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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

wenn das Furchtbare nun immer näher an ihn heran trat, neue Nahrung zu geben, ihm zuzuraunen, daß er ja seine Rolle bis zum letzten Augenblick durchführe und sich durch Nichts, weder durch den feierllch-furchtbaren Eindruck des Verdicts, noch durch die Hinausführung auf die Richtstätte, verblüffen und abschrecken lasse.

Der Cardinal – so hatte Nacosta seine Predigt geendet – habe ihm heilig versprochen, das Begnadigungsdecret des Königs durch seinen zuverlässigsten Schreiber nach dem Richtplatze zu schicken; man werde dann allerdings den Verurtheilten noch im Gewahrsam halten, da, wie begreiflich, der Cardinal die Maske so bald noch nicht könne fallen lassen; ehe aber der Monat vergehe, solle für eine Gelegenheit des Entkommens gesorgt werden, bis dann späterhin eine nicht allzu ferne Zukunft die Sache aufklären und Alles in Wohlgefallen verwandeln würde.

Salvatore glaubte ihm um so lieber, als Nacosta schon die Thatsache seines Besuchs als einen Beweis für den Eifer ausgab, mit welchem der Cardinal über der ganzen Angelegenheit seine leitende Hand halte. Nur durch den directen Eingriff Seiner Eminenz sei dieser Besuch überhaupt möglich gewesen.

Dieser unausgesetzte Erfolg hatte den Polizisten anfangs mit einer teuflischen Freude erfüllt. – Dann aber, mit einem Male, und ohne sichtbare Ursache, war seine Stimmung herabgesunken, und jetzt fühlte er inmitten seiner behaglichen Häuslichkeit unablässig eine verborgene Pein, dumpfer bald, und bald erregender, wilder, brennender.

„Was stöhnst Du nur wieder?“ fragte Crispina, die, ihr Töchterchen auf dem Arme, näher kam. „Man sollte glauben, es thäte Dir leid, daß wir die grauenhafte Spelunke in der Via di Balbo verlassen haben und hier endlich wieder ein Dasein führen, wie Du mir’s ausgemalt, als Du mich nach Livorno schlepptest! Weißt Du“ – fügte sie leiser hinzu – „daß es Verdacht erregt, wenn Du so albern den Kopf hängst? Man beobachtet uns. Drüben das alte, garstige Weib in der Mansarde lauert den ganzen Tag hinter den Scheiben, und wenn sie grinst, so mein’ ich, sie brächte uns Unglück. Daß sie den bösen Blick hat, sagst Du ja selbst, und Leute von dieser Art sehn durch die Wände. Sei doch vernünftig, Emmanuele!“

Er gab keine Antwort.

Die junge Frau trat in das Zimmer zurück, setzte das Kind vorsichtig auf den Fußboden und kam dann wieder zu Emmanuele heran. Sie umarmte ihn zärtlich und legte ihren üppigen Mund ganz dicht an sein Ohr.

„Siehst Du,“ flüsterte sie, „ich kann Dir nicht sagen, wie ich aufathme, seit wir die Tage des Elends hinter uns haben! Willst Du mir’s nun wieder vergällen? Die Woche noch – dann ist Alles vorüber! – Der Hausnarr, der ja unschuldig ist, geht in die Freuden des Paradieses ein . . . Wie Du ihn schilderst, hätte er so wie so auf dieser Erde kein Glück gefunden! Nun, und dann ist ja die letzte Möglichkeit einer Entdeckung zu Grabe gegangen. Marsucci verräth uns nicht, und die verliebte Person da auf Capri wird auch schon begreifen, daß sie mit ihrem nachträglichen Lamento den Todten nicht wieder lebendig macht!“

„Das schon! Aber die Rache!“ murmelte Emmanuele. „Diese Capresen sind heißblütig, wie die Leute von Corsica. Wenn sie nun plötzlich aufträte . . .“

„Um als Mitwisserin Salvatore’s in den Kerker zu wandern? Sie wird sich hüten! Zudem – was weiß sie denn? Daß ihr Verlobter mit einem gewissen Carlo Grisi eine Geschichte geplant hat, die fehlschlug! Von Emmanuele Nacosta ist niemals die Rede gewesen! Ich bitte Dich, die Sache ist doch so einfach!“

„Aber das Frauenzimmer hat doch inzwischen erfahren, daß der Mann, der den Apulier ergriffen hat, nicht Carlo Grisi, sondern Emmanuele Nacosta heißt.“

„Was schadet das? Vorläufig glaubt sie also meinetwegen, der Carlo Grisi und der Emmanuele Nacosta seien eine und dieselbe Person; schließlich aber wird sie auf die Idee kommen, der Plan mit Carlo Grisi habe Schiffbruch gelitten, und Salvatore sei von Emmanuele Nacosta ertappt worden, ehe noch Carlo Grisi wie verabredet herzuspringen konnte. Dann hält sie das Ganze für ein Unglück, an dem Nichts zu ändern ist, weint ihrem Thoren von Bräutigam ein paar Thränen nach und heirathet ein Jahr darauf einen Andern.“

„Ja, ja,“ murmelte Emmanuele . . . „Dennoch – ich komm’ nicht darüber hinaus! Hätte ich mir’s von Anfang so vorgestellt . . .! Es ist und bleibt schauerlich!“

„Nun, so geh’ doch und klage Dich an!“ sagte Crispina. „Die Welt verliert Nichts dabei, und ich für mein Theil finde den Weg durch’s Leben auch ohne Dich.“

„O ja, das hast Du bewiesen!“ rief Emmanuele emporfahrend.

Die Erinnerung an seine Haft im Bagno zu Civitavecchia, an Crispina’s Treulosigkeit und die verhaßte Gestalt des Marseillers, die dem Apulier so ähnlich sah, durchzuckte ihn wie ein Blitz, und mit erneuter Wuth schüttelte ihn die halb überwundene Eifersucht. Crispina hatte gesiegt; der letzte menschlich-milde Gedanke Emmanuele’s ging unter im Getümmel der erwachenden Leidenschaft. Dieser Gedanke war der gewesen: Emmanuele wollte sich mit der Ernte begnügen, die er bereits in’s Trockne gebracht; er wollte Neapel und den Boden Italiens verlassen, und von auswärts, wo die königlichen Behörden ihm Nichts anhaben konnten, durch eine Zuschrift an Monsignore De Fabris das ganze Lügengewebe zerreißen, um so den Apulier vom Tode zu retten. Jetzt war das Alles dahin, wie zerflatterndes Rauchgewölke. Hatte er, Emmanuele, so Schweres erduldet, so verschmähte er auch das Mitleid mit Andern! Niemals war ihm Crispina so blühend, so begehrenswerth erschienen, als jetzt – und nie glaubte er sich vollkommener berechtigt, beim Aufwärtsschreiten nach dem Ziel, das ihm vorschwebte, den Apulier – und wen immer sonst – unter die Füße zu treten.

Trotz dieser Gemüthsverfassung überrieselte es ihn eiskalt, als gegen Abend, in den dichtesten Mantel gehüllt, Marsucci über die Schwelle trat.

„Nun?“ fragte Crispina, die eben ihr Töchterchen zur Ruhe gebracht hatte und jetzt funkelnden Auges zu Marsucci emporsah.

Der Gehülfe des Scharfrichters nickte, wie ein behäbiger Kaufherr, der ein gutes Geschäft gemacht hat.

„Alles in Ordnung,“ sagte er kaltblütig.

Emmanuele war starr. Er hatte sich bis zu dieser Minute für den vorurtheilslosesten und dreistesten Egoisten unter der Sonne gehalten: jetzt aber sah er ein, daß es Menschen gab, denen die Missethat so naturgemäß ist, wie das Leben und Athmen. Das anfängliche Zögern Marsucci’s, – damals vor dem Kaffeehause der Strada del Gigante, als Nacosta ihm zuerst von dem Projecte geredet – war also offenbar nur Vorsicht und Verstellung gewesen.

Auch Crispina klatschte mit einem bestialischen Lachen in die rundlichen Hände, erst dann ihre Ausbrüche mäßigend, als ihr Blick auf das verstörte Antlitz Emmanuele’s fiel.

Nun warf sie sich zärtlich an seine Brust, streichelte, küßte ihn und verscheuchte ihm so auf’s Neue die erwachende Qualempfindung.

Während der Viertelstunde, die Marsucci bei dem Ehepaare verbrachte, hielt sich Emmanuele schweigend und zuwartend. Crispina dagegen und der Gehülfe des Nachrichters tauschten unaufhörlich geflüsterte Reden aus, – so leise und hastig, daß Emmanuele sich vorbeugen mußte, um einigermaßen folgen zu können.

„Also verurtheilt?“ fragte Crispina. „Ohne Weiteres? Keinerlei Abmilderung?“

„Verurtheilt,“ wiederholte Marsucci, „so blank und voll, wie je ein Räuber des Monte Sant’ Angelo. Einen von den Carabinieri, die ihn bei der letzten Verhandlung vorgeführt haben, kenn’ ich von Rom aus. So fragt’ ich ihn beiläufig, ob wir Arbeit bekämen, wir –: nämlich mein Chef und ich und der Andre. ‚Leider!‘ – sagte der Mensch; denn er meinte, um einen so hübschen Kerl wie den Salvatore Padovanino sei’s schade; der hätte als Carabiniere eine Figur gemacht, wie kaum er selbst; – und das wolle doch viel sagen.“

„Und wie benahm er sich bei der Sache?“

„Wer? Der Apulier? Nun, der hielt sich wie all’ die Zeit über! Was sollt’ er auch machen? Hat er A gesagt, muß er auch B sagen! Uebrigens wißt Ihr ja von Eurem Gemahl, wie fest der Bursche davon durchdrungen ist, daß Monsignore De Fabris über ihm wacht und zur rechten Zeit in das Trauerspiel eingreifen wird.“

„Unglaublich!“ meinte Crispina.

„Der Mensch ist eigentlich glücklich,“ fuhr der Gehülfe des Scharfrichlers fort. „Bis zum letzten Moment lebt er in dem

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