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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


so viele gewesen sein, als Tage im Jahre); die rotchen Stadtmauern mit den runden riesigen Thürmen an den Thoren: alles Das zeigt uns die Größe und den Glanz der Stadt, die eine so große Stelle in der Reichsgeschichte einnimmt, an welche uns namentlich auch der schöne Brunnen erinnert, – eine stolz emporsteigende steinerne Pyramide, welche unter einer Menge Figuren – Propheten, Helden, Heiligen etc. – in erster Linie die sieben Kurfürsten aufweist.

Nennen wir noch die Namen: Dürer, Pirkheimer, Behaim und Hans Sachs, und fügen wir hinzu, daß es Nürnberger waren, welche die wichtigsten Erfindungen machten: die Taschenuhren, auch „Nürnberger Eier“ genannt; die Windbüchse; das Flintenschloß, das die Lunte ersetzt; das Messing; den Holzschnitt, – und am Ende wohl auch gar den „Nürnberger Trichter“.

Wohl keine deutsche Stadt ist von den Dichtern so gepriesen worden, wie Nürnberg.

Max von Schenkendorf singt von ihr:

„Wenn Einer Deutschland kennen
Und Dentschland lieben soll,
Wird man ihm Nürnberg nennen,
Der edeln Künste voll,
Dich, nimmer noch veraltet,
Du treue fleiß’ge Stadt,
Wo Dürer’s Kraft gewaltet
Und Sachs gesungen hat.“

Augsburg hat nicht die Reize von Nürnberg, aber auch eine ruhmvolle Geschichte. Es ist unzweifelhaft römischen Ursprungs und hat daher den Namen „Augusta“, auf welchen Bentivoglio Bezug nimmt, wenn er im Jahre 1616 schreibt: „Diese Stadt Augusta hat in der That einen augusteische Charakter in ihren Gebäuden, ihren Straßen und ihren Einwohnern.“ Die höchste Blüthe war damals schon vorüber.

Ihre großen Erinnerungen stammen aus der Zeit der Fugger. Sogar in dem „Don Quixote“ von Cervantes finden wir die damals in Spanien landläufige Redensart „Reich wie ein Fugger“, womit man den höchsten Grad damaligen Reichthums bezeichnete. Der Chef des Hauses, der Graf Anton, soll, als er 1535 Kaiser Karl V. beherbergte, dessen Kamin mit dem damals noch sehr raren und theuren Zimmetholz geheizt und dann auf diesem kostbaren Scheiterhaufen eine Schuldverschreibung des Kaisers, lautend auf viele Tausende, verbrannt und auf diese Forderung verzichtet haben.

Auf dem Augsburger Reichstage 1530 war es, wo zuerst die confessionellen Parteien in einen heftigen Hader geriethen. Karl V. kam geflissentlich am Abend vor dem Frohnleichnamsfeste an und wollte die versammelten Fürsten zwingen, am anderen Tage die Procession mitzumachen. Allein der Markgraf von Brandenburg erklärte ihm, lieber lasse er sich den Kopf abschlagen. Karl, der Spanisch und Vlämisch und nur ein mangelhaftes Hochdeutsch sprach, suchte ihn zu beruhigen mit den Worten: „Min löw First, nit Kopp ab, nit Kopp ab.“ Andere protestantische Fürsten gingen zwar mit, weigerten sich aber, bei den feierlichen Acten niederzuknieen.

Mehr noch als Augsburg hat Regensburg seinen alterthümlichen Charakter bewahrt. Die Häuser sind zum Theil Festungen; eine jede flankirt von einem mächtigen Bergfried oder Donjon. In einem dieser Häuser, dem Gasthofe zum „Goldnen Kreuz“, ist der berühmte, zu Wasser und zu Land siegreiche Feldherr Don Juan d'Austria geboren. Er ist der Sohn des Kaisers Karl und des Töchterleins der Wirthin im Kreuze. Es lohnt der Mühe, sich die Localitäten zu betrachten, in welchen die Reichsversammlung von 1663 bis 1806 hier getagt hat. Es sind jämmerliche alte kleine ärmlich ausgestattete Rumpelkammern, in welchen es halb dunkel ist. Die kleinen, in dickes Blei eingefaßten runden Fensterscheiben sind nicht geeignet, viel Licht durchzulassen, und breit machen kann man sich in diesen Gemächern auch nicht. Die Kaiser, die früher durch persönliche Gegenwart den Reichstagen Glanz und Bedeutung verliehen, kamen nicht mehr. Das Jahr 1663 ist das letzte, in welchem der Kaiser – es war Leopold I. – dem Reichstage beiwohnte. In der That lohnte es auch kaum noch der Mühe. Der Reichstag vertrödelte seine Zeit in der Regel mit eiteln Rang- und Etikettestreitigkeiten, über die Reihenfolge beim Aufmarschiren und beim Sitzen, über rothe und grüne Sessel. Die ersteren galte für vornehmer, und deshalb wollte Jeder auf ihnen sitzen.

Einst schleppte sich der Hofnarr des Kaisers Matthias mit einem großen Folianten.

„Was hast Du da?“ fragte der Kaiser, „laß einmal sehen.“

„Ich habe in dieses Buch die Thaten des Regensburger Reichstages eingeschrieben,“ sagte der Narr, indem er dem Kaiser das Buch überreichte. Der Kaiser schlug es auf und fand darin nichts, als unbeschriebene Blätter.

Als Kaiser Joseph II. das baufällige Reichsgebäude in Regensburg sich beschaute, sagte er lächelnd:

„Nun, wenn das Ding einstürzt, dann ist der letzte Reichsabschied wohl endlich fertig.“

Der knapp bemessene Raum zwingt mich, meine Charakteristik auf wenige Städte zu beschränken, so gern ich auch noch solcher Orte, wie Mainz und Frankfurt, in verdienten Ehren gedacht hätte. Nur die schöne, auf einer Insel des Bodensees, Angesichts der Alpen, gelegene vormals freie Reichsstadt Lindau will ich noch erwähnen.

Kaiser Maximilian I. hat hier im Jahre 1499 einen Reichstag abgehalten, welcher die Aufgabe hatte, die Reichsjustizgesetze, und namentlich die Kammergerichtsordnung zu Stande zu bringen. Aus Anlaß dieser Gesetze entbrannte der sogenannte „Schwabenkrieg“ zwischen den nördlichen Schweizercantonen und dem deutschen Reiche, oder richtiger gesagt: dem schwäbischen Bunde. Denn das übrige Deutschland ließ den Kaiser im Stiche, und der Krieg nahm einen kläglichen Ausgang.

Ich eile zum Schluß: Das alte heilige römische Reich war keine Monarchie, sondern eine Art Republik, an deren Spitze ein gewähltes Oberhaupt stand, das in seinen Functionen theils gesetzlich, theils thatsächlich immer mehr beschränkt wurde zu Gunsten jener fürstlichen Aristokratie, aus welcher sich nach und nach eine namentlich auch durch Karl V. begünstigte Oligarchie, die der Kurfürsten, emporhob.

Selbst der Kaiser hatte ursprüuglich keine feste Residenz, sondern zog von einer kaiserlichen Pfalz zu der andern. Natürlich wanderte da auch der Reichstag.

In dem heutigen Deutschland steht, obgleich es ja noch lange kein einheitliches Reich, sondern ein zusammengesetzter Staat ist, eine Erbmonarchie an der Spitze. Wir kennen keine Kurfürsten mehr. Die an der Spitze stehende preußische Erbmonarchie hat ihre feste Residenz schon seit Jahrhunderten. Das ist Berlin, eine Stadt, mit welcher das Haus Hohenzollern durch hundert Beziehungen und Bande auf das Engste verknüpft ist, – eine Stadt, die, durch ihre Wasserstraßen mit der Ost- und Nordsee gleichmäßig verbunden, eine solche Anziehungskraft entwickelt und so wenig exclusiv ist, daß ein geübtes Ohr in der Berliner Stadtverordnetenversammlung alle Dialekte Deutschlands zu erkennen und zu unterscheiden im Stand ist.

Unter diesen Umständen ist es natürlich, daß die centralen Reichsbehörden, der Bundesrath und der Reichstag, ihren Sitz in der Residenz der Hohenzollern haben, von wo auch der Zollverein und der Norddeutsche Bund ihren Ausgang genommen, die in der That die Vorläufer des deutschen Reichs sind.

Die Zollconferenzen waren anfangs auch noch Wanderversammlungen. Der Zollbundesrath und das Zollparlament aber hatten schon einen festen Sitz in Berlin. Jetzt sind beide in dem Bundesrathe und dem Reichstage aufgegangen.

Auch der Reichstag des neunzehnten Jahrhunderts versuchte im Anfange zu wandern. Aber er sah, daß das nicht gut that. Das Werk der Paulskirche – 1848 und 1849 in Frankfurt – mißrieth, weil die Regierungen nicht mitwirkten. Das Werk der Union – 1850 in Erfurt – mißrieth, weil das Volk nicht mitwirkte. Das Werk von Berlin, 1867 bis 1871, gerieth, weil die Regierungen und das Volk Hand in Hand gingen bei dem Klange der siegreichen deutschen Waffen. Das Parlament ist von Frankfurt und Erfurt nach Berlin gegangen, und da wird es bleiben.

Wenn der Meistersinger des alten Reichstagssitzes Nürnberg das Alles erlebt hätte, so würde er ein Lobgedicht auf Berlin, den neuen Reichstagssitz, gemacht und es geschlossen haben mit den Reimen:

„Daß Nutz und Frommen draus erwachs,
Das wünscht aus Nürenberg Hans Sachs.“




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_396.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2021)