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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

deutete das Entgegenkommen, das vielleicht nur in der allgemeinen Sitte seinen Grund hatte, als ein ganz persönliches, das sein Mannesgefühl erkältete. Er hätte es sich von Leni Eibenheim und ihren Verwandten nicht so leicht gemacht sehen mögen – er wollte nicht ein Wesen finden, das ihm so rückhaltlos zu sagen schien: klopfe nur an und dir wird aufgethan, – denn es liegt einmal in der Natur des Mannes, daß er Preise nicht schätzt, welche nicht hoch über ihm schweben und sein Ringen nicht herausfordern – das leicht Erreichbare verliert für ihn seinen Werth in dem Maße, wie es sich greifbarer seinen Händen nähert.

Darüber waren Stimmungen in ihm entstanden, welche ein schwankendes Aufschieben einer ernsten Bewerbung in ihm zur Folge gehabt, und von diesen Stimmungen war die, welche dieser Abend hervorgerufen, die drückendste. Leni Eibenheim war ja auch so seltsam unzugänglich für Gedanken gewesen, die, wie er fühlte, in jeder weiblichen Brust ein Echo finden sollten.


3.

Als Raban von Mureck am andern Tage, in einer etwas späteren Stunde, denselben Spaziergang wie am gestrigen machte, wurde er auf unerwartete Weise wieder in die Gedanken zurückgeworfen, welche sich ihm gestern an demselben Orte aufgedrängt hatten. Er sah auf dem Reitwege der Ringstraße zur Rechten eine kleine, aus drei Personen bestehende Cavalcade daher kommen, die aus dem Prater zurückzukehren schien: zwei junge Herren und eine Dame. Jene in elegantestem Reitcostüme auf edeln, muthig die Schaumflocken um sich werfenden Rossen; die Dame ebenfalls im modernsten Reitkleide ein auffallend schönes Pferd, einen wie Metall leuchtenden Goldfuchs zügelnd. Sie hatte den von dem leichten Männerhute herabflatternden Schleier zurückgeworfen, und so konnte Raban ihre Züge fixiren. Betroffen blieb er stehen und sah, wie sich das Antlitz der Dame ebenfalls mit dem Ausdruck einer gewissen Betroffenheit für einen Augenblick – ihm zuwandte; in der eleganten Reiterin erkannte er deutlich das junge Mädchen, dem er gestern begegnet war, dessen Erscheinung ihn gestern plötzlich mitten in eine vergessene Scenerie seiner Knabenzeit zurückversetzt hatte! Raban war überzeugt, daß er sich nicht täuschte – es war die gute Bekannte der verdächtig aussehenden Alten, die „Tochter“ des invaliden Stelzfußes mit dem grimmigen weißen Schnurrbart auf der Bank im Stadtpark!

Raban mußte sich zugleich gestehen, daß sie sehr schön sei, viel schöner als er gestern bei dem flüchtigen Streifblick auf ihr Antlitz hatte wahrnehmen können, und daß diese Begegnung in so verschiedener Umgebung zu den räthselhaftesten Vorkommnissen gehöre, auf die er in der Kaiserstadt je gestoßen. Mit dieser Betrachtung schaute er der graziösen, so sicher und leicht sich im Sattel wiegenden Erscheinung völlig gefesselt nach. Welche Räthsel dieser Art mochte die Kaiserstadt nicht aufgeben!

Wie dunkle Schatten zogen trübe Gedanken an großstädtisches Sittenleben Raban durch die Seele. Aber als er sich kopfschüttelnd wandte, um weiter seines Weges zu schreiten, sagte er sich schon, daß in dieser Erscheinung, auf dieser hellen Stirn und in den großen klaren Augen, die auf ihn gerichtet waren, etwas liege, was jeden Verdacht, jede argwöhnische Vermuthung weit abscheuchen müsse und zur Thorheit mache. Nur desto grübelnder aber sann er dem nach, was ihn bei dem Anblick der fremde Dame so unwillkürlich und jetzt eben mehr als gestern noch an seine junge Nachbarin auf Arholt erinnert hatte, die, seinem väterlichen Heim einst so nahe, doch nur einmal in seinem Leben von ihm gesehen worden war. Der Gedanke daran begann eine eigenthümliche Herrschaft auf ihn zu üben. Es liegt ein geheimer, still wirkender Zauber in solch einer Mädchenphysiognomie, die außer dem Reiz der Wirklichkeit und Gegenwart auch noch den hat, daß sie uns in stilles träumerisches Nachkosten einer theuren Vergangenheit versetzt.

Raban sollte jedoch nicht lange ungestört seinen Gedanken nachhängen.

Als er eine Strecke weiter gegangen war, begegneten ihm Graf Kostitz und ein Mann, zu dessen Lebensgewohnheiten es schwerlich gehörte, um diese Zeit, wo sich die schöne Welt hier Rendezvous gab, auf dem Ring spazieren zu gehen. Dies war Doctor Silbermann, der Münzen- und Anticagliencustode[1]. Der Doctor hatte ein sehr geröthetes Gesicht und blickte mit düster gerunzelter Stirn Raban an, als ob er Mühe habe, ihn zu erkennen. Graf Kostitz schaute ebenfalls sehr ernst darein – er hatte jedenfalls das gesuchte geflügelte Wort noch nicht gefunden und mußte sich mit einem schon vorhandenen begnügen, dem alten: „Schöne Seelen finden sich –“, als er Raban begrüßte und mit einer gewissen feierlichen Haltung ihm die Hand schüttelte.

„Nicht immer im richtigen Augenblick,“ versetzte Raban. „Die Herren scheinen in Anspruch genommen . . .“

„Das sind wir allerdings,“ fiel mehrmals mit dem Kopf nickend Doctor Silbermann ein, „von einem sehr unangenehmen Vorkommniß.“

„Der Doctor wird es Ihnen erklären,“ sagte Graf Kostitz, „wenn Sie Rechtsumkehrt machen und mit uns hinauf gehen wollen.“

Raban schloß sich ihnen an.

„Um was handelt es sich?“ fragte er.

„Um seine Münzen, natürlich!“ versetzte Graf Kostitz; „es sind ihm einige davon gestohlen, von diesen theuren Kleinoden!“

„Gestohlen – aus dem kaiserlichen Antikencabinet?“

„So ist es,“ fiel Doctor Silbermann ein. „Ich habe es erst an diesem Morgen entdeckt – und nun laufe ich schon seit zwei Stunden bei den Antiquaren umher, um sie zu verständigen und zu instruiren für den Fall, daß die Münzen ihnen zum Kauf angeboten werden sollten.“

„Sind es viele, werthvolle?“ fragte Raban.

„Ein halbes Dutzend – aber so ziemlich unersetzliche; der historische Werth ist natürlich größer als der Metallwerth, der den Spitzbuben verlockt hat. Es sind alte aragonesische Löwenthaler – äußerst selten – der Goldwerth mag für das Stück einen Dukaten betragen.“

„Also Goldmünzen – und wie ist es einem Diebe möglich geworden . . .“

Silbermann zuckte die Achseln. Er entgegnete:

„Es drängen sich so viele Menschen an den Tagen, wo das Publicum zugelassen wird, bei uns ein – es wird so leicht vergessen, eine der Glasscheiben, die man aus irgend einem Grunde öffnen mußte, gleich wieder zu schließen! Es brauchen sich nur zwei Schwindler zu verabreden; der eine zieht den diensthabenden Wächter in ein angenehmes Geplauder, und unterdeß führt sein Complice im nächsten Raume den Diebstahl aus. Wenn er dabei so discret ist, nur ein halbes Dutzend dieser Münzen, wie in unserem Falle, zu escamotiren, so können dazu doch Tage, Wochen vergehen, bevor die Lücke nur entdeckt wird. Wenn es nur nicht gerade die fast nahezu unersetzlichen Arholt’schen Münzen wären!“

„Wie nennen Sie dieselben?“ rief Raban aufhorchend aus.

„Die Arholt’schen Münzen. Es sind Münzen, die dem Cabinet gewonnen sind durch Ankauf eines Münzfundes, der vor langer Zeit auf einem Gute Arholt, da draußen im Reich irgendwo, gemacht worden. So steht es bei der Eintragung im Katalog bemerkt. Auch daß weitere Exemplare nur in der Sammlung zu Madrid und zu Brüssel vorkommen, sonst nicht. Das macht den Diebstahl eben so fatal und ärgerlich.“

„Ich habe nie von solch einem Funde auf Arholt etwas vernommen,“ sagte Raban. „Sie müssen nämlich wissen, daß dies Gut in meiner Heimath liegt, meinem väterlichen Heim benachbart.“

„In der That? Der Fund muß aber doch dort gemacht sein – unsere Kataloge sind durchaus zuverlässig; die Fundorte sind ja oft so wichtig, wenn die Echtheit der Anticaglien in Zweifel gezogen wird. Aber hier sind wir vor einem weiteren Antiquarladen angekommen, in den ich eintreten werde. Die Herren begreifen, daß die Sache noch völlig geheim und unter uns bleiben muß, um die Nachforschungen zu erleichtern.“

Die Herren versprachen Doctor Silbermann die gewünschte Geheimhaltung, und da Graf Kostitz hier in eine Nebenstraße einzubiegen hatte, trennten sich alle drei.

Raban schritt weiter, über die eigenthümliche Häufung der Erinnerungen an das heimische Gut Arholt nachsinnend. Wie oft hatte er es auf seinen von Murack aus unternommenen Jagdstreifereien von irgend einem Hügelrücken oder einem hohen Waldsaum aus in der Tiefe daliegen sehn! Ein massives, wuchtiges altes Gebäude – hinter einer Pappelreihe halb versteckt, durch deren Wipfel die hohen Essen und die zwei plumpen mit stumpfen

  1. Anticaglien, kleine Alterthümer, z. B. Münzen, Waffen, Schmuck aus der Vorzeit.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_458.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2022)