebt leicht nach der Regel,
Solang ein günstiger Wind treibt seine Segel,
Doch nur, wer auch in Sturm und Meerestoben
Die rechten Bahnen einhält, ist zu loben.


3.

Sprich gut von Andern, und die gute Kunde
Bleibt für die Hörer nur ein leerer Schall;
Sprich schlecht, und jedes Wort aus Deinem Munde
Weckt hundertstimmigen Wiederhall.


4.

Wie Lichtgedanken im brütenden Hirn
Ziehn dunkle Furchen auf leuchtender Stirn,
So zeugt von Feuer der schwärzliche Rauch,
Und die Leuchte des Himmels wirft Schatten auch.


5.

Jedes Menschen Fuß im Lebenslauf
Wirbelt den Staub von Jahrtausenden auf;
Der Eine schüttelt ihn ab mit Verachtung,
Dem Andern dient er als Stoff zur Betrachtung.


6.

Weder kleine Leute noch große Herrn
Vernehmen die Stimme der Wahrheit gern,
Auch dem schönen Geschlecht gefällt sie nicht,
Wenn sie in ernstem Tone spricht.

Die Narrheit allein versteht durch Lachen
Den Menschen die Wahrheit gefällig zu machen;
Drum hat mancher Weise sich närrisch gestellt,
Damit sie nicht ganz verschwind’ aus der Welt.




Der starke Christoph.

Wer im verflossenen Sommer die Münchener Kunstausstellung besuchte, erinnert sich noch des großartigen Bildes von Kirchbach: „Herzog Christoph, der Kämpfer, an der Leiche des letzten Abensbergers“, das hier im Holzschnitte den Lesern vorliegt. Ein düsterer Abend über öder Landschaft, rings sinkt schon die Dämmerung nieder, nur von Westen her strahlt noch ein greller Schein empor und beleuchtet den mörderischen Ueberfall. Im Vordergrunde Roß und Reiter blutüberströmt dahingesunken, die zerbrochenen Waffen umhergestreut, im Hintergrunde abziehende Mannen, die ihre Verwundeten zu bergen eilen, ein Ritter, der hohnlachend seinem Gefangenen den Strick um’s Handgelenk schnürt – über Alle emporragend aber, das dunkle Haupt mit der Sturmhaube scharf in den hellen Abendhimmel gehoben, der streitbare Herzog im Eisengewand, der hier seine Feinde auf den Grund gestreckt hat. Er würdigt sie keines Blickes, das düstere Angesicht ist nach oben gewandt und sein herber Ausdruck scheint den Himmel zum Zeugen gerechter Rache anzurufen.

Auch dem nicht geschichtskundigen Beschauer weht aus diesem Bilde die Ahnung entgegen, daß es sich hier um Bedeutenderes handeln möge, als einen der vielen tausend Ueberfälle auf

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_492.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2022)