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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

gemein hat mit dem Bezaubertsein eines Augenblicks, sondern die Empfindung einer dauernden Wirkung, eines uns bleibenden tiefen Eindrucks ist.

Wie unwillkürlich wandte sich Raban, als sie vorübergegangen war, und folgte ihr nach. Er beschloß sie bis an ihre Wohnung zu verfolgen – wußte er diese, so mußte er leichter dem Geheimniß ihrer Existenz auf die Spur kommen können. So ging er gleichen Schrittes mit ihr dahin. Aber nicht weit. Nach hundert Schritten ungefähr bog sie in einen offenstehenden Thorweg ein. Als Raban denselben ebenso betrat, sah er rechts die Steinstufen einer breiten Treppe, emporführen – er glaubte noch den Schritt der leichten Fußes Emporsteigenden zu vernehmen.

Auch er stieg empor. In den ersten, zweiten, dritten Stock – er hörte noch immer den leichten, aber sich allmählich verlangsamenden Schritt über ihm. Endlich stand er auf dem Absatz der Treppe im vierten Stockwerk und – blickte in das runzelvolle Gesicht einer alten Frau, das, von einer weißen Rüschenhaube umgeben, ihm aus der Spalte einer nur wenig geöffneten Thür wie neugierig entgegensah.

Sie mußte das junge Mädchen eben eingelassen haben und schien nun Raban’s Anrede zu erwarten. Da er, Athem schöpfend und verwirrt, damit zögerte, sagte sie:

„Zu wem wollen Sie?“

„Ich möchte die Dame, welche eben hier heraufstieg, bitten, mir eine Frage zu erlauben. Ich glaube, sie ist aus meiner Heimath und ich kenne sie …“

Das Gesicht der alten Frau verfinsterte sich.

„Dame?“ versetzte sie – „Es ist Niemand hier heraufgekommen – gehen Sie nur!“

„Niemand?“ rief Raban aus. „Aber ich sah sie doch …“

„Niemand!“ unterbrach ihn die Alte und schlug wie verdrossen die Thür vor ihm zu.

Raban blickte bestürzt auf dem kleinen Vorplatz sich um. Es war außer der eben vor ihm verschlossenen nur noch eine Thür da, welche auf den Vorplatz herausging. Aber an dieser hing ein altes Vorhängeschloß, welches Zeugniß dafür ablegte, daß sie nicht geöffnet worden war. Durch das Fenster, welches schlecht genug und nur dämmernd den Platz erhellte, konnte das junge Mädchen auch nicht verschwunden sein. Es war ein neues Räthsel zu denen, welche sie umgaben. Die alte Frau hatte offenbar – in tugendlichem Eifer, als sie den jungen Mann erblickt, einfach gelogen!

Raban mußte den Rückzug antreten, aber er that es nicht, ohne nach dem Namen zu sehen, den er auf einer Karte, die an der Thür der alten Frau angeheftet war, erblickt hatte. Er las die Worte: Heinrich Melber, Graveur.

(Fortsetzung folgt.)

Verlorenes deutsches Land.

Wohin sind die Zeiten, da deutsche Rede, deutsches Lied, deutsche Sage bis tief hinein nach Istrien und in’s Friaul klangen! Wohin – wird es nun aber bald heißen – sind die Zeiten, wo wir in den Tagen des seligen Bundes davon träumten, daß einst die Tricolore des einigen Deutschlands, von den Thürmen und Schloßbergzinnen Laibachs, von den Mauern Gradiskas, von den Palästen Triests, das uns doch immer der deutsche Port an der schimmernden Adria war, wehen würde! Aber auch als 1866 der großdeutsche Traum endgültig ausgeträumt war, hatten wir noch keine Ahnung davon, daß uns eines Tages jene uralten deutschen Länder – Krain, Görz etc. – ernsthaft von einem slavischen Völklein von ein und einviertel Millionen, das vom grünen Posruck und der rauschenden Drau bis zur Meeresküste seit zwölf Jahrhunderten ohne Geschichte, ohne eigene Cultur selbstzufrieden dahin vegetirte, streitig gemacht werden könnten, von einem Aggregat einzelner südslavischer Stämme, das erst seit gestern eine mühsam aus den Dialekten zusammengeflickte Sprache besitzt. Wie konnten wir glauben, daß in derselben Zeit, in der wir uns der Wiederaufrichtung des deutschen Reichs, der Wiedergewinnung von Straßburg und Metz und der neuen Glorie des deutschen Volkes erfreuten, uraltes deutsches Land, und noch dazu ein Theil der österreichischen Erblande, auf solche Weise in Frage gestellt werden könnte? Wir hatten so wenig an die eigentlich lächerlich klingende Möglichkeit gedacht, daß wir die jungen literarischen Bestrebungen des krainischen Südslaventhums mit einem gewissen sympathischen Interesse verfolgten. Und doch, es wird Wahrheit, was fanatische Schwärmer in den nationalen Clubs declamirten, was die Dämonen des Deutschenhasses den abgelegenen Schluchten des Terglou raunten; eine Hiobspost um die andere trifft aus dem alten Herzogthum Krain ein, daß dort das Deutschthum nahe daran ist, wie schon längst in Istrien, wie mit einem Schwamme hinweggewischt zu werden. Es ist eine böse Kunde, es ist die Botschaft von einer Reihe verlorener Schlachten und von dem Verlust tausendjährigen deutschen Besitzes!

Ein hochinteressantes Land, dieses Krain! Schon beim raschen Reisefluge auf dem ehernen Schienenwege gewinnt man einen Einblick in die eigenthümlichen Schönheiten dieses Landes der geheimnißvollen riesigen Kalkhöhlen, die dasselbe zu einem großen Theile gar unheimlich unterkellern; dieses Landes der urplötzlich im Boden verschwindenden Flüsse und Bäche, einer räthselhaften Grottenfauna und der packendsten Gegensätze in der Natur.

Wenn wir die Einfahrt in das Kronland mit einem Zuge der Südbahn bei dem Bahnknotenpunkt Steinbrück wählen, so begleiten uns aus dem lieblichen steierischen Unterlande die prächtigen, waldreichen und pittoresken Steiner Alpen, wie die Sulzbacher Alpen in Krain genannt werden. Mit einer üppigen, fast südlichen Vegetation ausgestattete Berglandschaftsbilder ziehen längs der gleich einem wilden Alpenkinde laut daher tollenden Save vorüber, bis sich vor den Blicken die weite Ebene des sumpf- und wasserreichen Laibacher Moors aufthut, welches durch seine Pfahlbautenfunde mehr als einmal die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf sich gelenkt hat. Der Mittelpunkt der Fläche, an deren nordöstlichem Rande schroff wie eine Mauer die Vorberge des Triglavstockes gigantisch emporsteigen, ist der mit festungsartigen Gebäuden gekrönte breite Schloßberg von Laibach, an dessen steile, grüne Abhänge sich die Landeshauptstadt lagert. Dieselbe zeigt in ihrer Anlage und Bauart ganz und gar den Charakter und Anblick einer alten deutschen Stadt. Sie steht auf dem Boden einer uralten Cultur; hier blühte in den ersten vier Jahrhunderten das römische Aemona, dessen Wasserleitung noch heute benutzt wird.

Die Stadt, die von der Laibach durchströmt wird, ist – davon erzählt auch die in ihrer ersten Anlage aus dem 13. Jahrhundert stammende Deutsch-Ordenskirche – eine echte Tochter deutscher Cultur. Wohl fühlen wir uns angeregt, den erstbesten Bürgersmann anzureden, aber – slavisch lautet die Antwort, illustrirt von einer höhnischen Grimasse; denn der Angeredete versteht zwar deutsch, aber er will es nicht verstehen: Es ist ein guter Zufall, wenn wir auf einen Deutschen stoßen. Es ist noch nicht lange her, da lag das Stadtregiment noch vorwiegend in deutschen Händen. Heut ist es ihnen freilich durch allerlei Künste und Praktiken entwunden. Das Deutschthum wird mehr und mehr mundtodt gemacht. Allmählich verschwinden die deutschen Schilder, deutsche Straßennamen weichen slavischen. Der übermüthige Slave kennt auch kein „Laibach“ mehr, nur ein „Ljubljana“. Kurzum, das uns aus der Geographie und durch seinen Congreß[1] so geläufige gute, alte deutsche Laibach, Jahrhunderte hindurch ein Centrum deutscher Cultur, die bis in’s Friaul hinein und bis in’s Herz von Istrien gebot und dort höchstens mit den Wälschen concurrirte, trägt nur noch äußerlich eine deutsche Maske, hinter der uns aber das Antlitz des Gernegroß unter den slavischen Stämmen entgegen grinst. Dem Deutschen ist Laibach ein fast verlorner Posten, dem Slovenen ist „Ljubljana“ die künftige Hauptstadt des „Königreichs Slovenien“, das nach seiner Phantasie eines Tages von der Südspitze Istriens bis vor die Thore des steierischen Graz und von der Grenze Kroatiens bis über den Isonzo hinaus und ganz Süd-Kärnten umfassend bis in’s Gailthal reichen soll.

Wir besteigen wieder den Zug. Er fährt uns, nachdem er uns auf dem 7200 Fuß langen und 12 Fuß hohen Damm über das Laibacher Moor getragen, dem die Cultur weite Ackerflächen abgerungen hat, in schroffem Uebergange wieder in die

  1. Der Laibacher Congreß wurde im Januar 1821 eröffnet und dauerte bis zum Mai. An demselben nahmen die Kaiser von Oesterreich und von Rußland, der König beider Sicilien und der Herzog von Modena theil.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_460.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2024)