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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

reinen Vernunft, und der Schatten Kant’s, der dort zwar nicht mehr auf seinem Philosophendamme wandern kann, seitdem ihn der Lärm der Locomotiven verscheucht hat, der aber doch von den Ufern des Pregels sich nicht vertreiben läßt, stimmt hier die Jugend ernster. So hat auch Wichert anfangs historische Dramen gedichtet, wie der „Wiking von Samland“, ehe er der heitern Muse huldigte. Sein glücklichster Wurf auf dem Gebiete des Lustspiels war „Ein Schritt vom Wege“, ein Stück von lebhafter Introduction und heiterer, frischer Entwickelung. Es herrscht hier die „reine Vernunft“, welche romantische Launen zur Ordnung ruft und vor allen Experimenten warnt, die von der geraden Heerstraße des Lebens abführen.

In diesem Kampfe gegen die Genialitätsmarotten liegt eine feinsinnige Moral, die nicht so hausbacken ist wie diejenige der Stücke von L’Arronge, freilich auch nicht von so allgemeiner Tragweite; denn zu solchen genialen Ausschreitungen sind nur wenige Naturen geneigt. Auch „Peter Munck“ ist eine moralisirende Gedankendichtung, gegen die Herzlosigkeit der „Männer von Eisen“ gerichtet, welche ihrem äußeren Glücksstande jedes Opfer bringen. Die Sprache in „Peter Munck“ ist oft echt poetisch und gedankenreich: doch die Zauberschleier der Raimund’schen Muse flattern allzu locker und luftig über einer sehr realistisch gehaltenen Dichtung, deren Motive doch magischer und dämonischer Art sind. „Der Narr des Glücks“, dem immer gleichsam die Thür der Fortuna vor der Nase zugeschlagen wird, ist ein echter Lustspielheld; doch bringt hier ein Motiv aus dem Kreise der neufranzösischen Dramatik, des „Père prodigue“ und ähnlicher Stücke, einen fremdartigen Zug in das kleinstädtische deutsche Familiengemälde. „Ein Freund des Fürsten“ schlägt einen etwas höheren Ton an im Stile des Hackländer’schen „Geheimen Agenten“. Auch die andern Lustspiele Wichert’s zeigen das Bestreben eines verständigen und bühnengewandten Autors, das Theater zu einer Stätte sinniger Erheiterung zu machen, bei der ein gediegener Ernst mindestens im Hintergrunde lauscht. Das ist auch die Physiognomie der Lustspiele von Otto Gensichen, wie „Die Märchentante“ und „Frau Aspasia“ und diejenige der feinsinnigen Bluetten von Feodor Wehl.

Ganz anders gehn die Dichter der flotten Lustspielschwänke zu Werke, welche gegenwärtig die deutsche Bühne beherrschen; hier erscheint die komische Muse bald im Festgewande des Salonstückes, bald in den Hemdärmeln der Posse: die Handlung hat meistens einen athemlosen blitzartigen Verlauf und läßt das Publicum so wenig wie möglich zur Besinnung kommen; was die Jagd auf Witze betrifft, so wird darin bald mit grobem, bald mit feinem Schrot geschossem. Ist der Wurf der Handlung ein glücklicher und wird das Schwankartige noch mit einer gewissen Decenz behandelt, so können solche Stücke dem Ideal eines guten Lustspiels nahe genug kommen; ja wir werden aus diesem Bereiche einige verzeichnen, welche nicht nur zu den erfolgreichsten, sondern auch zu den besten Lustspielen der jüngsten Epoche gehören, während die große Mehrzahl durch die bunte Häufung burlesker Motive unter jedes literarische Niveau herabsinkt.

Einer der Führer dieser lustigen Schaar ist Julius Rosen (Nikolaus Duffek), der eine anerkennenswerthe Virtuosität in der Geschwindigkeit und Behendigkeit besitzt mit der er beliebige aus dem Leben gegriffene Stoffe auf die Bühne lancirt. Oft ist die Handlung wie aus der Pistole geschossen; sie beginnt mit einem totalen Wirrwarr, der sich erst allmählich klärt.

So ist’s in „Kanonenfutter“, „Citronen“ und vielen andern Stücken Rosen’s: die Schwankmuse feiert ihre Orgien. Den Purzelbäumen der Handlung entsprechen oft die Purzelbäume der Charaktere. Der Lustspielschwank ist ja bei der Posse in die Schule gegangen, und in der Posse verdirbt ja das Couplet die Charaktere, indem es wie eine Schellenkappe von Kopf zu Kopf wandert, mag es wohl oder übel passen. Solche gesprochene Couplets finden sich in allen Schwänken. Rosen’s Talent ist indeß keineswegs gering zu schätzen; er hat jene Schnellfertigkeit Kotzebue’s, die nie verlegen um Erfindungen ist und die Verwickelungen aus dem Aermel streut; freilich beruhen sie oft auf dem marionettenhaften Gebahren der Helden, welche sich da in Schweigen hüllen, wo jeder vernünftige, nicht an den Drähten des Lustspieldichters tanzende Mensch sprechen würde; mit einem einzigen Worte aber würde die ganze Verwickelung explodiren. Rosen hat indeß manchen glücklichen Wurf gethan, wie in dem Lustspiele „O diese Männer!“ in welchem ein Grundgedanke sich sehr glücklich in einer Menge von dramatischen Varianten ausprägt.

Ein Geistesverwandter Rosen’s ist der Socialdemokrat Leopold von Schweitzer[WS 1], welcher in seinen Mußestunden der ernsten und heitern Dramendichtung huldigte. Schweitzer hatte oft ganz gute Lustspielgedanken, mit denen er aber nicht recht hauszuhalten wußte, z. B. in „Das Vorrecht des Genies“, „Die Darwinisten“, auch in seinem besten Lustspiele „Epidemisch“, in welchem die alle Kreise ergreifende Speculationsmanie in ganz erheiternder Weise geschildert ist. Ebenso sucht 'Rudolf Kneisel irgend einen Lustspielgedanken in einer entsprechenden, bisweilen etwas schablonenhaften dramatischen Architektonik durchzuführen, wie in „Emma’s Roman“, „Das einzige Gedicht“, „Die Tochter Belial’s“ und in anderen mit richtigem Instincte gewählten und behandelten Stoffen, die aber in seiner dramaturgischen Retorte niemals recht ausgekocht werden.

Dagegen kümmert sich einer der heitersten Lieblinge Thaliens, Gustav von Moser, nicht im Entferntesten um Grundgedanken und irgend welche komische Thesen, die mit dramatischer Dialektik gelöst werden sollen; er greift frisch hinein in’s menschliche, besonders in’s soldatische Leben, faßt einen guten Cameraden, hält ihn fest und schleppt ihn auf die Bühne. Mit unverwüstlicher guter Laune, die Hände in den Hosentaschen, geht sein Humor spazieren, und was ihm in den Weg kommt, ein kleines Begebniß, eine humoristische Redewendung, das wird für ihn sogleich zum Kern, um den sich ein Lustspiel krystallisirt. Diese gute Laune in ihrer vollendeten Harmlosigkeit ist ein glänzender Vorzug der Moser’schen Lustspiele; sie sind nirgends angekränkelt von der bleichen Farbe der Reflexion; es klafft kein Riß zwischen dem, was der Dichter wollte, und dem, was er leistete: er wollte eben nur, was er leistete. Da ist nichts Absichtliches, nichts Gezwungenes. Was er giebt, ist oft wenig in Bezug auf geistige Quintessenz; aber er giebt es mit einem so gewinnenden Lächeln, einer so selbstgenügsamen Fröhlichkeit, daß man es hinnimmt ohne einen Schmerzenszug der Enttäuschung im Gesicht.

Gustav von Moser begann mit Einactern, die meistens mit Geschick dramatisch gegliedert waren und recht artige Pointen hatten; dann folgten die größeren Lustspiele, bei denen er in der Regel Mitarbeiter hatte, anonyme oder solche, die auf dem Zettel genannt wurden. So schrieb er mit Benedix das „Stiftungsfest“, mehrere Stücke zusammen mit Stanislaus Lesser, andere mit Franz von Schönthan und Otto Girndt, mit seiner Frau, mit der Schwägerin seiner Tochter, Gräfin Bethusy-Huc, mit Autoren, deren Namen noch nicht in der dramatischen Literatur aufgetaucht waren. Die Mitarbeiterschaft ist in Deutschland bisher nur bei Possen üblich gewesen; Moser ist der Erste, der nach französischem Muster sie auch beim Lustspiele eingeführt hat. Es ist nicht leicht, einen Blick in dies Atelier zu thun und zu sagen, wo Moser aufhört und wo seine Mitarbeiter anfangen. Beim „Stiftungsfest“ war der Entwurf beiden Autoren gemeinsam; die Grundlage des Textes hatte Benedix geschrieben; dann hatte Moser diesem Texte die Lichter seiner guten Laune und kleiner Theatereffecte aufgesetzt. Dies aber war wieder Benedix nicht genehm; er meinte, das Stück sei dadurch zum Schwank geworden, und dazu wollte er nicht seinen Namen geben. So trennten sich die Autoren, noch ehe ihr Werk über die Bühne ging: wir erhielten zwei Stiftungsfeste, von denen dasjenige mit Moser’s schwankartigen Mätzchen fast über alle Bühnen ging, während die solide Arbeit von Benedix ziemlich unbeachtet blieb. Später war Moser glücklicher mit seinen Mitarbeitern; man hat nie von Zwistigkeiten und Zerwürfnissen gehört; bisweilen scheint indeß seine eigene Thätigkeit nicht viel über die Retouche und kleine scenische Einlagen hinausgegangen zu sein.

Moser hat mancherlei Stücke aus dem bürgerlichen Leben geschaffen: „Ultimo“, ein erfolgreiches Stück von sehr lockerer Composition und ohne jede Einheit, „Der Hypochonder“ mit etwas trivialen kleinbürgerlichen Motiven, „Der Sclave“, „Onkel Grog“, „Glück bei Frauen“ und andere, Treffer und Nieten bunt durch einander; doch seine eigentlichen Lorbern wachsen auf dem Gebiete des Officierlustspiels; „Der Veilchenfresser“ und „Krieg im Frieden“ sind ohne Zweifel seine besten Stücke, und auch den auf das Gebiet der Gesangsposse abschweifenden „Reif-Reiflingen“ mag man sich noch gefallen lassen. In diesen Stücken

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gottschall meint hier: Johann Baptist von Schweitzer (1833–1875).
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_335.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2021)