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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

der Aufstand der Streltzy war, welche der Czarewna Sophie den Thron antrugen. Nach Peter’s schleuniger Rückkehr aber wurde ein fürchterliches Strafgericht gehalten. Vor den Fenstern der Zelle seiner Schwester ließ er dreihundert Streltzy aufknüpfen. Diejenigen, welche die Czarewna schriftlich um Annahme der Krone gebeten hatten, erhielten den Ehrenplatz unmittelbar vor dem Fenster, und Papierrollen wurden ihnen in die Hand gesteckt. Ihrem Führer aber, dem Fürsten Chowanskij, wurde die rechte Hand im Fenster von Sophiens Zelle festgenagelt. Später ließ Peter an jener Stelle, wo diese Executionen stattfanden, den hohen Glockenthurm bauen, dessen Uhr sogar die Minuten schlägt.

Im denkwürdigen Jahre 1812 besuchte Napoleon dieses Kloster. Beim Abzuge der Franzosen sollte es in die Luft gesprengt werden; die muthigen Nonnen aber wußten diese Katastrophe zu verhüten.

Das Hauptthor, welches in den Klosterhof führt, hat einen etagenförmig aufgebauten Thurm; dicht dahinter ragt die Hauptkirche mit ihren fünf Kuppeln, hier und da kleine Thürme von Nebenkirchen oder Capellen, links der große Glockenthurm hervor. Gleich beim Eingange, um die Hauptkirche herum, bei den Capellen und an der Mauer entlang, befindet sich der schöne Kirchhof mit hervorragenden Grabdenkmälern. In der Hauptkirche selbst befinden sich die Gräber der Czarewna Anna Iwanowna, Tochter des Czaren Iwan Wassiljewitsch, gestorben 1550; ferner der obenerwähnten Schwester Peter’s des Großen Sophie Alexejewna, gestorben 1704 im Rufe großer Frömmigkeit, und der beiden andern Schwestern desselben, Eudoxia, gestorben 1712, und Katharina, gestorben 1718. Auch die Czarin Eudoxia Feodorowna, die erste Gemahlin des großen Peter, welche 1696 in Ssusdal den Schleier nehmen mußte und 1727 in das Nowo-Dewitschij-Kloster gebracht wurde, starb hier. In der Hauptkirche ist sonst nicht viel Bemerkenswerthes zu sehen. Das Haus, in welchem früher Sophie Alexejewna gewohnt hatte, ist jetzt die Wohnung der Aebtissin. Der hohe Glockenthurm gewährt eine schöne Aussicht auf die Stadt, vorzugsweise aber auf die Sperlingsberge.

Unser Bild zeigt eine der Processionen, an denen der Gottesdienst des griechisch-katholischen Cultus so reich ist. Zu den Hauptprocessionstagen gehören der Eliastag (20. Juli) und der Alexander-Newskij-Tag (30. August). Die Pracht der großen Kirchenfahnen, von denen einzelne so schwer sind, daß sie von drei Männern getragen werden müssen, ferner die mit Gold und Edelsteinen reichgeschmückten Heiligenbilder und die Prachtgewänder der Geistlichkeit machen diese Processionen zu imposanten Aufzügen, die immer eine große, andächtige Menge anziehen. Liegt es doch in den Traditionen der orientalisch-christlichen Kirche, hauptsächlich auf die äußeren Sinne ihrer Anhänger einzuwirken. W. H.     



Herzens-Angelegenheiten.0 Nach dem Oelgemälde von Paul Höcker.
Photographie im Verlage von F. Hanfstängl in München.


„Schelm von Bergen.“ Die Sitte fürstlicher Häuser, den Taufnamen ihrer Sprossen häufig Benennungen hinzuzufügen, die, längst veraltet, an die Vorzeit mit ihren ritterlichen Erinnerungen mahnen, pflegt in den meisten Fällen die verschiedensten Deutungen über den Ursprung derselben zu veranlassen. Bei vielen freilich muß die Sage historische Quellen ersetzen, während bei andern Tauf- oder Geschlechtsbeinamen die Forschung in nüchterner Weise den Schleier der Romantik gelüftet hat, welchen Ueberlieferung darum gewoben. Einen der bekanntesten Fälle dieser Art weist das im Jahre 1799 mit dem letzten ledigen Mannessprossen erloschene Geschlecht der „Schelm von Bergen“ auf. Es galt lange als feststehende Thatsache, daß bei einem Mummenschanz, den Friedrich II. im Kaiserpalast zu Frankfurt veranstaltet, der Scharfrichter (auch Schelm genannt) des nahen Flecken Bergen, sich in die Säle gestohlen, mit der Kaiserin getanzt habe. Als er entlarvt wurde, soll man ihn, um die hohe Frau vom Schimpfe zu reinigen, ehrlich und adlig zugleich gemacht haben.

Weit berechtigter aber ist die Annahme, daß der sonderbare Beiname irgend einem höfischen Dienstverhältnisse entstammte, auch die im Mittelalter für einen Landpfleger (Voigt) gebräuchliche Bezeichnung „Faut“ würde heute wohl ohne genauere Kenntniß des Ursprungs anders gedeutet. Einen Beinamen, der vielleicht allein das Richtige bezeichnet, führte der im Jahre 1310 lebende Gilbrecht Schelm von Bergen: „dictus pesti“ (nach der „Pest“ genannt). Diese Geißel früherar Perioden ward im Volksmund auch häufig „Schelm“ genannt. Daß sich übrigens auch in der Familie Derer zu Bommersheim laut Urkunde A. d. 1308 ein „Theodoricus Schelmer de Bommersheim“ vorfindet, macht den romantischen Austrag eines Tanzes des Scharfrichters und der Kaiserin zu noch sagenhafterer Deutung. H. H.     


Herzens-Angelegenheiten. Recht sauber und blank sieht es aus in der Rüstkammer der Schönen, die freilich augenblicklich an etwas ganz Anderes denkt, als an Herd und Mahl. Ungestört spielen selbst die jungen Nachkommen der treuen Hausgenossin Diana zwischen Kohl und Wurzeln, was die Schöne entrüstet gewiß längst nicht geduldet hätte, wenn sie nicht so völlig von einer Angelegenheit in Anspruch genommen gewesen wäre, die da sicher auch ungleich wichtiger war und die sie die Umgebung für eine Weile ganz vergessen ließ. Was es aber ist, das sie so eifrig hinnimmt? Genau wissen wir es nicht; aber wenn der Künstler versichert, es seien Herzens-Angelegenheiten der Schönen: – sollte das etwa nicht ganz glaubwürdig sein?


Kleiner Briefkasten.

„H. Z. 33.“ Da ist schwer zu rathen. Wenden Sie sich in eine größere Stadt, so müssen Sie überall von unten auf dienen, da helfen auch keine Vermittelungsbureaux. Bleiben Sie, wo Sie sind. Wenn Sie auch den Zinsenertrag Ihres Vermögens an Ihre Kinder wenden müssen, was schadet es? Sie können das Geld ja gar nicht besser anlegen, als Ihren Kindern eine möglichst gute Erziehung und Bildung angedeihen zu lassen.

K. in G. G. Hessen. Wenden Sie sich an die Direction des Lehrerseminars und Gouvernanten-Institutes in Droißig, Provinz Sachsen.

„Zwei fürstliche Bücher“. Wir bitten um Angabe der Adresse.


[Inhaltsverzeichnis dieses Heftes, hier nicht übernommen.]


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_388.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2024)