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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Die Ansteckungswege der Kinderkrankheiten.

Von Dr. L. Fürst (Leipzig).
3.0 Die Maßregeln gegen die Ansteckung.

Als Schutzmittel gegen Uebertragung von Krankheiten vermag vor Allem ein vernünftiges hygienisches Verhalten des Kindes nach dem Grundsatze „Principiis obsta“, „Bekämpfe die Anfänge“, schon viel zu leisten. Abhärtung und Reinlichkeit der Haut, gründliche Lüftung der Lungen, Vermeidung des so gefährlichen Staubes, Pflege des Halses als der Eingangspforte vieler Ansteckungskeime – das ist mehr werth, als ein charakterloses „Hangen und Bangen“. Statt zu fürchten, ob etwas im Halse ist (nebenbei gesagt ist diese Furcht eine Plage für den Arzt), gilt es zu schauen. Man übe sich also nach Anleitung durch den Arzt, bei Tageslicht oder mit einem Lichtstümpfchen (nicht mit einem hohen wackligen Licht auf einem Paradeleuchter, oder mit einer Petroleumlampe) Mandeln und Gaumen täglich zu besichtigen, indem man mit einem festen Speiselöffel die Zunge herabdrückt. Man gewöhne das Kind an diese Empfindung, um nach und nach seinen Widerstand und den Brechreiz zu überwinden. Das Kind lernt bald diese Manipulation ertragen, und es unterbleibt der unangenehme Kampf zwischen Arzt und Kind, wenn letzteres ungeübt ist und sich mit allen Kräften gegen das „Hineinsehen“ wehrt. Man lehre ferner jedes Kind so frühzeitig wie möglich gurgeln, erst mit kaltem Wasser, dem man später Salbeithee, Spiritus oder dessen chlorsaures Kali (einen Kaffeelöffel auf eine Champagnerflasche Wasser), wenn man will, unter Beifügung von einem Eßlöffel Salicylmundwasser, beimischen kann.

Wenn dreimal täglich (früh vor dem Frühstück, Mittags nach dem Essen, Abends vor dem Schlafengehen) durch Gurgeln einer kleinen Tasse solcher Lösung eine Reinigung des Halses und der Mundhöhle, auch ein Ausspülen der Nase mit lauem, schwach salzigem Wasser erfolgt, dann kann sich kaum etwas in den Einbuchtungen der Mandeln und den Grübchen der Schleimhäute festsetzen. Getreu der Mahnung: „Ne pestis intret, vigila“ („Sei auf der Hut, damit die Seuche keinen Eingang finde“) wird man so eine wirksame Prophylaxis, das heißt Krankheitsverhütung am besten anbahnen.

Freilich gehört hierzu, als nothwendige Ergänzung, daß man die Kinder möglichst nicht dem Verkehr mit Angesteckten oder der Ansteckung Verdächtigen aussetzt, sei es in Familien, oder auf Spazierwegen, Spielplätzen und dergleichen. Vor Allem isolire man ein erkranktes Kind rechtzeitig und vollständig; diese Absperrung erweist sich wohl manchmal als überflüssig, ist aber das einzige Mittel, um bei Verdacht auf Infectionskrankheit die epidemische Weiterverbreitung zu verhindern. Ein Kind, das verdächtige Krankheitssymptome zeigt, nicht zur Schnle zu schicken oder daselbst nicht zuzulassen, ehe der Arzt den Fall als unbedenklich bezeichnet hat, sollte allgemein, schon aus Rücksicht auf die anderen Schulkinder, als Regel gelten. Was die schulpflichtigen, aber anscheinend gesunden Geschwister eines erkrankten Schulkindes betrifft, so sind diese auf einige Zeit vom Schulbesuche auszuschließen, und zwar bei Masern acht, bei Diphtherie vierzehn Tage etc., einmal, weil sie möglicher Weise auch schon angesteckt sind und die Krankheit bei ihnen nur noch nicht zum Ausbruche gekommen ist, sodann aber, weil sie Träger des Ansteckungsstoffes sein können, was, trotz erhobener Zweifel, doch als möglich anzusehen ist. Wir verkennen die Störung nicht, die solche Lücken auf den Schulbesuch und die Disciplin üben, ader besser diese leiden, als daß Todesfälle die Reihen lichten.

Aus letzterem Grunde sollte man auch die Genesenen nur nach vollständiger Wiederherstellung und nach wiederholtem Baden auf’s Neue zur Schule lassen, völlig frei von etwaigen in ihren Hautschuppen, Kleidern etc. haftenden Krankheitsstoffen. So sehr übermäßige Aengstlichkeit schadet, so nachtheilig sind nachlässige Befolgung, heimliches Umgehen derartiger Vorschriften. Eine energische ärztliche Beaufsichtigung der Schulen und Bewahranstalten, besonders aber der Spielschulen und Kindergärten ist unter allen Umständen dringend zu wünschen.

„Sie müssen desinficiren!“ – Dieses Verlangen, gegenwärtig wohl allgemein nicht nur als modernes Schlagwort, sondern als wissenschaftlich berechtigte Forderung anerkannt, regt bei jeder Mutter die Gegenfrage an: „Was kann und soll die Desinfection erreichen? Womit und wie soll ich desinficiren?“

Versuchen wir diese Fragen in Kürze zu beantworten.

Da wir wissen, daß die Ansteckungsstoffe wahrscheinlich Spaltpilze sind, die sich rasch ins Unglaubliche vermehren und an Allem haften, so ist es geboten diese Krankheitskeime rasch zu zerstören oder doch unschädlich zu machen, und dies ist die Aufgabe der „Desinfection“. Schon das fleißige Lüften ist eine Art Desinfection; denn es verhütet ein dichtes Ansammeln jener kleinsten Pilze in der Luft des Zimmers, im wohlthuenden Gegensatz zu früher, wo man die Krankenräume ängstlich gegen die Luft absperrte. Im richtigen, guten Krankenzimmer darf heutzutage keine übelriechende, verdorbene Luft sein, das ist die Grundbedingung aller Desinfection.

Fig. 1.0 Die Platin-Glühlampe.

Damit ist aber noch keineswegs der Zweck, die Aufgabe derselben völlig erfüllt. Ebenso wenig kann das sogenannte „Räuchern“ die Desinfection ersetzen, sei es, daß man darunter das Entwickeln starker, alles übertäubender Gerüche versteht, vom Essig bis zum Räucherpulver, oder die Entwickelung von Ozon. Den wunderbar erfrischenden und belebenden Duft der Nadelholzwälder möchten wir gern in das Zimmer hereintrageu. Instinctiv fühlen wir das Reine, Gesunde dieser Waldluft. Das Verdunsten ätherischer Oele, wie Eukalyptus-, Lavendel- oder Terpentinöl, bringt schon beim Sprengen oder Zerstäuben jene angenehme Atmosphäre im Zimmer hervor. Ein Präparat „Coniferen-Geist“ ist eigens für diesen Zweck zusammengesetzt. Neuerdings ist es das Ozogen, wahrscheinlich ein leicht darzustellendes Gemisch von Alkohol, Essigäther, Lavendelöl und Laatschenöl, welches auf der in jüngster Zeit aufs Neue bekannt gewordenen Davy-Döbereiner’schen Platin-Glühlampe (Fig. 1) eine langsame Oxydation und stundenlange Ozonbildung veranlaßt. Diese Lampe ist zwar, streng genommen, nur ein Toilettengegenstand, aber dennoch kann man sich überzeugen, daß in bewohnten Räumen, speciell in Krankenzimmern die einmal angezündete, dann nach dem Verlöschen fortglühende Lampe eine Desodorirung von durchaus wohlthuendem Charakter vornimmt. Uebler Geruch wird nicht nur verdeckt, sondern die Luft auch durch vermehrte Sauerstoffentwickelung merklich verbessert.

Damit ist nun freilich auch die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht und schon gesagt, daß Krankheitskeime dadurch noch keineswegs zerstört werden. Man erreicht allenfalls eine Luftverbesserung, aber keine wirkliche Desinfection.

Wenn wirklich ernste Krankheiten infectiösen Charakters drohen oder schon vorhanden sind, muß man es sich stets gegenwärtig halten, daß alsdann nur ein durchgreifendes, pilztödtendes Verfahren am Platze, jede halbe Maßregel aber in ihrer Wirkung unbefriedigend, nutzlos ist. Ja, noch mehr – gefährlich ist jede

dilettantenhafte Spielerei; sie täuscht uns einen vermeintlichen Schutz gegen Ansteckung vor, wiegt uns in Ruhe und Sicherheit, ohne jede Bürgschaft dafür. Ist schon im täglichen Leben „Nichts halb zu thun edler Geister Art“, so bewährt sich dies Wort Wieland’s ganz besonders in der Frage der Krankheitsverhütung. Energisch, gründlich, ja fast rücksichtslos – das ist hier, wo es sich um Gesundheit und Leben handelt, das einzig Richtige. Wer freilich für Möbel, Kleider, Wäsche mehr zittert, als für das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_378.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)