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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

oder an Gegenständen, Möbeln etc. haften. Ebenso zerstört die schweflige Säure, die man durch Verbrennen von Schwefelfaden oder Schwefel herstellt, die Pilze. Aber leider ist die Handhabung unbequem und, trotzdem man den Schwefel meist auf eiserne Platten legt, manchmal feuergefährlich. Zu erwähnen ist noch, daß die Verbrennung oft nur theilweise erfolgt. Nicht minder als Chlor und Schwefel vermögen die schweren orangegelben Bromdämpfe die Ansteckungsstoffe in Räumen, die vorher zum Aufenthalte eines kranken Kindes gedient hatten, zu vernichten, wenn man sie aus höher gelegenen Partien des Zimmers in die tieferen herabsinkeu läßt. Da das Brom jedoch sehr flüssig ist und demnach sich schwer bis zum Momente des Gebrauches aufheben lassen würde, so war es eine praktische Idee des Chemikers Dr. Adolph Frank in Charlottenburg, es an Kieselguhr zu binden, jene in der Lüneburger Haide sich findende poröse Masse von muschelförmigen Diatomeen. Hieraus geformte kleine Stangen ermöglichen, durch die gleichmäßige Vertheilung des Brom, einmal ein ganz allmähliches Verdunsten, sodann aber auch eine so genaue Dosirung, daß man den nöthigen Bromkieselguhr sich entsprechend dem Cubikinhalte des zu desinficirenden Raumes (Länge X Breite X Höhe) leicht berechnen und, da für jeden Cubikmeter fünf Gramm der Masse erforderlich sind, ohne Weiteres abmessen kann. Die Anwendung dieses recht hübschen Präparates ist nun sehr leicht, da sich, sobald man die kleinen Stangen der Luft aussetzt, das Gas von selbst entwickelt. Man stellt entweder die Flasche offen in einen Teller mit Wasser und stülpt ein Glas glockenartig darüber, bis es mit seinem Rande etwas unter dem Wasserspiegel ist (Fig. 5 a.). Oder man bringt es in eine Flasche mit Zu- und Abflußansätzen (Fig. 5 b), die man mit Gummischläuchen oder Gebläsen derart verbinden kann, daß sich das Gas direct an bestimmte Stellen, die man desinficiren will, vermöge seiner eigenen Schwere hinleiten läßt. Schlüssellöcher, Fenster etc. müssen dabei fest geschlossen, Metallgegenstände, wie Schlösser, Lampen oder dergl., durch Bestreichen mit Petroleum oder Eau de Cologne geschützt, Kleider, Teppiche, Möbel, Betten, Geschirre aber den Dämpfen ausgesetzt werden. Der Geruch ist durch aufgespannte Tücher, die mit Salmiak getränkt sind, leicht wieder aus dem Raume zu tilgen.

Fig. 4.0 a. Kleiner rotirender Dampf-Zerstäuber.0 b. Großer rotirender Dampf-Zerstäuber nach Meßter.

Chlor, schweflige Säure und vor Allem Brom sind souveraine Mittel zur Tilgung von Ansteckungsstoffen bei Kinderkrankheiten, sei es in Privaträumen, oder in Schulclassen und Bewahranstalten. Wo sie über Nacht ihre Wirksamkeit ganz und voll entfaltet haben, ist alles organische Leben, speciell die Existenz der Krankheitserreger, am Morgen erloschen. Der Raum und was in ihm war, ist infectionsfrei. Selbst die sonst auch noch für die Umgebung gefährliche Leiche eines an einer ansteckenden Krankheit verstorbenen Kindes ist nicht mehr in so hohem Grade gefährlich, so erwünscht auch ihre baldige Entfernung aus den Räumen der Wohnung ist. Besonders sind die Einrichtungsgegenstände desinficirt; einiges Andere bedarf aber noch der Erwähnung.

Will man der Ansteckung und Weiterverbreitung gründlich vorbeugen, dann muß es Grundsatz sein, daß, soweit dies überhaupt möglich ist, nichts undesinficirt das Krankenzimmer verlasseu sollte.

Waschbare Kleider und Wäsche des Kindes dürfen nicht ausgeschüttelt werden, wodurch sich die trockenen staubförmgen Pilze mit der Stubenluft verbinden und weiter getragen würden, sondern sind im Krankenzimmer in ein Gefäß einzulegen, welches mit der oben erwähnten Kaliseifenlauge gefüllt ist. Dieses schon erwähnte Mittel, im wahrsten Sinne ein einfaches Hausmittel, ein wenig beachtetes „Aschenbrödel“ des Hanshaltes, ist von trefflicher und sicher desinficirender Kraft, und besonders zum Durchtränken der Wäsche und zum Abwaschen des Fußbodens in Krankenräumen, schon seiner allgemeinen Verbreitung und Billigkeit wegen geeignet. Wäre es nicht eine Art Entweihung, so könnte man auf dies schlichte Mittel die Worte änwenden:

„Warum in die Ferne schweifen?
Sieh! Das Gute liegt so nah’.“

Aber es ist ein Zug unserer Zeit, stets neue Desinfectionsmittel aufzusuchen; speciell für die Chirurgie sind noch Thymol, Bor, Jodoform u. a. in Gebrauch. – Allein für die häusliche Gesundheitspflege dürften „bis auf Weiteres“ die obigen Vorschriften zur Einschränkung eines Krankheitsherdes ausreichen. – Wir sagen „bis auf Weiteres“, denn die rastlos, wie bei dem Wettkampfe zwischen Panzerplatten und schwerem Geschütz, sich abspielenden Errungenschaften auf den Gebieten der Bacterien- und Desinfectionslehre verändern das Bild mit jedem Tage um ein Wenig. Ein Jahr kann hier manches über den Haufen werfeu – aber ein Gebot bleibt bei dem Kampfe gegen die Ansteckung unerschüttert bestehen: „Wir müssen stets und entsprechend dem jedesmaligen neuesten Standpunkt der Wissenschaft unsere Pflicht thun.“

Fig. 5.0 a und b. Vorrichtungen zur Entwickelung von Brom-Dämpfen.

Epidemieen, die Leben und Gesundheit des Kindes bedrohen, sind (welche Eltern würden dies nicht bestätigen?) schwere, ernste Prüfungen. Aber diese dürfen uns nie thatenlos, rathlos finden; wir müssen gerade zu solchen Zeiten planvoll, ruhig, aber energisch handeln. So wird die Prüfung zugleich ein Prüfstein für den Charakter jedes Einzelnen.

Niemals zeigen sich so wie bei Epidemien erhebende Beispiele von Selbstlosigkeit und Gemeinsinn; nie sieht man so deutlich, daß man durch seine Mitwirkung an Beseitigung einer allgemeinen Nothlage sich selbst und den Seinen am besten nützt. Freilich reifen auch solche Zeiten die Seelengröße, welche nöthig ist, um, nach Erschöpfung aller menschlichen Vorsicht, unvermeidliche Schicksalsschläge mit Würde zu tragen und einzusehen, daß trotz aller Umsicht und Maßnahmen die irdische Einsicht und Macht doch ihre Schranken hat. Kommen aber an solche Naturen Momente allgemeiner Gefahr, dann empfinden diese die Wahrheit der schönen Psalmenworte David’s, des königlichen Sängers: „Daß man nicht zu erschrecken brauchet vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht, und der Seuche, die im Mittag verderbet.“

Dann stehen sie, „wenn Tausende fallen zur Seite, und Zehntausende zur Rechten“, treulich und fest zusammen, Einer für Alle, Alle für Einen.




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