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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Hinter ihr verschwindet in dem Thor der bunte Zug, dessen Heiterkeit zu den grauen menschenleeren Ruinen, den Häusern ohne Dach nicht recht stimmen wollte. Lebhaft erinnerte diese pompa nuptialis an unsere Hochzeitsgebräuche, aber die hellen lebensfrohen „heidnischen“ Farben und die Musik der Tibien, der Cithern und des Tympanums führten unsere Sinne in’s Alterthum zurück, und dieses trug den Sieg der Schönheit davon. Von dem fackeltragenden Jüngling, den kerzentragenden Knaben, der ehrwürdigen Pronuba, welche den Hochzeitsfeierlichkeiten vorstand, den die Braut geleitenden Freunden des Bräutigams, den Mädchen, welche die Hochzeitsgeschenke, Rocken und Spindel nachtragen und Blumen auf den Weg streuen, von den Nüsse unter die Kinder werfenden Begleitern der Braut sind eine Menge Spuren zurückgeblieben in Ländern, welche, fern den Schienenwegen, noch nicht von moderner Cultur nivellirt worden sind. Nur die Sitte, die Pfosten des Bräutigamshauses, ehe die Braut naht, mit heiligem Oele oder Wolfsfett zu salben, die Braut mit kräftigen Armen über die Schwelle zu heben, damit ihr Fuß diese, ein böfss Omen, nicht berühre, ist wohl römische Sitte geblieben.

Wie die Hochzeit bei den Römern in der Regel am Abend abgehalten wurde, so pflegte man auch den Untergang des Tagesgestirns abzuwarten, bis man die Todten zur letzten Ruhestätte hinaustrug.[1]

Der Abend des zweiten Festtages, des 11. Mai, war dazu bestimmt, um ein echt römisches Begräbniß aufzuführen. Hier trat der Unterschied zwischen den Sitten der alten und neuen Welt deutlicher zum Vorschein. Die Leiche wurde im alten Rom bei angesehenen Leuten auf einer Sänfte aufgebahrt, Geringere trug man in schlichten Särgen hinaus; diese begleiteten alsdann vier Leute, die das Begräbniß besorgten und die man Vespillones nannte. Die Leiche des Kaisers trugen Senatoren, die eines Feldherrn dagegen seine Soldaten. Dem Trauerzuge fehlte nicht die Grabmusik. Trompeter und Flötenspieler schritten voran, umringt von Fackelträgern. Ihnen folgte der Archimime, ein Mann, der die Geberden und Handlungen anderer Menschen gut nachahmen konnte. Sein Gesicht bedeckte eine Wachsmaske, welche die Züge des Heimgegangenen wiedergab. Mit den Kleidern des Verstorbenen angethan, ging der Mime vor dem Sarge her und suchte in einem würdigen rhythmischen Tanze die wichtigsten Scenen aus dem Leben des Todten den Begleitern des Zuges in Erinnerung zurückzurufen

Aus Pompeji: Isispriester im Zuge des Kaisers.
Nach einer Skizze von Salvatore de Gregorio.

Bei Begräbnissen vornehmer Leute erschienen im Zuge mehrere Masken, welche die Ahnen derselben darzustellen hatten, oft auch für die Belustigung der Zuschauer sorgten. Auch Büsten der hervorragendsten Vorfahren wurden im Zuge manchmal getragen, niemals aber fehlten Klageweiber (praeficae), welche Todtenlieder (Naeniae) zu Ehren des Verstorbenen sangen. In ähnlicher Zusammensetzung bewegte sich auch der Trauerzug am 11. Mai in Pompeji nach der Gräberstraße vor die Thore der Stadt, um die Leiche des Militärtribunen Lucilius beizusetzen. Die Klageweiber erschienen in schwarzen langen ärmellosen Gewändern, mit aufgelösten Haaren, in schwarzen Togen und Tuniken auch die Verwandten, die Freigelassenen und Sclaven; die Mimen aber waren in die grellbuntesten Farben gekleidet und bildeten, wie die mailich-prangende, feurig-grüne Natur, schroffen Gegensatz zu dem Ernst der Handlung. Die jenen Vorgang abschließende Verbrennung (Crematio) des Todten war feierlich und menschlich schön, und darin waren die Römer uns, die wir durchaus etwas Anstößiges in dem Vergehen in Flammen finden wollen, ganz bedeutend voraus. Die fackeltragenden Vespillones („Todtengräber“ kann man sie füglich nicht nennen) erschienen, als sie die ernste, von Grabmalen eingefaßte Straße hinabschritten, den Genien des Todes ähnlich, wie die griechische Kunst sie darstellt.

An den Festtagen gab es außerdem Gladiatorenkämpfe in dem Amphitheater, denen der Kaiser mit seinem großen Gefolge beiwohnte, das außer den Priestern der Stadt, die wie der gemeinste Mann eine große Freude an den blutigen Spielen zeigten, aus den Spitzen der Behörden und dem entarteten Volke des Kaiserreichs bestand, welchem Panis et circenses (Brod und Spiele) über Alles, auch über die Freiheit gingen. Der Schluß brachte eine Beleuchtung des Forums, an dem die Basilika, das Gebäude der Priesterin Eumachia, der Tempel des Quirinus, der Jupitertempel und das Pantheon llegen, mit bengalischem Licht.

Die schönste Beleuchtung aber übernahm der Vollmond, der romantische Freund der Ruinen. Groß und ernst kam er hinter dem Vesuv herauf und leuchtete in die Gassen hinein, die, eben noch vom lautesten Leben erfüllt, jetzt wieder still und einsam lagen, Behausungen von Schatten, die vor fast zwei Jahrtausenden hier zur Ruhe gekommen. Ein süßer Duft von reifendem Korn und blühenden Orangen wehte von der Campagna her, ein leises Rauschen wie Athmen eines Schlafenden tönte vom Meere herüber, und wie am Himmel die Sterne, zogen hier unten in glitzernder Pracht die vom Lenze geweckten Leuchtkäfer ihre stillen Bahnen.

Das ist das Pompeji des Dichters, der es, träumend, mit schöneren Gestalten bevölkert, als dies das beststudirte Theaterfestprogramm vermag.

 „Wie der lachende Amor,
Thanatos, scheinst du mir hier, in dem flimmernden Schutte Pompejis,
Spielend mit goldigem Staub und mit Scherben zerbrochener Vasen.
Und aus Lapis Lazur und verlorenem Schmucke der Mädchen
Stickst du die Grabmosaik phantastischer Märchengestalten.“




  1. Die Begräbnisstätten hatten gesetzlicher Bestimmung gemäß außerhalb der Stadt zu liegen, nur besonders verdienten Personen konnte durch Volksbeschluß ein Begräbniß auf dem Forum zuerkannt werden. Die Gräber zogen sich demgemäß vor den Thoren der Stadt in Straßen (Gräberstraßen) weit hin, wie z. B. bei Rom an der Via Appia.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_421.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2021)