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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Meeres, ihr Haupt war gekrönt von bacchischem Laub und den silbernen Olivenzweigen Minervas. Hier athmete Alles Heiterkeit, Frieden und goldene Ruhe. Ueber den Marmortempeln der Venus, des Jupiter, des Hercules, der Isis und aller heiligen Götter, über den von frohen Menschen wimmelnden Plätzen, die von langen Säulenhallen gegürtet waren, über den zierlichen kleinen und den großen hochgeschwungenen Theatern spannte ein Himmel sich aus, der den Winter mild, den Sommer in sanfter Kühlung erhielt.

Aus Pompeji: Einzug der Braut in ihr künftiges Heim.0 Nach einer Skizze von Salvatore de Gregorio.

Auf den Straßen und Gassen aber lebte und webte ein Volk, das mit fleißigen und geschickten Händen die kostbaren Stoffe verarbeitete, welche die Kauffahrer, die im Hafen draußen an dem Seegestade dicht gedrängt, Mast bei Mast lagen, aus Aegypten, Afrika, Phönicien, Kyprus und von allen Küsten gebracht hatten. Reiche Kaufherren und Große, des Lebens in Rom müde, der Philosophie Epikur’s Ergebene kamen nach der Stadt am Vesuv, um sich prächtige Häuser und Villen zu bauen, sie zu schmücken mit allem, was das Leben verschönt und angenehm macht. Die Fußböden glänzten von zierlichen Mosaiken, die Wände in üppigen Farben und verführerischen Schildereien griechischer Künstler. Jeder Krug, jedwedes Gefäß, ein vollendetes Kunstwerk war’s, denn Jeder hatte sein Leben lang sich befleißigt, Schönes zum Schönen zu fügen. Hier wurde das kurze Leben in die vornehmsten Formen gegossen, und reizend flog es dahin, nicht schäumend, nicht traurigen Bodensatz zurücklassend.

Dies war die Stimmung in der Stadt vor der Katastrophe. Es kam der finstere Tag, die gluthflammende Nacht, wo der todtgewähnte Berg erwachte und in tollem Rasen seinen langverhaltenen Grimm austobte, wo Vulcan seine blühende Gattin Venus erwürgte und den häßlichen Todtenschleier über ihre holde Gestalt breitete ...

Fast siebenzehn Jahrhunderte waren seit jenem Schreckenstage vergangen, da kam die Auferstehung, da warf die Lebendigbegrabene die Grabtücher von den Schultern und schaute, eine Fremde, in die fremde Welt des achtzehnten Säculums. Fremd waren ihr die neugierig herbeidrängenden Menschen, Leute in Spitzhut mit Zopf und Perrücke, in seidenen Fracks und Bratenwesten, statt des Römerschwerts einen zierlichen Galanteriedegen an der Seite. Und sie wohnten nicht mehr in der Stadt, sondern kamen nur zu Besuch, wendeten die Steine um, lasen in den Albums der Alten und schleppten ihre zierlichen Geräthe und Statuen in die Museen und schrieben Bücher über das curiose Leben jener Zeiten.

Die Dichter besangen die Auferstandene, selbst Dichter aus dem Barbarenlande, dessen blonde Söhne einst Thürsteherdienste bei dem üppigen Römer verrichten mußten.

Und wie oft ist die Stadt „illustrirt“ worden, auf welch’ verschiedene Weisen, so aber, wie man sie jüngst illustrirte mit lebenden Menschen in echten „Scenen pompejanischen Lebens“, ist es noch nie dagewesen: ein vollkommenes Auferstehungsfest ward gefeiert. Die Schatten der Unterwelt kamen an’s Licht, gekleidet und ausgerüstet in Tuniken, Togen und Waffen wie vor achtzehnhundert Jahren, winkten einladend in alle Welt hinein und riefen: „Kommt und sehet! Das war Pompeji in jenen Zeiten!“

Es war in der That ein origineller Gedanke, ein Costümfest inmitten der ausgegrabenen Stadt abzuhalten, die alten Ruinen mit Masken aus altrömischer Zeit zu beleben. Drei Tage lang, 10., 11. und 13. Mai, dauerte der Festjubel.

Für den 10. Mai war zunächst ein Wagenkampf im Circus angesagt, an dem als Zuschauer auch Kaiser Vespasian theilnehmen sollte. Auch las man an den Straßenecken Anzeigen in altrömischen Schriftzügen:

Pro . Aenariae . Insulae . Oppidis
Terrae . Motu . Conlapsis
P. Januarii . Donati
Familia . Gladiatoria . Pugnabit
Pompejis . Sine . Ulla . Dilatione
III. Idus . Majas.

Deutsch würde die Ankündigung lauten:

„Für die durch Erdbeben geschädigten Ortschaften der Insel Aenaria[1]
wird die Gladiatorenschaar des P. Januarius Donatus ohne
irgend welchen Ausschub fechten, am 13. Mai.“

Das schaulustige aus aller Herren Ländern zusammengeströmte Publicum erwartete am ersten Festtage den Kaiser auf dem Forum, dem alten Markte von Pompeji. Da erschien er, der „göttliche Cäsar“, mit seinem Gefolge. Voran schritten die Priester der Isis, jener

  1. So nannten die Römer Ischia.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_419.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2021)