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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

zu verschleiern. Jetzt nun gar in dieser wachsenden Aufregung – nimmermehr! Die erneute Begegnung hätte ihn zu erneuten Kunstgriffen genöthigt, und er hatte jetzt vollauf zu thun mit der Hauptsache.

Der Kerkermeister legte das Verhalten des Delinquenten als frevelhafte Verstocktheit aus. Mit einem halblauten Fluch auf die ‚Freiheitsfreunde‘ entfernte er sich, während die beiden Knechte Dasjenige bei dem Apulier in Angriff nahmen, was in der Amtssprache des Nachrichters die Toilette genannt wird.

(Fortsetzung folgt.)




Die Ansteckungswege der Kinderkrankheiten.

Von Dr. L. Fürst (Leipzig).
2.0 Die Verbreitung der Ansteckung.

Gar manche sorgsame Mutter hat heutzutage von den erwähnten kleinen Pilzen gehört und kennt die Gefahr ihrer Uebertragung von Kind zu Kind. Damit aber, daß sie diese Gefahr erkennt, verdoppelt sie ihre Wachsamkeit. Da mit der Ansteckung nicht auch der Ausbruch der Krankheit zusammenfällt, so wird es im einzelnen Falle oft recht schwer, die Verschleppung nachzuweisen. Der Zeitraum, in welchem bereits das Krankheitsgift im Körper eines Kindes verborgen ist und sich still, ohne merkliche Krankheitszeichen, erst festsetzt und weiter entwickelt, ist bei den einzelnen Krankheiten verschieden, aber man hat doch für ihn bei jeder Krankheit mittlere Zahlen herausgefunden. Bei der Bräune ist das Stadium kaum vierundzwanzig Stunden lang; bei Scharlach und Diphtherie dauert es durchschnittlich fünf, bei Masern und Keuchhusten zehn Tage. Pocken und Windpocken machen sich erst zwei, Typhus erst drei Wochen nach dem Eindringen der betreffenden Krankheitskeime in den Körper bemerkbar. Durch Zurückrechnen dieser Zeitmaße vom ersten Tage des merkbaren Auftretens der Krankheit ab kann man zuweilen den Tag, selbst den Weg der Ansteckung ermitteln – für die Verhütung der Ansteckung des eigenen Kindes ist es zu spät, aber nicht für die Verhütung von Weiterverbreitung durch vielleicht schon angesteckte, aber noch nicht erkrankte Geschwister.

Muß nun jedes Kind erkranken und in gleichem Maße erkranken, wenn es durch eine Einwanderung derartiger Pilzkeime heimgesucht wird? Gewiß nicht; sonst würde nicht in ein und derselben Familie ein Kind leichter und schneller, ein anderes in schwererem Grade nach einiger Verzögerung erkranken, ein drittes ganz verschont bleiben. Wir sehen, daß die Neigung des Körpers sehr verschieden ist, daß sie jedenfalls theils von der Zahl der Krankheitskeime, theils von der Energie abhängt, mit welcher sich der Körper der in ihn eingedringenen Feinde erwehrt, sie abschwächt, ihnwn den nöthigen Nährboden entzieht. Ein schwaches, zartes, wenig widerstandsfähiges, nervös und furchtsam erregtes Kind wird in diesem Kampfe den Kürzeren ziehen, ein kräftiges auch kräftig reagiren. Giebt es doch Kinder, die stets, trotz mannigfacher Gefährdung, manchmal umgeben von Kranken, frei von Ansteckung bleiben, während anderen schon der kürzeste indirecte Verkehr mit Angehörigen erkrankter Spielcameraden die Erkrankung bringt.

Eine praktisch, besonders für die Isolirung der Kranken wichtige Frage ist die, ob eine ansteckende Kinderkrankheit während ihres ganzen Verlaufs gleich leicht übertragbar ist, oder ob in gewissen Zeiten die Weiterverschleppung leichter vor sich geht, als in anderen. Man weiß in dieser Hinsicht nicht viel mehr, als daß wahrscheinlich bei den meisten ansteckenden Kinderkrankheiten die Zeit des fieberhaften Beginns, des sogenannten „Ausbruchs“ der Krankheit, auch die der größten Ansteckungsfähigkeit ist. Das schließt aber nicht aus, daß z. B. bei Masern schon vor dem Ausbruche der Schnupfen ansteckt, daß bei Scharlach schon vor dem Auftreten des Ausschlags eine Uebertragung vorkommt, daß andererseits aber der im Beginne erzeugte Ansteckungsstoff in den inficirten Hautschuppen sich eine bis drei Wochen wirksam erhält.

Dies bringt uns auf das mehr oder weniger lange „Haften“ des Ansteckungsstoffes. Bei manchen Krankheiten, wie Masern, ist er sehr flüchtig, leicht vergänglich und schwindend, nicht so leicht übertragbar. Bei anderen, wie Scharlach und Flecktyphus, haftet er mit großer Zähigkeit, erhält sich hartnäckig wirksam und überträgt sich nach langer Zeit auf Gesunde. Keine Kinderkrankheit gleich[t] darin der andern.

Um einem so gefährlichen Gaste, wie einer Infectionskrankheit, die Eingangspforten in den kindlichen Körper zu verschließen, muß man dieselben kennen und sich die Frage vorlegen: Auf welchem Wege gelangen jene entsetzlichen kleinen Feinde in den Organismus, dem sie nur zu leicht mit ihrer verheerenden Wirkung den Untergang bereiten? Mit größter Wahrscheinlichkeit sind es in den meisten Fällen die Athmungswerkzeuge, also Mund, Nase, Hals, Kehlkopf, Luftröhre und Lunge. In ihrer feuchten, vielfach gebuchteten Schleimhaut setzen sich bei jedem Athemzuge nicht nur zahllose unschuldige Stäubchen aus der umgebenden Luft fest, sondern auch die schädlichen Pilze. Von der Oberfläche oder den vorhandenen Grübchen aus dringen sie durch die feinsten Spalten in die Lymph- und Blutgefäße, um rasch den Gesammtkörper zu durchsetzen. Gar mancher Arzt ist auf diesem Wege von einem kranken Kinde direct angesteckt worden und als Märtyrer seines Berufes gestorben.

Viel seltener mag, im Gegensatze hierzu, die Haut, etwa durch directe Berührung oder Impfung (wie bei Pocken) dem Krankheitserreger Eintritt gestatten. Ein Kuß hat gewiß schon viel häufiger den Tod gebracht, als ein Händedruck. Oft genügt ein flüchtiges Verweilen am Krankenbett zur Ansteckung. Aber auch fernhin wirkt die Ansteckung, von einem Kinde zu einem andern, ohne daß beide direct mit einander in Berührung gekommen. Mittelspersonen, sogenannte Zwischenträger, haben sie, ohne es zu ahnen und ohne selbst zu erkranken, mitgeschleppt. Kein Wunder, wenn man erwägt, daß von der mit Pilzkeimen erfüllten Kranken-Atmosphäre ein Theil in Haaren, Bart und Kleidungsstücken mit fortgetragen wird und daß ein winziges Partikelchen von Auswurf, von Schleim, von Hautschuppen, das Hunderte von Mikrokokken oder Bacillen enthalten kann, unbemerkt mit wandert, um in einem andern Hause den Ausgangspunkt einer neuen Ansteckung zu bilden.

Diese Thatsache muß auch den Trägsten, den Sorglosesten zu viel größerer Vorsicht mahnen, als sie gewöhnlich üblich ist. Schon als Kinder haben wir aus der Fabel gelernt, daß man das Kleine nicht gering schätzen soll, und Goethe hat es uns in der Legende wiederholt mit den Worten:

„Wer geringe Dinge wenig acht’t,
Sich um geringere Mühe macht.“

Suchen wir also, selbst wenn die heimlichen Feinde unserer Kinder für unser Auge unsichtbar sind, den Schleichpfaden, auf denen sich die Krankheitskeime und Ansteckungsstoffe weiter verbreiten, nachzuspüren!

Heutzutage ist es nicht mehr zu verantworten, wen man irgend welche Ausscheidungen und Absonderungen eines scharlachkranken Kindes unbeachtet und undesinficirt läßt, wenn man den Löffel, womit ihm in den Mund gesehen worden war, und der mit Krankheitsproducten bedeckt ist, auf das Bett, auf den Tisch legt, an dem Handtuch oder an einer Schürze abwischt, anstatt sofort in fünfprocentige Carbollösung zu legen und dann sogleich zu reinigen. Es ist nicht zu dulden, daß der Auswurf des an Keuchhusten leidenden Kindes unbeachtet auf dem Fußboden bleibt, daß die Hautschuppen in dem Abtheilungsstadium der Masern mit der Krankenwäsche weiter getragen, Flüssigkeiten aller Art undesinficirt in die Ausgüsse und Kloaken geschüttet werden.

Wer die peinliche Sorgfalt berücksichtigt, mit der wir vor einer größeren Operation unsern Körper, unsere Kleider, das Zimmer, die Instrumente desinficiren, um die Wunde frei von Ansteckungsstoffen zu halten, der kann nur schaudern über die noch herrschende Unkenntniß und Nachlässigkeit in der Desinfection alles dessen, was von dem kranken Kinde herrührt oder mit ihm in Berührung war. Man kann es nicht genug beklagen, daß das Verständniß für die Unschädlichmachung der Ansteckungsstoffe, die Rücksicht auf das Wohl der anderen Hausbewohner und der Nachbarn, oft sehr gering sind, während um das Leben der eigenen Kinder alle Welt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_363.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2022)