Seite:Die Gartenlaube (1884) 362.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


„Komm!“ raunte Nacosta zähneklappernd. „Man überrascht uns hier noch! Es ist gut, Marsucci! Geht, geht – ich beschwöre Euch!“

Er zog Crispina hinweg.

„Der kriegt vor Freuden das Zipperlein,“ lachte Marsucci. Dann machte er Kehrt.

Emmanuele sprach keine Silbe. Zu Hause angelangt, warf er sich, noch im Ueberrocke, auf’s Bett, und preßte sein Gesicht wider den Arm. Seine Brust schien zu krampfen. Es packte und schüttelte ihn wie ein Fieberanfall.

Staunend hatte Crispina sein Gebahren beobachtet. Eine Weile stand sie mit übergeschlagenen Armen da, als sei sie unschlüssig, ob sie ihm zureden solle. Dann plötzlich trat sie an ihre Kommode, öffnete, nahm vorsichtig Etwas heraus und schloß wieder ab.

In diesem Augenblicke sprang Emmanuele empor.

„Morgen! Morgen!“ schrie er mit geller Stimme. „O, ich wußt’ es im Voraus, es würde mich niederwerfen! Du, Du allein bist schuldig an dieser Erbärmlichkeit! Du und Marsucci!“

„Sprich nicht so laut!“ versetzte Crispina frostig. „Du lügst, Emmanuele! Die ganze Idee ging von Dir aus, nicht von mir, – und den Marsucci hast Du erst später geworben, wie der Apulier Dir Miene machte, aus dem Netze zu schlüpfen. Du, Du bist der Urheber: also laß Dein Gewinsel! Ueberhaupt, was bezweckst Du damit? Du geberdest Dich wie ein schlotterndes Weib, nicht wie ein Mann, der Courage hat und Mark in den Knochen!“

„Crispina,“ versetzte er tonlos, „pack’ zusammen, was Dir von Werth scheint – noch jetzt, noch in dieser Minute! Wir müssen fort! Ich erfuhr heute auf Santa Lucia, daß morgen in aller Frühe ein Schiff nach Malta geht. Dort sind wir in Sicherheit. Für Pässe habe ich längst schon gesorgt. Eh’ wir an Bord steigen, schicke ich einen Beamten des Viertels zum Cardinal und enthülle ihm, was er zu wissen braucht. Kannst Du denn ruhig mitansehn, wie dieses Scheusal, dieser Marsucci, einen Menschen auf’s Brett schnallt, der unschuldig ist wie ein Kind? Ich, Crispina, ich ertrage es nicht! Also vorwärts! Was zögerst Du noch? Pack’ ein, sag’ ich! Hörst Du? Ich unterdessen schreibe den Brief!“

„Elender Feigling!“ raunte die junge Frau, hochroth vor Zorn und Erbitterung. „Einmal hast Du mich zur Närrin gemacht – aber ich schwöre Dir’s: nicht zum zweiten Mal! Hältst Du Dein Wort nicht aus freien Stücken – wohl: so zwinge ich Dich!“

„Du ?“

„Ja, ich! Eh’ ich Dich abreisen lasse, geh’ ich selber zum Polizei-General und zeige Dich an! Mag dann werden, was will! Ich bin’s müde, ewig wie eine Heimathlose von Ort zu Ort zu wandern und nirgends Ruhe zu finden, nur weil mein Gatte ein verächtlicher Tropf ist!“

„Gut!“ stöhnte Emmanuele außer sich. „Geh’, – geh’, Crispina – oder besser: ich gehe selbst!“

So sprechend wollte er nach der Thür.

Crispina vertrat ihm den Weg. In ihrer Rechten blitzte ein Terzerol.

„Wag’ es, Du Memme!“ flüsterte sie mit dämonischem Augenrollen. „Ich zerschmettere Dir das Gehirn, wenn Du nicht augenblicklich einen Eid auf das Kreuz schwörst, daß Du schweigen willst und Dich ruhig verhalten!“

Emmanuele war beim Anblick der gespannten Waffe zurückgeschreckt. Jetzt lachte er höhnisch auf.

„Schieß’ nur zu, Du zwiefache Mörderin!“ ächzte er, einen Schritt vorwärts machend. „Was liegt mir wohl am Leben? Ich erkenn’ es nun, wie verblendet ich war, als ich dem Marseiller das zärtliche Liebchen abjagte! Ohne Dich – wie stünde es anders um mich! Du allein hast mich in den Bagno gebracht mit Deinem verwünschten Hang zum Genuß, mit Deiner blöden Verschwendung und Deiner schmeichlerischen Verlogenheit. Schieß’ doch zu, schöne Crispina! Der Marseiller bleibt Dir ja immer noch – oder ein Andrer!“

Durch den Lärm dieser Scene geweckt, hatte das Kind in seinem Bettchen sich aufgerichtet. Mit großen, ängstlich blickenden Augen starrte es um sich, – bald auf den Vater, bald auf die Mutter, deren wilde Geberde es nicht verstand.

Plötzlich, wie vom Taumel des Wahnsinns erfaßt, richtete Crispina den Lauf ihres Terzerols nach der Stirne der Kleinen.

„Ich drücke los, wenn Du Dich rührst, Du Verräther!“ raunte sie ihrem Gatten zu. Der Ausdruck ihrer verzerrten Züge war fürchterlich. „An Deinem eignen Leben mag Dir wenig gelegen sein, – denn der Feigling ist nicht die Kugel werth, die ihm dem Schädel zerschmettert – aber das Kind –! Hörst Du, Emmanuele? Du hast sie lieb gehabt, die kleine Laurella; sie war Dein Glück und Dein Trost zu einer Zeit, da uns Alles verloren ging! Ich tödte Laurella, und mich darnach, wenn Du noch die leiseste Miene machst, wie ein Schwächling zu handeln!“

Emmanuele sank in die Kniee.

„O Gott, o Gott!“ stammelte er todtenblaß. Er fühlte: dieses Weib war zu Allem fähig.

„Steh’ auf,“ herrschte sie ihn an, „und begieb Dich zur Ruhe! Ich will’s vergessen, was zwischen uns vorgefallen, wenn Du mir beim Leben der Kleinen schwörst, nichts zu beginnen, was ich nicht gutheiße!“

„Das Terzerol!“ stöhnte Nacosta, angstvoll die beiden Arme ausstreckend.

Crispina senkte langsam den Lauf ihrer Waffe.

„Tritt zu Laurella an’s Bett!“ befahl sie. „Leg’ ihr die Hand auf’s Köpfchen und schwöre!“

Emmanuele gehorchte. Nachdem er ihr nachgesprochen, was sie ihm vorsprach, schloß er das Kind, das jetzt laut zu weinen anfing, krampfhaft in seine Arme.

Die Uhr schlug Eins.

Kein Wort mehr wurde zwischen den beiden Ehegatten gewechselt. Während sich Emmanuele entkleidete, goß Crispina frisches Oel auf die Lampe.

„Ich will die Nacht über Licht halten,“ sagte sie halb zu sich selbst. „Mein Schlaf ist leise. Wehe ihm, wenn er versucht, mich zu täuschen!“

Das Terzerol neben sich auf den Stuhl legend, ging sie zu Bett. Unruhig warf sich Emmanuele von einer Seite zur andern. Erst gegen fünf Uhr entschlief er; Crispina jedoch schloß kein Auge.

So schien denn die letzte Möglichkeit, die das Schicksal des unglücklichen Apuliers hätte abwenden können, durch den Willen dieses leidenschaftlichen Weibes vernichtet.

Gegen halb zehn richtete sich Emmanuele wie verstört in den Kissen auf.

„So!“ rief Crispina mit triumphirendem Hohn. „Jetzt thu’, was Du willst! Ehe Du noch den Richtplatz erreichst, hat Marsucci sein Werk schon gethan!“




10.

An dem nämlichen Morgen ward Salvatore Padovanino gegen halb sieben geweckt.

Der Verurtheilte hatte, seitdem das Urtheil verkündet war, dem Tage der Execution mit den Empfindungen des Schülers entgegengesehen, der, des glücklichen Ausgangs gewiß, ein Examen durchmachen soll. – Jetzt aber, als der Gefängnißwärter mit den Schergen des Signore di Napoli die Zelle betrat, überlief’s den Apulier wie von heimlichen Schauern. Sein Stolz bäumte sich auf. Selbst vor den Schranken des Tribunals hatte er sich leichter und freier gefühlt, als im Anblick der beiden Knechte . . .

„Salvatore Padovanino,“ sagte der Aeltere – ein roher, wüster Geselle, der gleichwohl den Eindruck einer gewissen Jovialität machte, „wir kommen, Euch abzuholen. Der Geistliche, der Euch gestern besuchte, wartet einstweilen in der Wohnung des Schließers. Es steht Euch frei, ob Ihr noch einmal, eh’ wir Euch fertig machen, mit dem hochwürdigen Manne allein sein wollt. Es ist Zeit mehr als genug.“

Den Apulier fröstelte. Starr die Augensterne auf den Sprecher gerichtet, fragte er, was das heiße: „Eh’ wir Euch fertig machen“?

„Nun,“ gab ihm der Scherge zur Antwort, „Ihr könnt doch nicht so, wie Ihr da seid – Na, Ihr werdet schon sehen! Also: wollt Ihr den Priester, oder genügt’s Euch, wenn er zuletzt . . .?“

Salvatore machte eine Geberde der Ablehnung. Als gläubiger Katholik hatte er’s schon gestern kaum über’s Herz gebracht, dem Priester, der ihm die Beichte abnahm, den wahren Sachverhalt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_362.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2021)