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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

aber völlig bekannt für ihn nach Haltung und Formen. Auch sie trug nur eine kleine Halbmaske, sodaß er den weichen, feingeschweiften Mund, das zarte und runde Kinn der angebeteten Frau ganz deutlich erkannte. Ja, sie war’s, Charlotte von Stein!

Aber wem hatte er denn sein tiefstes Herz enthüllt, wer hatte sich an ihn gedrängt, sein Gedicht empfangen? Rasch wandte er sich zu seiner Dame, aber diese, ihn scharf beobachtend, hatte ihre Doppelgängerin erkannt, und leise, während er sich ganz in’s Staunen versenkte, hatte sie ihren Arm aus dem seinigen gezogen und war im Gewühl verschwunden.

Er suchte ihr nachzueilen, aber das Gedränge war augenblicklich zu groß, des Tanzmeisters Commando hemmte ihn, neu antanzende Paare kamen ihm entgegen. Einmal glaubte er noch ihr schwarzes Sammetmützchen in der Ferne zu sehen. Dann hieß es:

„Nicht so stürmisch, heiliger Mann!“

„Was führt Dich aus Deiner stillen Klause unter die fröhliche Menge?“

„Hüte Dich, in die Fallstricke der Welt zu fallen und den jungen Schönen nachzulaufen!“

Als er sich endlich am Ausgange des Saals befand, als er die Freiheit fand, sich in den Nebenzimmern umzusehen, war die Gesuchte nirgends zu finden.

Verdrossen und nicht mehr aufgelegt, den beabsichtigten Scherz mit der Geliebten auszuführen, ging er sich umzukleiden, und fand sich in dem schönen Costüm eines Troubadours in geschlitzter Seide, mit zurückgeschlagenem Spitzenkragen und dem an kirschrothem Bande umgehängten Saitenspiele, bald wieder im Saale ein.

Die Gesuchte stand noch immer neben der herrlichen Vestalin.

Er flüsterte Frau von Stein zu, daß er ein Ausgeraubter, ein Betrogener sei, er bat sie, ihn lind zu behandeln, damit er sich, innerlich verwundet, an ihrer heilenden Nähe wieder herstellen könne.

„Armer Bertrand de Born!“ sagte sie laut, „also unter die Räuber seid Ihr gefallen? Nun tröstet Euch mit der Lehre, daß wir Kleinode nicht in dieser bunten und gefährlichen Welt offen vorzeigen dürfen, und daß Vorsicht stets noth thut.“

In diesem Augenblicke, während die Instrumente zu einem neuen Contretanze gestimmt wurden, kam ein Bauer mit einer pausbackigen ganzen Larve vor dem Gesichte auf die Herzogin Luise zu und forderte sie zum Tanzen auf.

Die hohe Frau dankte und sagte auf das Andrängen des Fremden:

„Ich tanze mit keinem Unbekannten.“

„O, erhabene Römerin,“ rief der Mann mit fremdlautender Fistelstimme, „weshalb kommst Du denn auf das Fest der Gleichheit, der Narrheit, der Lustigkeit, wenn Du von alle Dem nichts wissen willst?“

„Ich komme als Zuschauerin, lästiger Fremdling,“ entgegnete sie hoheitsvoll.

„Du wirst dem Leben und das Leben wird Dir gleichgültig bleiben, wenn Du nur von fern zu stehen wagst. Noch einmal bitte ich Dich, sündige nicht gegen die Gesetze dieses Festes! Genieße diese seltsame Welt wie sie ist und wirf Dich mit mir in ihre Strudel!“

„Nein; geh’, Zudringlicher!“

„Hochmüthiges Weib!“ sagte der Bauer mit gereizter, nicht mehr verstellter Stimme, und lüftete für einen Augenblick die Maske – es war der Herzog. „Dacht’ ich es doch,“ fuhr er ärgerlich fort, „als ich Dich so steif hier angenagelt sah, daß Du unsere Fröhlichkeit, unsere Späße unter Deiner Würde findest!“

„Mein Gemahl sollte zufrieden mit mir sein, daß wenigstens ich es weiß, was man seiner Stellung schuldig ist!“ rief die Herzogin ebenfalls in bitterem Tone.

„Ho, ho! also ich weiß es nicht? Hör’ meinen Grundsatz: nur Der hält ängstlich die äußere Form der Würde fest, der sie nicht wirklich behaupten kann!“

Goethe hörte mit Bedauern diesen Wortwechsel; rasch legte er seine Mandoline zur Seite, trat zur Herzogin heran und bat sie, ihrem Gemahle zu beweisen, daß sie auch mit den Fröhlichen genießen könne, indem sie mit ihm tanze. Zögernd folgte sie seiner Aufforderung, worauf der Bauer mit der Ritterfrau sich anschloß.

Als Goethe die Herzogin wieder an ihren Platz zurückführte, schritt eine kokett gekleidete französische Bäuerin mit hoher, weißer Flügelhaube Und bauschigem, geblümtem Kleide, am Arme eines eleganten Coeurkönigs, in dem man unschwer Herrn von Seckendorf erkannte, an ihm vorüber.

Sich auf ihrem hohen Absatze wendend, sah sie sich nach ihm um und flüsterte die ersten Reihen seines im Irrthum verschenkten Gedichts mit spöttischem Ton ihm zu:

„Sag’, was will das Schicksal uns bereiten?
Sag’, wie band es uns so ganz genau?
Ach, Du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau!“

Erregt sprang er ihr nach; mit einer ihm nur allzu wohlbekannten Geberde warf sie ihm eine Kußhand zu und flog mit ihrem Cavalier in der Tanzcolonne davon. Es war Auguste von Kalb!

Neben dem Herzoge aber stand jetzt das Flämmchen.

„Hoher Herr!“ sagte es lustig, „wie Du Dich auch verstecken magst, mein Spürsinn findet Dich heraus. Beruhige mich, haben die Schergen Deines Zorns das unschuldige Opfer aus dem Portechaisenstalle erlöst?“

„Sei getrost, edelmüthige Flamme, das Opfer liegt in seinem Bette und trinkt Camillenthee, um sich von seinem Abenteuer zu erholen.“

„Und mein Titel, der Gewinn meiner Wette?“

„Wahrlich, Du hast Dich an Heldenmuth dem Armin ebenbürtig bewiesen, so heiße also von heute an – Thusnelda!“

(Fortsetzung folgt.)

Blätter und Blüthen.

Dank für dreifache Wohlthätigkeit. Man fühlt erst recht das Glück, für einen Leserkreis, wie den der „Gartenlaube“, thätig zu sein, wenn man zu so oft wiederholten Malen die herzerhebende Erfahrung macht, daß keine Bitte, die unser Blatt zur Linderung irgend einer Noth an seine Freunde richtet, ganz unerhört bleibt, ja, daß selbst gewagte Wünsche oft die überraschendste Erfüllung finden. Dies erleben wir nun auch in den Erfolgen, welche den „Dreierlei Anliegen an die Glücklichen“, die wir in Nr. 16 ausgesprochen haben, bis jetzt schon in so reichem Maße zu Theil geworden sind.

Wir hatten um Nähmaschinen, Claviere und Fahrstühle gebeten, und heute liegen für alle drei Gegenstände schon Dankbriefe vor uns.

Die Firma G. Neidlinger stellte uns „für arme Frauen und Mädchen“ von ihren auf allen Weltausstellungen prämiirten „Original-Singer-Nähmaschinen“ eine Anzahl zur Verfügung und hat durch ihre Filiale, in Hamburg, Breslau etc. bereits einer Schneidersfrau in Hamburg, deren Mann an Gelenkrheumatismus darniederliegt, einer Lehrerwittwe in Bunzlau, der Vorsteherin der Ischler Hausindustrie und einer armen Arbeiterin in Leipzig ihre werthvollen Gaben zu Theil werden lassen. Wir dürfen mit unserem innigsten Dank noch die Zusicherung aussprechen, daß mit diesen Gaben die Opferwilligkeit der geehrten Firma nicht erschöpft ist. – Von Frau A. Otto in Gröba bei Riesa und einer ungenannten Dame sind uns auch zwei Hand-Nähmaschinen zugesandt worden, für die wir den freundlichen Geberinnen unsern Dank aussprechen.

Auch von den zahlreichen Bitten um Claviere konnten schon fünf erfüllt werden. Die Firma C. L. Glück, Hof-Pianofortefabrik zu Friedberg in Hessen, überraschte uns in wenigen Zeilen mit der inhaltreichsten Postkarte: „Sie können von uns für arme Lehrerswittwen zwei noch ganz gute Tafelclaviere und einen Flügel haben, – wir bitten um gefällige Bestimmungsadresse.“ Wer aus einer Reihe von zwanzig Briefen voll dringender Gesuche um ein Instrument drei zuerst zu berücksichtigende auswählen soll, hat eine harte Aufgabe; darum übersandten wir dem edlen Wohlthäter zur eigenen Bestimmung fünf der Briefe und erlebten die Freude, daß nun sogar vier Beglückte zum innigsten Dank Veranlassung finden werden; von den vier Instrumenten kamen je ein Tafelclavier an einen Schullehrer zu Bralitz, an eine Lehrerin der Arbeitsschule zu Löwenberg, beide in Schlesien, und durch den Herrn Hofprediger und Consistorialrath Scipio in Arolsen an den musikalisch sehr begabten Sohn einer armen Taglöhnerswittwe zu Rhena in Waldeck. Den Flügel hat Herr Glück für einen Lehrer bei Oberglogau in Schlesien bestimmt.

Der erste Dankbrief kam aus Löwenberg. Die von schweren Schicksalsschlägen heimgesuchte Mutter eines zum Lehrer bestimmten Knaben schreibt unter Anderem: „Heute ist das von der Redaction der ‚Gartenlaube‘ erbetene Clavier hier eingetroffen. Wo finde ich Worte, wie soll ich richtig dankbar sein! Mir mangeln die Kräfte, einer solchen Freude Ausdruck zu geben! Ich und mein Knabe haben nun ein Clavier! Sobald es da stand, jubelten meine Finger den Choral: ,O daß ich tausend Zungen hätte!‘ – Immer lauter wurden die Töne, ich vergaß meine Umgebung,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_455.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2024)