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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 25.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Brausejahre.
Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)


5.

„Kind, liebe Milli, ich will Dich nicht kränken,“ sagte eine würdige, alte Dame, welche in der Ecke ihres kleinen Sophas saß. Und sanft die thränenfeuchten Wangen der vor ihr knieenden Frau von Werthern streichelnd, fuhr sie fort: „Ich weiß, daß sich viel zu Deiner Entschuldigung anführen läßt, und habe mich deswegen nie in Eure häuslichen Verhältnisse gemischt. Ja ich weiß, liebes Milchen, daß die Sitten immer lockerer werden, daß es wenige junge Frauen in Weimar giebt, welche nicht ihre ‚Geschichte‘ haben. Sie wollen ihren süßen Liebesrausch mehrmals genießen. Es giebt so viele böse Beispiele um Dich her, Du bist lebhaft, jung und hübsch“ – ein schwerer Seufzer entrang sich hier der alten Dame – „mein Sohn ist vielleicht nicht immer gegen Dich, wie er sein sollte: sieh Emilie, deshalb, aus allen diesen Gründen, welche mein armes Mutterherz beängstigen, nur deshalb rede ich jetzt so mit Dir.“

Das gekränkte junge Weib war wie geknickt mit gefalteten, vor die Augen gepreßten Händen auf das Kissen zu den Füßen der Mutter hingesunken.

Die alte Frau von Werthern hatte es bis jetzt schonend vermieden, mit ihrer Schwiegertochter deren eheliches Verhältniß zu besprechen. Sie fürchtete die festere Gestalt des Ausgesprochenen. Jetzt aber hielt sie eine Warnung für nothwendig, da man Emilien beschuldigte, sie trachte die junge Ehe ihres Fürsten zu stören, sie kokettire mit dem Herzoge, sie dränge sich in die Gesellschaft der Männer. Ihre Gegenwart bei dem Kalb’schen Herrendiner, ja, daß sie am Mittwoch Abend wieder zum Tanz dort gewesen und Karl August nicht von ihrer Seite gekommen sei, regten die alte Dame schmerzlich auf.

Es hatte immer ein inniges Verhältniß zwischen Emilien und ihrer Schwiegermutter bestanden; Alles wurde bisher zwischen ihnen besprochen, nie aber das Nächste, der Sohn und Gatte. Ob Frau von Werthern diesen Sohn liebte? Er stammte aus der ersten Ehe ihres Mannes und war von zu roher Art, als daß eine edle Frau an ihm hätte Gefallen finden können. Die Rücksichten, welche er auf seine Stiefmutter nahm, waren durch Eigennutz bedingt; das Vermögen seines Vaters reichte nicht aus, seine kostspieligen Neigungen zu befriedigen. Die Mutter war sehr wohlhabend, freigebig dazu, kein Wunder, daß er jetzt auf ihre Zuschüsse, später auf die reiche Erbschaft speculirte.

Nach dem Ausbruch verletzter Gefühle von Seiten der jungen Frau ließ die Matrone ruhig eine Zeit der Sammlung verstreichen; sie hatte besänftigend ihre Hand auf die dunklen Locken der vor ihr Knieenden gelegt und blickte mit unendlichem Mitleid auf sie herab.

Als Emilie das schmerzerfüllte Auge zur Mutter empor schlug, hätschelte diese sie wie ein Kind und sagte:

„Ich weiß ja, mein Milchen, daß er nicht gut mit Dir ist; ich weiß, daß er Schuld hat; aber wenn er auch fehlte, so möchte ich doch meinen Liebling davor bewahren.“

„Gute, gute Mutter!“ stammelte die junge Frau, sich an sie schmiegend.

„Laß uns ohne Heftigkeit die Verhältnisse besprechen,“ fuhr die alte Dame milde fort. „Ich sagte Dir schon, daß ich nichts von den groben Beschuldigungen glaube, die von Uebelwollenden ersonnen werden. Aber die Pflichten einer jungen Frau reichen weit und sind fein gesponnen; sie gleichen einem zarten, luftigen Schleier, in den ihr ganzes Wesen sich hüllen soll; entsteht nur ein kleiner Riß in dem kostbaren Gewebe, so zerrt die plumpe Hand der Menschen daran, und ohne daß die Trägerin es will oder weiß, ist ein Stückchen nach dem andern von dem feinen Stoff zerfetzt. Sie steht zuletzt da, bloß und schutzlos allen Angriffen ausgesetzt. Daher hülle Dich vorsichtig ein, mein Herzenskind, laß keine Seele ahnen, wie wenig Dein Gatte und Dein einsames Haus Dich befriedigen, und halte Deinen guten Namen unantastbar rein!“

„Und mein Glück, mein Lebensglück!“ jammerte das junge Weib leise.

Die Matrone hatte nur an das Sollen, nicht an das Wollen und Begehren eines glühenden jungen Herzens gedacht.

„Die Pflichterfüllung wird Dich glücklich machen!“ sprach sie zum ersten Male in einem strengeren Tone.

Emilie richtete sich auf. „O, mein Leben ist jammervoll öde!“ klagte sie. „Mutter, ich wollte, ich wäre todt!“

In der vorigen Weise fuhr die Greisin fort: „Du weißt, wie ich Dich liebe! Mein Herz hängt nur an Dir, aber ich möchte Dich zehnmal lieber im Sarge sehen, als Dich wirklich einer Pflichtverletzung schuldig wissen; das würde mich elend machen und schmerzbeladen in die Grube stürzen.“

Emilie schauderte. „Nie, nie will ich Ihnen den Kummer bereiten!“ rief sie leidenschaftlich. „Ich schwöre es bei meiner ewigen Seligkeit! Nie sollen Sie sich meiner schämen; eher sterben als das!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_405.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)