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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Cesari drängte zum Aufbruch. Nochmals warf sich Maria dem Geliebten an’s Herz. Dann schritt sie an der Seite des Rechtsgelehrten hinaus.

„Armer Thor!“ dachte Cesari. „Ich kenne die napoletanischen Richter! Bis auf’s Blut werden sie Rache nehmen!“




12.

Es war vier oder fünf Wochen später.

Alberto, der Einsiedler von der kleinen Marine, saß, wie so oft, in gramvoller Starrheit vor seiner Hütte und blickte hinaus auf die endlose Meeresfläche.

Seit jener Begegnung mit Antonio Cesari, der die Zingarella zu holen kam, hatte er Qualen erduldet wie nie zuvor! Gleich im Anfang das nagende Vorgefühl – und dann die Gewißheit, daß die kurze, ach, so himmlisch beglückende Hoffnung gelogen hatte! Der Apulier war also nicht der verworfene Missethäter, für den man ihn hielt, – sondern ein irregeleiteter, haltloser Schwärmer – und Maria liebte diesen Bethörten heiß und leidenschaftlich wie je! Was Alberto Petagna als dankbare Hingebung, als zärtliche Freundschaft, als beginnende Liebe ausgelegt hatte, war die Hülflosigkeit der heimlichen Angst gewesen! Das Einverständniß Maria’s mit dem Projecte des Schein-Attentats war ihm unbekannt; die Proceßverhandlungen wurden damals mit lächerlicher Geheimthuerei geführt. So hielt er die angebliche Losreißung der Zingarella von Salvatore noch immer für heiligen Ernst; ihre vermeintliche Rückkehr zu dem Verlobten bedeutete ihm den Untergang eines Glückes, das er nach so langen Jahren des Kummers und der trüben Entsagung endlich, endlich erobert zu haben glaubte!

Inmitten dieser verzweifelten Stimmung regte sich eine Selbstanklage, die während der kurzen, seligen Tage der Hoffnung nicht zum Worte gekommen war.

Alberto haßte seinen Rivalen mit der ganzen Gluth des leidenschaftlichen Südländers. Es gab Minuten, wo er sein eignes Leben geopfert hätte, um den Apulier im offenen, ehrlichen Streit zu Boden schmettern, zermalmen, vernichten zu können. Nun aber, da Salvatore hülflos im Kerker saß, meinte Alberto, sei es tückisch und feige gewesen, diese Hilflosigkeit zu benutzen und sich der trauernden Braut mit Freundschaftsbetheuerungen und verkappter Bewerbung zu nähern. Er sagte sich zwar, wenn zwei Augen wie die Maria’s Einem in’s Antlitz schauten, sei man jeder Erwägung unfähig, – und ganz Capri habe doch nicht anders gewußt, als daß der vermeintliche Mörder so wie so für dieses Leben verloren sei: aber das half ihm nichts wider das dunkle Gefühl; er kam sich schuldig vor, und das Weh, das er litt, erschien ihm gleichsam als Strafe.

Wohl eine Stunde lang hatte er so gesessen, als eine zitternde Hand sich plötzlich auf seine Schulter legte.

Die Zingarella stand neben ihm. Ihr Auge blickte verstört; ihr halb geöffneter Mund schien nach Athem zu ringen.

Alberto sah zu ihr auf. Es überrieselte ihn. Was konnte sie wollen? Was besagte die verzweiflungsvolle Angst ihrer Mienen?

Sofort begriff er, daß der Apulier und sein Schicksal dabei im Spiele sein müsse. Aber was führte dann die Erschreckte zu ihm, dem Einsiedler, der nur fern von ihr sich halbwegs zu fassen vermochte? Heischte sie Trost von dem Trostlosen?

„Alberto!“ sagte sie demüthig.

Ihre Stimme klang so erschöpft, so flehend, daß Alberto sofort sich bewältigt fühlte. Im Gedanken an Salvatore hatte er selbst gegen Maria etwas wie Haß empfunden; jetzt schwand das völlig dahin.

Er stand auf.

„Du?“ sagte er, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend. „Was suchst Du hier?“

„Dich, Alberto! Ach, wenn Du mir’s nachträgst – meine Schwäche und Thorheit ... Ich hätt’ es bedenken müssen ...“

„Was, Maria?“

„Daß Du Dich täuschen würdest, und Dir Hoffnungen machen ... Aber ich konnte nicht anders, – und Deine Freundschaft that mir so wohl ...! Wirst Du mich’s büßen lassen? Ach, dann ist Alles verloren – Alles, Alles! Aber ich kenne Dich besser! Du fühlst edel und groß! In Deiner Selbstlosigkeit stehst Du höher als Alle, und ich glaube an Dich und Dein treues Herz, wie an die Wunden des Welterlösers!“

Ihre Augen, eben noch so verschleiert, loderten auf. Jeder Zug ihres Gesichtes verrieth, wie tief sie empfand, was sie so hastig hervorstieß.

„Ich zürne Dir nicht,“ sagte er düster.

„O, Du bist gut – gut wie ein Engel! Komm, führe mich in Dein Haus! Nur im tiefsten Geheimniß kann ich Dir anvertrauen, was mir die Seele zerreißt!“

Alberto schritt ihr voran. Sie betraten die Hütte.

(Schluß folgt.)




Nekrolog eines Theaters.

Kein langes Dasein ist den Kunststätten beschieden, auf welchen der Mime seine schnellwelkenden Kränze erwirbt. Ein tückischer Feind umlauert die Bretterwelt und läßt nur allzu oft ihre Herrlichkeit in Rauch und Flammen aufgehen. Allein in diesem Jahrhundert sind mehr als 500 Theater niedergebrannt, und namentlich in den großen Städten sind Theaterbrände keine Seltenheit. Die Geschichte von London weist seit dem Jahre 1613 nicht weniger als 35 solcher Brände auf, in Paris wiederholte sich seit dem Jahre 1762 dieses schauerliche Schauspiel 24 Mal, und Berlin und Wien figuriren in dieser Statistik mit je acht Theaterbränden. Die viel jüngeren Großstädte der nordamerikanischen Union rivalisiren in dieser Beziehung mit ihren ehrwürdigen Schwestern in Europa, denn New-York allein kann in seinen Annalen 26 Theaterbrände verzeichnen, während das junge San Francisco durch Feuersbrunst schon 21 Theater verlor. Ja, die modernen Theater scheinen rasch zu leben und zu vergehen, wie so viele Werke unserer ungeduldig alles umändernden Zeit. Die Statistik hat nachgewiesen, daß ihre durchschnittliche Lebensdauer nur 30 Jahre beträgt.

Darum erregen Theaterbrände nur dann ein größeres Aufsehen, wenn bei ihnen namhafte Verluste an Menschenleben zu beklagen sind, oder wenn durch die ungebändigte Feuersmacht Kunststätten vernichtet werden, an die sich besondere Erinnerungen knüpfen. So wirkte vor wenigen Jahren die furchtbare Katastrophe im Wiener Ringtheater erschreckend auf die Gemüther des Theaterpublicums, so hat auch die Zerstörung des Wiener Stadttheaters vor Kurzem die Freunde des deutschen Schauspiels schmerzlich berührt.

Als sich jener Prachtbau vor 12 Jahren an der Seilerstätte erhob, da begrüßten in ihm Viele die Wiege eines neuen dramatischen Aufschwungs, denn kein Geringerer als Heinrich Laube, der „Marschall Vorwärts“ der deutschen Theatertruppen, war sein Schöpfer und dazu erkoren, in den neuen Räumen mit frischen Kräften seine Thätigkeit zu entfalten. An diese Zeit dachten wohl die Meisten, als der elektrische Funke die Nachricht von dem Brande des Wiener Stadttheaters in Deutschlands Gaue trug.

Es war am 16. Mai um einhalb fünf Uhr Nachmittags. Da meldete der Thürmer auf St. Stephan dem Centraldepôt der Feuerwehr, daß ein verdächtiger Rauch über dem Dache des Stadttheaters aufsteige. Der erste Löschzug ging ab, bis bald darauf die Meldung „Dachfeuer im Stadttheater“ sämmtliche Feuerwehren alarmirte. Sie erschienen pünktlich an Ort und Stelle und gingen energisch an das Rettungswerk, obwohl die Hoffnung, den Brand zu ersticken, nur eine geringe war. Schon um fünf Uhr ergriffen die Flammen den Zuschauerraum und nur die Bühne, geschützt durch den eisernen Vorhang, blieb noch unversehrt. Es begann der Kampf zwischen dieser eisernen Schranke und den weiter um sich greifenden Flammen.

„Um diese Zeit bot das Innere des Theaters,“ wie ein Augenzeuge berichtet, „das Bild eines riesigen Feierkranzes, der sich um ein wogendes, flammendurchzucktes, funkensprühendes Meer von Rauch schlang, dessen Hintergrund die rothglühende Courtine bildete.“

Eine Stunde lang leistete sie der Gluth siegreichen Widerstand. Da begann kurz nach einhalb sechs Uhr die Dachwölbung zu wanken, und mit donnerndem Getöse stürzte die Decke in das Parterre nieder. Das Schicksal des Gebäudes war nun entschieden. Durch frischen Luftzug angefacht loderten die Flammen mit erneuter Gewalt auf, der eiserne Vorhang begann zu schmelzen und in wenigen Minuten überflutheten die Flammen auch den Bühnenraum. Als der Morgen des 17. Mai anbrach, war das Theater ausgebrannt, kahle, geschwärzte Mauern umringten einen dampfenden Trümmerhaufen. Nur eln Trost war geblieben, der Brand hat, abgesehen von einigen Verletzungen der braven Feuerwehrleute, kein Opfer an Menschenleben gefordert. In Wien empfindet man den Verlust dieser Kunststätte sehr schmerzlich, denn es ist keine Hoffnung vorhanden, daß sich ein neuer Bau aus dem Trümmer- und Schutthaufen erheben wird.

„Es ist uns,“ sagte uns ein Freund von dem blauen Donaustrande, „als wäre ein Stück von Wien, als wäre ein Stück von uns selbst gestorben und wie am Grabe eines lieben Freundes, dessen Laufbahn sich vor unserer Seele entrollt, so blicken wir heute – am Grabe des Stadttheaters – trauernd auf sein Entstehen und auf seine Entwickelung zurück.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_400.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2021)