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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

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als bisher. Die beschränkte Wohnung in der Belvedere-Allee konnte auf die Dauer nicht genügen.

Bertuch’s Gartenhaus am Stern hatte Goethen einst besonders wohl gefallen; an einem Wege gelegen, der nicht weit vom Thor sich an den Wiesen der Ilm hinzog, mit einem freundlichen Blick auf die Stadt, einem baumreichen, aufsteigenden Garten war es ein gar freundlicher Sommersitz. Diesen Garten tauschte der Herzog für den Freund ein, und beglückt ging Goethe daran, sich mit Philipp das neue Heim einzurichten.

Es war im Mai, die Bäume grünten und blühten, die Wiesen an der Ilm schimmerten, mit zahllosen gelben Blumensternen besäet, in satter Smaragdfarbe; der Fluß schien klarer und munterer als bisher an den Baumwurzeln des Ufers dahin zu rauschen, der Himmel wölbte sich in dem tiefen Blau eines köstlichen Frühlingstages, die Vögel jubilirten in den Zweigen, und Spaziergänger zogen in Schaaren aus dem Stadtthor und den Weg an Goethe’s Gartenhause vorüber. Eine schlanke, vornehme Frauengestalt mit einem kleinen Knaben an der Hand war unter ihnen. Goethe hatte sie von seinem Altan aus bemerkt, er eilte hinunter und kam ihr freudestrahlend an seinem Gartenpförtchen entgegen; die schlanke Frau folgte seiner Einladung und trat mit dem Kinde bei ihm ein. Er nahm den Kleinen auf den Arm, herzte ihn und erzählte, daß in seinem Garten prächtige Blumen für den lieben Jungen gewachsen seien, die er alle pflücken dürfe. Der kleine Fritz von Stein lachte hell auf vor Vergnügen und zappelte, um zur Erde zu kommen, damit er hinaus auf die Terrassen unter die blühenden Bäume laufen könne.

Hinter dem hellgetünchten kleinen Hause befand sich ein gegen Staub und unberufene Gaffer wohlgeschütztes Plätzchen. Knospendes Jelängerjelieber rankte an der Hauswand hinauf, eine Bank und ein Tisch standen daran; vor sich hatte man den schattigen und doch sonnig durchleuchteten Garten. Freundliche Lichter hüpften unter den bewegten Zweigen über Blumen und Moos, und unter ihnen das jauchzende Kind in seinem Sammeleifer, die Händchen voll grüner Herrlichkeiten.

Die beiden Menschen am Hause, die sich so wohl verstanden, hatten noch wenig gesprochen, sie schwelgten in der wonnigen Natur und in dem Glücke des Zusammenseins.

„Ich fühlte eine heiße Sehnsucht nach Dir, und da sah ich Dich kommen, es war eine schöne Erfüllung!“ sagte Goethe mit tiefem Gefühle.

„Der gestrige Abend bei Baron Reinbabens lag mir schwer im Sinn,“ entgegnete Charlotte von Stein, ihre weiche Gemüthsstimmung bemeisternd. „Ich wollte einmal ruhig mit Ihnen unsere, Ihre Lage erwägen, deshalb kam ich heute.“

„Ich habe auch die Nacht durch manches Knäulchen Gedankenzwirn auf- und abgewickelt.“

„Ich dachte mir’s. Sie wissen, daß ich Sie schätze, Sie lieb habe wie einen jüngeren Bruder, oder älteren Sohn! – Aber warum dies große, warme Gefühl, das in meinem Herzen erstanden ist, da es eben am Zuschließen war, in irgend eine irdisch übliche Form gießen? – Genug, daß mich Ihr Wohl wie etwas Eignes interessirt; daß ich sogar ohne Bedenken, wenn wir allein sind, Formen, übliche Trennungszeichen menschlicher Beziehungen als überflüssige Schranken zwischen zwei Seelen, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_485.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2022)