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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Eine große Störung brachte in die rüstige Entwickelung der Pflanzstaaten von Neu-England die Wiederherstellung des Königthums in England in der Person Karls des Zweiten (1660). Eine schwere Prüfung für die Kolonieen sodann war der große Indianerkrieg, welcher in den Jahren 1675–76 währte und ihre ganze Existenz bedrohte.

Karl der Zweite, dieses abschreckende Beispiel von einem leichtsinnigen, lüderlichen und gewissenlosen König, konnte, soweit er überhaupt seinen Vergnügungen und Ausschweifungen dann und wann eine flüchtige Stunde der Beschäftigung mit ernsthaften Dingen abgewann, die puritanischen Pioniere von Neu-England nur mit Uebelwollen ansehen. Es gab auch in seiner Umgebung Leute genug, welche die über England hereingebrochene Reaktion aus selbstsüchtigen Absichten auf die transatlantischen Kolonieen auszudehnen strebten. Demzufolge hatten die Kolonisten jahrelange schwere und wechselvolle Kämpfe um ihren Besitz, ihre Rechte und Freiheiten mit der Regierung des Mutterlandes zu bestehen. In diese Kämpfe war gleich zum Anfang noch ein starkes Element der Verbitterung hineingekommen durch den Umstand, daß die Puritaner sich weigerten, dem König und seinen racheschnaubenden Höflingen einen Gefallen zu thun. Nämlich diesen, die beiden Obersten Whalley und Goffe, welche im Rathe Cromwells und in dem Hohen Gerichtshof gesessen, der Karl den Ersten verurtheilt hatte, und welche jetzt, für vogelfrei erklärt, nach Neu-England herübergeflohen waren, zu greifen und auszuliefern. Die beiden geächteten „Königsrichter“ haben unter dem Schutz ihrer religiösen und politischen Gesinnungsgenossen jahrelang erst in einem Versteck unweit von Neu-Haven und dann wieder jahrelang bis zu ihrem Tode im Predigerhause zu Hadley unweit vom Connecticutfluß eine Zuflucht gefunden. Noch bei ihren Lebzeiten hatte sich um ihre Personen her ein ganzer Sagenkreis gebildet, dessen Ueberlieferungen mehrfach novellistisch ausgenützt wurden[1]. Die Weiterungen und Zerwürfnisse mit dem Regimente der Stuarts machten einem besseren Verhältnisse erst dann wieder Platz, als diesem Regiment durch die zweite englische Revolution des 17. Jahrhunderts ein Ende bereitet ward (1688–89).

Eine „höhere“ Kinderstube.
Nach der Natur angenommen von Emil Schmidt.

Aber der vielfältige und mitunter nicht wenig gefährliche Hader mit dem Mutterlande war noch im Gang, als die schwere Heimsuchung durch den sogeheißenen „König-Philipps-Krieg“ über die Kolonieen erging.

Im Verlaufe der Jahre hatten sich in Neu-England zwischen den Ansiedlern und den Eingeborenen Verhältnisse herausgebildet, wie sie überall eintreten mußten oder müssen, wo eine gesunde, kräftige und verhältnißmäßig gebildete Menschenrasse mit einer barbarischen in Berührung kam oder kommt. Die Kultur ist in Verfolgung ihrer Zwecke ebenso erbarmungslos wie die Natur. Beide wissen nichts von Sentimenlalität. Beide ziehen mit unbeugsamer Logik die Schlußfolgerungen aus ihren Voraussetzungen. Es ist ein logisches Gesetz der Natur wie der Geschichte, daß Macht vor Recht gehe. Das ist sehr traurig, aber sehr wahr. Jede Seite im Buche der Natur- wie der Menschheitgeschichte bezeugt es. Hier wie dort fressen die großen Fische die kleinen. Grausam das, aber unabänderlich. Es ist eben der unerbittliche „Kampf ums Dasein“, dessen nimmer rastende Motive Hunger und Konkurrenz heißen.

„Der Rauch vom Herdfeuer der Blaßgesichter tödtet den rothen Mann.“ Dieses unter den Indianern von Neu-England umgehende Wort bezeichnete eine traurige Thatsache. Denn in demselben Verhältniß, in welchem die angelsächsischen Ansiedelungen sich vervielfältigten und an Ausdehnung und Volkszahl zunahmen, schwand die indianische Bevölkerung dahin. Die weiße Rasse zehrte so oder so die rothe auf, und was sie davon nicht aufzehrle, drängte sie mehr und mehr westwärts in die Wildnisse zurück. Büchse und Schwert trugen nicht wenig zur Vernichtung der Rothhäute bei, aber mehr noch thaten dies zwei aus Europa eingeschleppte Uebel: eine Seuche, die Blattern, und ein Laster, das Feuerwassertrinken. Als ein Halbjahrhundert vergangen seit dem Tage, wo die Pilgerväter ihre Füße auf die Felsplatte bei Plymouth gesetzt hatten, waren schon mehrere der indianischen Völkerschaften von Neu-England ganz verschwunden oder im Aussterben begriffen. Andere waren aus den Jagdgründen ihrer Väter und damit von ihren Nahrungsquellen verdrängt und wieder andere in naher Gefahr, daraus und davon verdrängt zu werden. Die Grundsätze strenger Rechtlichkeit, welche die Pilgerväter in

  1. Auch vom Verfasser dieses Essay in seiner historischen Novelle „Die Pilger der Wildniß“, 2. Aufl. „Novellenbuch“, Bd. 7–8, 1875.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_436.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2021)