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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

besten Freunde Dernaus, Trauzeuge bei meiner Lore zu sein! Wundervoll gruselig für einen siebenzehnjährigen Kopf, in welchem alle Vehmgerichtsgeschichten, deren ich als echtes Kind der rothen Erde viele gehört und gelesen, lebendig wurden!

Es war eine weiche, dunkle Frühlingsnacht; der Himmel theilweise mit dunklen Wolken überzogen, aus denen ferne Blitze das Herannahen des ernsten Gewitters verkündeten.

Das schwache Licht zweier Kerzen auf dem Altare schien die in der kleinen Capelle herrschende Finsterniß noch zu erhöhen. Ein plötzlich sich erhebender Wind ließ die Flammen ängstlich hin und her schwanken und schlug die Zweige der mächtigen Linden draußen gegen die Kirchenfenster. Es war schaurig!

Der alte würdige Pfarrer, der die Mutter schon getraut und Lorchen getauft hatte, hielt eine kurze, aber um so ergreifendere Rede, die uns Alle auf’s Tiefste rührte. Nach der Trauung half ich schluchzend dem Lorchen den Myrthenkranz aus dem Haar lösen und mit einer mächtigen Haube – Fladus’ genannt –, wie die Bauernfrauen, deren Costüm sie auch als Verkleidung gewählt, sie in unserer Gegend trugen, vertauschen. Die Mutter war sprachlos vor Schmerz und wie betäubt durch den plötzlichen Verlust der geliebten Tochter. Karl Dernau hatte inzwischen ebenfalls die Tracht eines Bauern angelegt, leitete einen armseligen, einspännigen Bauernwagen vor. die Thür der Capelle und hob nach einem herzzerreißenden Abschiede von uns Allen das bitterlich weinende Lorchen unter das schützende Zeltdach. Grell beleuchtete der Blitz die traurige Scene, in der Ferne grollte dumpf der Donner, die Nacht war rabenschwarz geworden, und unter ihrem Schutze entkamen die Beiden glücklich über die nahegelegene Grenze, wo die Franzosen damals noch keine Geltung hatten. Lorchen galt als kranke Bäuerin, die zu einem berühmten Wunderdoctor und ‚Krankheitsbesprecher‘ gebracht werden sollte. Karl Dernau sah, als er das Rößlein des kleinen überdachten Bauernwagens, auf dem sie ihre seltsame Hochzeitsreise antraten, zu schnellem Trabe antrieb, so kühn und zuversichtlich aus, daß uns Zurückbleibenden die Ueberzeugung kam, die kleine Bachstelze sei bei ihm in einem sicheren Neste geborgen.

*  *  *

„Zwei Jahre vergingen. Ich hatte mich indessen auch verheirathet, regelrecht, am lichten Tage mit Brautjungfern und Hochzeitsessen, und ohne all die ein bischen spukhafte Romantik, welche Lorchen’s Trauung ausgezeichnet. Allein, wer weiß, eben diese damals gemeinsam erlebte Romantik hatte vielleicht dennoch auch mit meiner Hochzeit zu thun, war am Ende gar die Veranlassung zu derselben gewesen. Ob sie zuerst den Keim der Liebe in unsere Herzen gepflanzt, ob diese schon längst darin war und plötzlich unter dem Banne jenes seltsamen Ereignisses um Mitternacht in der kleinen halbdunklen Kirche ihren Wunderkelch entfaltete, ist schwer zu sagen. So viel nur ist gewiß, als Fritz Berger und ich das nächste Mal vor dem Altare zusammenstanden, da war es nicht, um Andern als Trauzeugen zu dienen, sondern um selbst mit einander einen glücklichen Ehebund zu schließen.

Die Stadt bekam eine neue, weniger franzosenfreundliche Obrigkeit, und das flüchtige Paar kehrte in die Heimath zurück. Karl erwarb, als sein alter Vater gestorben war, Lorchen’s elterliches Haus, die Mutter zog zu ihnen und sie lebten sehr glücklich.

Das war eine Freude, als wir uns wiedersahen! Gleich in der ersten ruhigen Stunde erzählte mir Lorchen die Geschichte ihrer Verlobung, denn die konnte ich ja noch immer nicht recht begreifen.

‚Schau, Christel,‘ erzählte sie, ‚Du kanntest mich genau und wußtest all’ meine Geheimnisse; aber daß ich dem Karl schon so lange gut war, das wußtest Du nicht! Ich schämte mich, Dir’s zu gestehen, und mir selbst. Als er aber an jenem schrecklichen Tage vor dem Kellerfenster erschien, im Augenblicke der höchsten Gefahr, das Fenster, welches ich in meiner Betäubung nicht zu öffnen wagte, einstieß, mich auf seine Arme hob und, ehe ich noch recht zur Besinnung kam, in den Keller seines Hauses gebracht hatte, da wußte ich, daß mein Herz ihm gehörte, und ich brach in ein heftiges Weinen aus. Er aber setzte sich zu mir und faßte still meine Hand. Endlich konnte ich sprechen und bat ihn herzlich um Verzeihung wegen meines seitherigen spöttischen Benehmens und dankte ihm. Was weiter folgte, kannst Du Dir denken! Romantisch war unsere Verlobung nicht, Christel! Wir saßen auf einer alten Zuckerkiste, mein Kleid war bestäubt und zerrissen, dumpfe Kellerluft wehte uns an. Doch was kümmerte es uns? Um uns blühten die Rosen, wir waren in einem Paradiese des Glücks. Und was das Romantische anbelangt, so leisteten wir ja am selben Tage noch so Erstaunliches darin, daß es für ein ganzes Menschenleben ausreichend war.‘

So beichtete mir Lorchen und wir dankten beide Gott, der uns glücklich gemacht durch die Liebe und uns wieder zusammengeführt. Dieses Glücksgefühl ließ uns die Sorgen unseres täglichen Lebens leichter tragen; denn wir lebten noch immer in Noth und Bedrückung und am politischen Himmel hingen schwarz und düster die Wolkenmassen. Die Tauffestlichkeiten unserer Kinder wurden daher aller Sitte zuwider in der Stille gefeiert, und trotz unseres Glückes fiel manche Thräne auf die blonden Köpfchen der Kleinen. Tausende fühlten, litten wie wir. Aber aus dem tiefen Weh so viel edler deutscher Herzen keimte, Gott sei es gedankt, eine herrliche Saat auf und reifte still der Ernte entgegen. Es war plötzlich, als wehe ein frischer Luftzug durchs Land; woher er kam, wußte so recht Niemand, allein er war da, und wir fühlten seinen erfrischenden Athem.

Auch bemerkten die Lola und ich bald allerlei heimliches Treiben, das uns viel Verwundern und Besinnen machte. Fuhrleute,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_367.jpg&oldid=- (Version vom 3.6.2021)