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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 26.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Brausejahre.
Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)
Christel von Laßberg’s Tagebuch.

Am 11. November Abends. Heute Morgen ist die ganze Hofgesellschaft auf dem Eise gewesen, ich sah die bunte lachende Schaar zurückkommen. Mir war, als seien sie Alle aus einer andern Welt. Er ging wieder neben Gustchen. Nachher kam diese und sagte mir, daß die Herzogin ein anderes Hoffräulein gewählt habe. Sie erzählte mir, daß ihr Bruder und Goethe Nachmittags zum Prinzen Constantin nach Tiefurt führen, und daß sie dann wichtige Dinge mit mir überlegen wolle.

Der Nachmittag kam und nie werde ich jene Stunde vergessen. Wir saßen, weil es trotz dem Froste sonnig war, wieder am Brunnen. Vater hatte ich den ganzen Tag nicht gesehen; ich kenne das, wenn er einen schweren Groll zu überwinden hat, schließt er sich ein; Tante Barbara hielt noch ihren Mittagsschlaf. Gustchen war sehr zärtlich; sie ließ meine Hand nicht los und sagte mir, daß sie glücklich sei eine Freundin zu haben, der sie Alles anvertrauen könne.

„Wie findest Du ihn?“ begann sie dann.

Ich erröthete so sehr, daß mir die Thränen in die Augen traten und meine Hände bebten.

„Ah!“ sagte sie, „Du antwortest beredt genug; wie hübsch Du bist, wenn Du roth wirst und etwas Leben in Deine Mienen kommt; sähe er Dich so, dann würde er Dich nicht fade nennen. Also Du findest ihn entzückend?“

Gefoltert wandte ich mich ab.

„Er ist sehr schön!“ stotterte ich.

„Wer denn? Wir haben noch keinen Namen genannt,“ spottete sie jetzt. „Aber laß nur, alle Mädchen in Weimar sagen heute: Er! und wissen, wen sie meinen. Ja, Wolfgang Goethe hat es gestern allen angethan; Jung und Alt hat er bezaubert, der himmlische Mensch. Und nun höre wohl zu, kleine Maus, er ist mein, mein, wenn ich ihn will – was sagst Du dazu?“

Ich glaubte, ich stammelte einen förmlichen Glückwunsch und fühlte dabei, daß ich sehr blaß und schwindlig wurde.

Auguste fuhr fort: „Du gratulirst mir schon, so weit sind wir noch nicht, denn ich bin noch im Ueberlegen, wie ich’s nehmen soll.“

Ich fragte, warum sie denn noch schwanke, da sie ihn doch so liebenswürdig finde?

Gustchen lachte: „Du bist ein Kind, ein pures Kind,“ sagte sie. „Wenn eine Liebelei Ernst wird und man an eine Heirath denkt, so braucht man dazu einige kleine Nebendinge außer dem entzückenden Epouseur. Ich bin nicht einmal im Klaren über sein Vermögen; in den vier bis fünf Tagen unserer Bekanntschaft hat er nichts darüber geäußert. Dann soll sein Großvater ein Schneider gewesen sein, und eine solche Verwandtschaft darf ich meiner Familie nicht bieten. Da er nicht von Adel ist, würde ich mein Recht auf die Hofgesellschaften verlieren. Die Gunst, in der er beim Herzoge steht, läßt sich verwerthen, aber darauf ist nicht zu rechnen. Fürstengunst kommt heute und geht morgen.“

Ich hatte stumm ihren Ueberlegungen, die mich eisig durchkälteten, gelauscht; endlich fragte ich: „Aber hat er denn schon ernstlich um Dich geworben?“

„Mit Hand und Mund hat er geworben, mein Zuckerpüppchen!“ lachte sie, „wenn auch nicht mit dürren Worten und Heirathsplänen. Aber ich darf es auch, will ich ihn abweisen, nicht dahin kommen lassen, denn wenn er uns zürnt, kann das meiner Familie Nachtheile bringen. Ich muß also jetzt meinen Entschluß fassen und klug sein.“

„Solche Sachen verstehe ich nicht,“ sagte ich kurz. „Ich kann Dir keinen Rath geben.“

Aber sie wollte auch keinen Rath; sie erzählte mir, was er ihr gesagt, es war viel Artiges – aber ich fand nicht die Herzenswärme darin, welche seine Augen ausstrahlten, nicht die Gluth und Leidenschaft seines Werther’s. Ich sprach es Augusten aus, sie aber spottete, meine eigenen Worte wiederholend: „Solche Sachen verstehst Du nicht! Ich kann es nicht leugnen, daß ich sehr in ihn verliebt bin,“ fuhr sie fort. „Er ist der schönste und bedeutendste Mann in ganz Weimar; es mag unverständig sein, aber ich will die Sache weiter gedeihen lassen; mag es auch zu einer Heirath kommen!“

Gustel hat mir ein Gedicht von ihm dagelassen, davon schreib ich mir hier den Schluß:

„Ach, aber ach! Der Jüngling kam
Und nicht in Acht das Veilchen nahm,
Zertrat das arme Veilchen.
Es sank und starb und freut sich noch:
‚Und sterb’ ich denn, so sterb ich doch
Durch ihn, durch ihn,
Zu seinen Füßen doch!‘“



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_425.jpg&oldid=- (Version vom 9.10.2022)