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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

daß die Blicke der gebildeten Welt abermals auf die durch ihre Traditionen geweihte Bühne Weimars gerichtet sind.

Die beiden hier flüchtig skizzirten Bühnenleiter bringen uns Eines lebhaft zum Bewußtsein: Soll das Theater wirklich das Reich des schönen Scheines, soll es im Geiste Schiller’s eine der Kunst geweihte Stätte sein, von welcher die Schauenden zu höheren Empfindungen entflammt und begeistert werden, so muß es ein kunstsinniger Monarch oder ein städtisches Gemeinwesen gegen Privatspeculationen sicher stellen und zwar dadurch, daß die Oberleitung Persönlichkeiten übertragen wird, welche durch ihre Fähigkeiten und ihre ganze Geschmacksrichtung dazu berufen, durch den Umfang ihrer Rechte aber zugleich in den Stand gesetzt sind, dem Theater eine bestimmte künstlerische Signatur zu verleihen. Wenn Schiller den Künstlern zuruft:

„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!“

so haben vor Allem die Bühnenlenker, denen die Künstler unterstellt sind, dieser beherzigenswerthen Mahnung eingedenk zu sein. M.     




Salvatore.

Napoletanisches Sittenbild.0 Von Ernst Eckstein.
(Fortsetzung.)

Salvatore mußte den Rock, den er bis dahin getragen, mit einem kurzen, enganschließenden Wamms vertauschen. Dann rückte man die Holzbank in die Mitte der Zelle. Nachdem der Apulier sich rittlings darauf gesetzt, packte ihm der jüngere der beiden Knechte das dichte Gelock und zog es straff an, während der ältere es mit haarscharfer Scheere dicht am Kopf abschnitt.

Bei der ersten Berührung des kalten Stahls war Salvatore zusammengezuckt.

„Gemach!“ rief der Knecht auflachend. „Sträubt Ihr Euch, dann geht mit den Haaren auch die Schwarte zum Teufel. Das hat zwar nicht viel mehr zu sagen für die anderthalb Stunden, – aber es thut nicht gut, so bei lebendigem Leibe skalpirt zu werden.“

Salvatore biß die Zähne zusammen. Die langen Wochen im Verließe von Pizzo Falcone hatte er hingenommen wie eine schwere, unabweisliche Arbeit: jetzt aber dieser brutale Angriff wider seine Person, diese Entwürdigung durch die Fäuste der Henkersknechte – das warf ihn beinahe zu Boden. Nicht viel hätte gefehlt, und er wäre schwankend geworden, ob er nicht jetzt noch im letzten Moment die Maske abwerfen und – „neuer Geständnisse halber“ – die Vorführung beim Präsidenten des Tribunals verlangen sollte.

Nachdem sein schönes dunkles Gelock unter der Scheere des Knechtes gefallen war, trennte man ihm den zollbreiten Bund vom Hemde los, damit der Hals auch nach unten vollständig freiliege. Die flachen Bastschuhe mußte er mit Lederstiefeln vertauschen. Auf die rechte Schulter heftete man ihm ein schwarzes Kreuz aus gestepptem Wolltuche, – das Zeichen, daß er dem Tode verfallen sei.

Hiermit waren die Zurüstungen vollendet.

„Eine halbe Stunde noch haben wir Zeit,“ sagte der Knecht, der bis dahin das Wort geführt hatte. „Verlangt Ihr etwas zu essen oder zu trinken, so könnt Ihr’s haben. Ich weiß wohl, ein armer Teufel in Eurer Lage verspürt keinen übermäßigen Appetit: aber wenn ich Euch rathen soll, so genießt wenigstens etwas Wein, damit Ihr nicht schwach werdet. Ein Kerl wie Ihr darf nicht sterbeu, wie eine alte Giftmischerin, mit Zittern und Winseln!“

Salvatore verspürte in der That das Bedürfniß nach einer Stärkung. Der Knecht pochte wider die Thür; gleich darauf brachte der Schließer einen Korb mit Lebensmitteln und eine offene Foglietta. Das Gewohnheitsgemäße, das aus dieser Promptheit zu sprechen schien – denn der Kerkermeister hatte eine Bestellung gar nicht erst eingeholt – übte auf Salvatore abermals eine bedrückende Wirkung. Er kam sich vor, als sei er nur noch das Rad einer Maschinerie, die mit scharf zu berechnender Genauigkeit arbeite. Was ihm denn eigentlich bei der Sache so nahe ging, wußte er selbst nicht; denn ein Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Vereinbarungen mit dem vermeintlichen Cardinal war ihm, seit Emmanuele ihn im Kerker besucht hatte, nicht wieder aufgetaucht.

Gierig leerte er ein paar Gläser; dann aß er einige Bissen von dem gebratenen Fleisch, ohne sich um die halb gutmüthigen, halb cynischen Redensarten der beiden Knechte zu kümmern, die ihm allerlei Rathschläge ertheilten und Muth zusprachen und ihm versicherten, es gehe schnell wie der Blitz.

Es schlug acht. Gleich darauf begann ein schrilles, klagendes Glöcklein zu läuten. Die Knechte banden dem Verurtheilten die Hände quer übereinander und führten ihn durch den langen Corridor nach der steinernen Wendeltreppe, wo der Priester sich ihnen anschloß.

Vor dem nördlichen Thor des Castells hielt ein zweirädriger Wägen, – nach Landessitte mit schwarzen Tüchern bedeckt.

Beim Anblick dieses entsetzlichen Fuhrwerks ward Salvatore blaß wie der Tod. Nacosta mußte ihn unerhörter Weise getäuscht haben, oder Seine Eminenz hielt nicht Wort; denn es war dem Verurtheilten mit aller Bestimmtheit versichert worden, die Execution politischer Verbrecher finde neuerdings stets im inneren Hof des Castells statt, so daß auch er die Mauern von Pizzo Falcone nicht werde verlassen müssen. Jetzt aber bewies ihm das schwarzverhangne Corricolo, daß ihm die Fahrt durch die volksbelebten Gassen der Stadt bevorstehe, nach dem Richtplatz des Signore di Napoli, wo eine unabsehbare Menschenmenge ihn voll Neugier begaffen würde.

Er stutzte. Er stammelte etwas von Verrath. Er machte eine Geberde des Widerstandes. Im nächsten Moment jedoch sah er sich von den Knechten rechts und links bei den Armen gepackt und auf den Vordersitz der Karre gedrängt, wo der Priester schon Platz genommen. Fast betäubt, wie er war, fügte er sich schweigend ins Unvermeidliche.

Von berittenen Sicherheitswächtern begleitet, setzte das Fuhrwerk sich in Bewegung. Ueberall wich das Volk mit jenem neugierigell Grausen zurück, das der Anblick eines todgeweihten Verbrechers hervorruft. Gleichzeitig machte sich ein halbunterdrücktes Murmeln gelteud, das beinahe wie Bedauern klang. Die öffentliche Meinung hatte während der letzten Wochen einen Umschwung erfahren. Alle Welt erzählte sich jetzt: Salvatore Padovanino sei von Zauberern und Dämonen verlockt worden – denn so legte sich das abergläubische Volk die Behauptungen Antonio Cesaris zurecht. Der Verurtheilte erschien daher mehr im Lichte eines unglücklichen Verhängnisses, als in dem der Schuld und der Missethat, – und da man überdies wußte, daß er von auffallender Schönheit war, so hatte sich namentlich bei den Frauen eine mitleidige Sympathie entwickelt, die allgemach bis hinauf in die höchsten Kreise ging. Salvatore, der – nach seinen Erfahrungen vom Tage des Attentats – einen Sturm der Entrüstung und des Hasses erwartet hatte, begriff diese Ruhe nicht; in seiner tiefen Erregtheit hielt er sie für jenes Uebermaß der Verachtung, das keines Wortes mehr fähig ist, und abermals befiel ihn eine trostlose Zaghaftigkeit, die ihn das ganze Gaukelspiel qualvoll bereuen ließ.

Auf dem Platze des Signore di Napoli hatte man in der Nacht zuvor das Blutgerüst aufgeschlagen. Eine Barrière, mit Polizisten und Soldaten besetzt, sperrte die eigentliche Richtstätte gegen das Publicum ab. Hier traf Salvatore, vom Corricolo steigend, den Präsideuteu des Tribunals und zwei seiner Beisitzer, den Staatsprocurator, den Secretär des Cardinals, die Spitzen der Sicherheitsbehörden und einige andere officielle Persönlichkeiten, die in ceremoniöser Haltung dem aufregenden Acte, zu dessen Erledigung sie hier versammelt waren, entgegensahen.

Jenseits des Blutgerüstes, wider den Stamm eines Flaggenbaums, lehnte, in Scharlach gekleidet, Meister Gregorio, der Henker, den das Volk „il Signor di Napoli“ nannte. Rechts von ihm, gleichfalls in Scharlach, stand sein erster Gehülfe, ein feister, stämmiger Sicilianer; links, in Scharlach und Gelb, sein zweiter –: Nacostas Mitverschworener Marsucci. Der Letztere hatte sein breites Barett tief in die Stirn gedrückt. Der Vollbart,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_382.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2021)