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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Der Lünersee.0 Originalzeichnung von R. Püttner.


Scesaplana und Lünersee.

Die malerische Darstellung der Hochgebirgslandschaft mit Gletschereis und Wettertannen ist – gerade so wie der Bergsteigesport – ein ausschließliches Kind des 19. Jahrhunderts; zur Zeit der beschnittenen Ziergärten und der atlassenen Staatsfräcke, und noch am Ende des 18. Jahrhunderts, wäre beides ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Nach der – nicht blos auf politischem Gebiete fruchtbaren – großen Umwälzung traten die Kunst und der Geschmack des Publicums wieder der Natur und ihrer einfachen, ungekünstelten Schöne näher. Da lockten auch die Bergriesen der Alpen die jüngere Generation an sich heran. Der Pinsel unserer Landschafter wie der Mannesmuth und das poetische Gemüth der Jugend wandten sich dem hehren Linienschwunge, der Farbenpracht und dem dichterischen Hauche zu, der in unseren einsamen Hochgebirgsthälern und um die stolzen Gipfel unserer Alpenkette weht. Aber nur langsam vollzog sich dieser Umschwung; das Hochgebirge mußte förmlich erschlossen werden. Noch in den vierziger Jahren – also so recht im berüchtigten österreichischen Vormärz – wanderte kaum ein „Gebildeter“ ins Gebirge, Fremde schon gar nicht. Ich erinnere mich noch mit Vergnügen des bedenklichen Wackelns alter Gubernialzöpfe und der drohenden Warnungsfinger zimperlicher Großmütter, als wir einst, eine jubelnde Schaar studentischer Lockenköpfe, in eisenbeschlagenen Schuhen und mit nackten Knieen, almrosenbekränzt und sonnenverbrannt nach mehrtägigem Gletscherwandern auf früher nie versuchten Steigen in die Landeshauptstadt Innsbruck einmarschirten. Das war damals gerade so ein Ereigniß, wie jetzt eine Nordpolfahrt, und: „was gebildet sein wollende Studenten wohl da droben und da drinnen in den ‚schiechen Oertern‘ zu suchen hätten?“ so frugen die städtischen Philister.

Glücklicher Weise ist dies jetzt anders geworden; zahlreiche Alpenvereine machten in ihren Jahrbüchern die Lesewelt mit den bis dahin verborgenen Zauberreizen des Hochgebirges bekannt, ihnen folgten Touristen aller Nationen, und dann namentlich die Maler, sodaß schon beinahe in keinem Salon mehr ein paar auf Leinwand gehauchte Hochgebirgsgipfel fehlen dürfen.

Zu den am spätesten erschlossenen Regionen der österreichischen Bergwelt gehört, ungeachtet der unmittelbaren Nachbarschaft der Schweiz, das Hochgebirge Vorarlbergs, – jenes kleinen Ländchens, das man nicht mit Unrecht die österreichische Rheinprovinz genannt hat, da es allein von allen andern habsburgischen Ländern seine Gewässer dem „deutschen Strome“ zuführt. Unter diesem Hochgebirge verstehe ich den mit mehrfachen Querthälern durchfurchtenn, im Mittel gegen 2600 Meter hohen, theilweise vergletscherten Gebirgskamm, der, an dem jetzt vielgenannten Arlbergpasse beginnend und Tirol, Vorarlberg und Graubünden scheidend, als Silvretta- und Rhätikonmassiv etwa 40 Kilometer lang gen Westen verläuft und mit dem kühnen Abschwung der Falkniß, gegenüber von Ragaz, ins Rheinthal steil abfällt. Dort drinnen, im Montafon und auf Vermunt, im Gannera-, Gargella-, im Rellser und Brandtner Thale war es selbst um die Mitte der sechsziger Jahre noch so still und einsam, daß ich auf meinen häufigen Wanderungen durch jenes Gelände mich fast ausnahmslos als den einzigen Gast der niedrigen, aber, im Gegensatze zum nachbarlichen Tirol, stets musterhaft reinlichen Bauernwirthshäuser fand, wo es noch trefflichen „Tiroler“ und wohlfeile Gebirgsforellen in Fülle gab, – oder auch in den hochgelegenen Almhütten ein Object scheuen Anstaunens für die Ochsenhirten und die schwarzäugigen Montafoner Sennerinnen abgeben mußte. Verschiedene aus diesen Wanderungen hervorgegangene Aufsätze in den Jahrbüchern des damaligen österreichischen Alpenvereines („Im Rhätikon“, „Auf Vermunt“), dann die Eröffnung der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_413.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2021)