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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

8.

In dämmeriger Sonntagsfrühe brach der Herzog mit dem Freunde auf, um seiner Ungeduld genug zu thun und mit ihm nach Kochberg, dem Gute des Oberstallmeisters von Stein, hinaus zu reiten. Ein Reitknecht mit Frühstücksvorräthen in den Holstern folgte.

Der Thorwärter mußte seinen Morgenschlaf abschütteln und das streng geschlossene Gatterthor der Stadt öffnen, dann trabten sie draußen in den Morgennebel hinein. Sie ritten schon lange schweigend neben einander, als mit wundervoller Farbenpracht die ersten Sonnenstrahlen durch glitzernde Reif- und Nebelgebilde brachen. Das siegreiche Tagesgestirn warf leuchtende Blicke der Huld über die starre Fläche. Die feinen Eiskrystalle an Gräsern und Zweigen schimmerten in blendender Pracht, das geringste Gebüsch glich einem Märchenwalde, die hohen weitästigen Tannen wurden zu zauberischen Pyramiden. Während die Sonne höher stieg, den Nebel zertheilte, unterwarf und des Himmels zartes Blau durchglühte, blieb die Ferne noch in weichen Farbentöuen. Gerade stieg der Rauch aus den zur Seite liegenden Gehöften auf und gewann, gegen die klare Himmelsbläue gesehen, rosige Tinten.

Der Herzog nahm das Gespräch auf: „Wir haben in den nächsten Tagen noch einen Gast zu erwarten; ich glaube, ich erwähnte desselben nur flüchtig. Es ist auch so recht eigentlich kein Gast, denn ich habe ihn zum Kammerherrn ernannt. Noch vor meinem Regierungsantritt lernte ich in Bayreuth den etwa dreißigjährigen Siegmund von Seckendorf kennen, der früher in sardinischen Diensten stand. Er hat Deinen Werther in’s Italienische übersetzt, dichtet, componirt und schien mir in den Kreis zu passen, welchen ich mir zur richtigen Erfassung eines frohen, gesunden Lebensgenusses zu bilden trachte. Hoffentlich wird der gewandte, vielseitige Mann Dir gefallen. Möchte er sich mit uns einleben!“

„Ich bringe ihm eine reine Empfindung entgegen und hoffe alles Gute,“ sagte Goethe schlicht. „Mir thut es nur leid, wenn ich sehe, daß Du zwischen Dich und die Herzogin immer mehr Leute stellst.“

Das freudig belebte Gesicht des jungen Fürsten verfinsterte sich. „Ich kann mit ihr zu keinem Verständniß, keinem rechten Herzenston kommen. Mein Verlangen geht nach einem frischen, schönen, schnellkräftigen Wesen. Luise ist so verschlossen, so formvoll, so talentlos; eine Aureole der Langeweile umgiebt sie, ein Parfüm der Correctheit, das mir zuwider ist.“

„Ein Weib kann, um begehrenswerth zu erscheinen, in allen Zügen und Formen des Wesens weich sein. Besitzt sie auch nicht Deine rastlose, geistesdurchleuchtete Lebensfülle, so ist sie doch eine tief innerliche Natur, eine reizvolle Knospe, die für Dich zu erschließen Dir hohen Gewinn bringen wird. Du darfst nur nicht Nachlassen, Dich um sie zu mühen.“

„O Mentor!“ rief der Herzog mit leichtsinniger Fröhlichkeit. „Wenn die Kühle wüßte, welch ein Sachwalter sie vertritt! Dir schenkte sie vielleicht ein Lächeln, das heißt, wenn die Dehors und ihre langnasige Oberhofmeisterin, die Gianini, es allergnädigst gestatten möchten. Pah, mich fröstelt, laß uns den Gäulen die Sporen geben!“

Die Pferde griffen munter aus; gegen neun Uhr wurde in Berka gefrühstückt und gefuttert, dann ging es mit frischer Lust über Blankenhayn auf Kochberg zu.

Bald nach elf Uhr langte man vor dem überbauten Thorweg an, der auf den Gutshof führte.

Die Herren ritten ein.

Ein breiter mit einzelnen Ulmen besetzter und von Gebäuden umgebener Wirthschaftshof nahm sie auf. Geradeaus, vom Hof durch einen Graben getrennt, lag das schloßartige Herrenhaus; überschritt man die Grabenbrücke, so führte eine breite von zwei kleinen Thürmen flankirte Treppe auf einen inneren mit Steinplatten belegten Hof, den die von der Herrschaft bewohnten Baulichkeiten einschlossen.

Als die Reiter vor der Grabenbrücke hielten, waren sie bereits von dem Oberstallmeister von Stein bemerkt worden, der zu ihrer Begrüßung herbeieilte. Der Herzog stellte seinen Begleiter vor und erfuhr, daß auch Rittmeister von Werthern mit Gemahlin als Gäste anwesend seien. Man fand die Gesellschaft in einem behaglich erwärmten Salon, wo die Damen den Eintretenden von einem Frühstückstisch entgegen kamen. Der Herzog küßte beiden Damen die Hand, erwiderte den Gruß Werthern’s und führte der Hausfrau seinen Freund zu.

Dieser hatte sogleich die schlanke Frauengestalt vor sich mit prüfenden Blicken überflogen.

Ja, sie war es! Das waren die weichen, durchgeistigten Züge, die ihn in ihren unvollkommnen Umrissen schon so wunderbar gefesselt hatten und ihn nun doch, anmuthbelebt, wie ein ganz Neues, Unerwartetes überraschten. Da war weder Fülle noch Farbenreiz, weder Jugend noch Regelmäßigkeit der Züge, aber mehr als alle vollkommene Schönheit, eine seelische Innigkeit des Ausdrucks, die unwiderstehlich – den, der solche Sprache verstand – zu diesem Weibe hin zwang.

Der Hausherr hatte auf dem Frühstückstische Couverts für die Neuhinzukommenden bereit legen lassen. Der Herzog setzte sich zu Milli von Werthern, Goethe gewann einen Platz an der Hausfrau Seite und konnte nun ihr zartes Profil, das so lange schon in seinen Gedanken lebte, genau studiren.

„Und was verschafft uns denn das Vergnügen dieses charmanten Zusammentreffens?“ fragte Karl August, den Madeira an die Lippen führend, mit schelmischem Augenzwinkern seine Nachbarin.

„Die neue Fuchsstute!“ lachte Frau von Werthern, indem sie ihren Gatten ansah.

„In der That, Durchlaucht,“ erklärte Herr von Stein beflissen, „ist jener capitale Gaul wohl nicht ganz unschuldig an der Ehre dieses Besuchs.“

„Natürlich hätte ich den Fuchs lieber geritten,“ sagte Werthern, „da sie aber mit wollte und ich ja gerade des Gauls halber ein brillanter Ehemann bin – das Nähere erlassen mir wohl die Herrschaften – blieb mir nichts anderes übrig, als die Mähre einzuspannen, denn ich mußte Stein neidisch machen und sie nochmal vorreiten. Und da sind wir!“

Emilie hatte erröthend und mit gesenkten Blicken die unzarten Anspielungen ihres Gatten hingenommen. Dem jungen Fürsten schwoll das Herz, er erbarmte sich ihrer und lenkte rasch das Gespräch auf andere Dinge.

Dann kamen die drei Stein’schen Knaben in den Salon, um dem Herzoge ihren Diener zu machen; man scherzte mit ihnen und besonders Goethe wußte die Kinder bald an sich zu fesseln.

Nach dem Frühstück brannte den Pferdeliebhabern der Boden unter den Füßen. Werthern war glücklich, seine neue Errungenschaft, die er eigentlich dem Herzoge und Stein weggeschnappt hatte, jetzt in vortheilhafter Weise vorführen zu können; er witterte etwas von der Möglichkeit eines guten Geschäfts und stürmte hinaus, um rasch satteln zu lassen.

Der Herzog fragte Milli, ob sie nicht von der Passion ihres Mannes angesteckt sei, und bat sie mit auf den Hof zu kommen. Sie war einverstanden und schlüpfte in eine purpurrothe Sammetjacke mit schwarzem Pelzbesatz, die ihr vortrefflich stand; so schloß sie sich den hinausgehenden Männern an.

Goethe aber bat Frau von Stein, ihm zu gestatten, daß er bei ihr im Zimmer bleibe, da seine Liebhaberei für Pferde nicht sonderlich groß sei. Sie bewilligte freundlich seine Bitte und führte ihn in ein kleines nach dem Garten gelegenes Wohngemach. Hier saßen sie zusammen in der tiefen Fensternische und plauderten bald lebhaft.

Während draußen der vielbesprochene Fuchs und nach ihm die bevorzugten Insassen des Stein’schen Stalls in allen Gangarten vorgeführt, kritisirt oder bewundert wurden, schlang sich drinnen wie aus feinen, goldenen Fäden ein Band, das zwei edle, nach Verständniß ringende Menschenseelen dauernd verknüpfen sollte. Da die beiden älteren Knaben zu ihrem Hofmeister zurückgekehrt waren, spielte der kleine dreijährige Fritz, gleich einem Symbol jenes Bandes, von einem zum andern. Sein kindliches Geschwätz, seine Ansprüche füllten harmlos eine gedankenvolle Pause oder gaben mit einem drolligen Einfall der Unterhaltung eine andere Wendung. Was hatte Goethe dieser Frau alles zu sagen! Nie war er sich so innerlich reich erschienen wie in ihrer Nähe.

Dann traten die Fragen des praktischen Lebens an die Hausfrau heran; ein Diener kam und wollte wissen, welches Gedeck, welches Silber, welchen Wein sie heute dem Herzog zu Ehren bestimme?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_426.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2022)